Peter Somma

Das Apfelbäumchen

 

             Er war nicht der Mann, der groß feierte und selbst die Geburt seiner ersten Tochter, konnte ihn nicht dazu veranlassen, seine Arbeit zu vernachlässigen und  so war er, seinerzeit, als er zum ersten Mal Vater geworden war, nach Hause gegangen und hatte seine Arbeit fortgesetzt wie an jedem anderen Arbeitstag auch, nachdem er seine Frau im Krankenhaus besucht und seine Tochter durch die Glasscheibe betrachtet hatte, obwohl er sich die halbe Nacht um die Ohren geschlagen hatte, bis endlich, es war schon zeitlich am Morgen, seine Frau ihr erstes Kind, ein Mädchen geboren hatte.

 

            Er erinnerte sich noch gut an diesen Tag, es war ein grauer Frühjahrstag gewesen, die Sonne war den ganzen Tag hinter den grauen Wolken versteckt geblieben, verdammt kalt war es noch in den frühen Morgenstunden gewesen und der ganze Tag war so gar nicht dem freudigen Ereignis gerecht geworden. Als er aus dem Krankenhaus nach Hause gekommen war, war er dann gleich an diesem Morgen in seinen Obstgarten hinausgegangen und hatte dort wo der alte Apfelbaum gestanden war und wo er schon gestern ein tiefes Loch ausgehoben hatte, einen neuen Baum gepflanzt. Er hatte das junge Bäumchen in das Loch gesetzt, nicht nur weil er den alten Baum durch einen neuen ersetzen hatte wollen und es Zeit war, diese Arbeit zu verrichten, sondern auch weil er wollte, dass er jedes Mal, wenn er durch seine Plantage ging, und er diesen Baum erblickte, sich der Geburt seines ersten Kindes  entsinnen sollte.

 

Heute hatte er sich vorgenommen, die Früchte jenes Apfelbaumes zu pflücken, den er am Geburtstag seiner ersten Tochter gepflanzt hatte. Es war ein sonniger Herbsttag, die Blätter der Ahornbäume schienen zu brennen, das Laub der Birken sog das gelbe Sonnenlicht in sich auf und leuchtete wie kleine Laternen und nichts erinnerte an den grauen Frühjahrstag an dem seine erste Tochter zur Welt gekommen war.

Eigentlich hätte er den Baum ja längst umschneiden müssen, wenn er betriebswirtschaftlich gedacht hätte, denn er hatte für einen Apfelbaum schon ein beträchtliches Alter erreicht und der Ertrag an Früchten hatte begonnen, nachzulassen, aber er hing an diesem Obstbaum, wie an keinem anderen, erinnerte er ihn doch an die Geburt seiner Erstgeborenen. Er brachte es einfach nicht über das Herz, ihn umzuschneiden und jedes Jahr, wenn es ans Ernten ging, ihm der Duft der Früchte in die Nase stieg und er einen kräftigen Biss in den eben geernteten Apfel tat, verschob er das Umschneiden um ein weiteres Jahr.

 

 Als er begonnen hatte, den Apfel dieses Baumes zu verspeisen, erreichte ihn der Anruf aus dem Spital, dass seine Tochter von einem kräftigen Jungen entbunden worden war.  Lange genug hatte er auf die Nachricht gewartet, dass ihn eines seiner Kinder zum Großvater gemacht hätte und er hatte eigentlich schon jede Hoffnung aufgegeben. Deshalb hätte man glauben können, dass er jetzt alles liegen und stehen gelassen hätte und in das Spital geeilt wäre, aber er machte  in aller Ruhe seine Arbeit zu Ende und setzte sich noch eine Weile auf die Bank vor dem Haus, um sich von den Strapazen der Arbeit zu erholen, denn wenn er schon so lange auf diese Nachricht gewartet hatte, kam es auf ein Paar Minuten mehr oder weniger auch nicht mehr an. Erst dann wusch er sich, kleidete sich ordentlich, setzte sich in sein Fahrzeug und fuhr ins Spital, um einen ersten Blick auf  seinen ersten Enkel zu werfen.

 

Nun saß er im Wagen um im nahe liegenden Spital seine Tochter zu besuchen, die ihn eben erst zum Großvater gemacht hatte und es gingen ihm viele Gedanken durch den Kopf. Wie viel hatte sich in diesen Jahren verändert, die vergangen waren, seit er damals seine Tochter zum ersten Mal im Krankenhaus betrachtet hatte. Dem ersten Kind waren noch zwei weitere gefolgt und schließlich waren sie zu fünft gewesen.

 

Damals hatte er noch einen kleinen Topolino gefahren und sein Obst hatte er noch mit seinem Pferdefuhrwerk ausgeführt. Es war nicht immer leicht gewesen, seine Familie mit der kleinen Plantage über Wasser zu halten. Immer wieder hatte es gute und schlechte Zeiten im Beruf gegeben und oft hatte er nicht gewusst wie es weitergehen sollte. Und in all der Zeit, war ihm, Gott sei Dank, seine Frau immer eine verlässliche Stütze gewesen.

 

            Über seine Kinder hatte er sich nie zu beklagen gehabt. Sie waren zu braven Menschen herangewachsen. Und doch musste er schmerzlich erkennen, dass die Vorstellungen, die er sich gemacht hatte, wie sie sich einmal entwickeln würden, was einmal aus ihnen werden würde, sich nicht erfüllt hatten. Staunend hatte er erkennen müssen, dass sie so unterschiedlich waren, wie die Früchte seiner Obstbäume.       

 

Gerade von seinem Sohn, der als zweites Kind zur Welt gekommen war, hatte er erwartet, dass er einmal sein Nachfolger sein würde, dass er einmal ebensoviel Liebe für die Obstbäume würde aufbringen können, wie er selbst, aber der brachte kein Verständnis für den Obstbau auf. Er hatte nichts wissen wollen von der täglichen Arbeit im Freien und hatte lieber ein Handwerk gelernt, war ein tüchtiger Schlosser geworden, aber seine wirkliche Liebe gehörte der Musik. Er lernte nebenbei in der Musikschule Ziehharmonika, brachte es dabei zu einem gewissen Können, gründete nebenbei eine Band, die da und dort zu den verschiedensten Anlässen auftrat und verdiente sich so ein kleines Zubrot.

 

            Als sein drittes Kind, es war wieder ein Mädchen gewesen,  zur Welt gekommen war, hatte er es genommen wie es war, hatte es aufgegeben, sich Gedanken darüber zu machen, welchen Lebensweg es einmal nehmen würde und hatte seiner Entfaltung freien Lauf gelassen. Sie war ein besonders kluges und fleißiges  Mädchen gewesen, hatte ohne große Mühe das Gymnasium gemacht, hatte dann studiert und hat heute eine gut bezahlte Stelle in einem technischen Büro.

 

Eigentlich hatte er sich zu aller erst einen Stammhalter gewünscht, einen, der fortsetzen sollte, was er begonnen hatte und als damals sein erstes Kind, Maria zur Welt gekommen war, war er doch ein wenig enttäuscht gewesen, dass es kein Bub geworden war, aber weil sie ein so außergewöhnlich freundliches, braves Kind gewesen war, hatte er es bald besonders lieb gewonnen, hatte es schon als Kleinkind bei seinen Inspektionsgängen am Arm durch die Reihen der Apfelbäume getragen und ihr das Bäumchen, das er am Tag ihrer Geburt gepflanzt hatte gezeigt.

 

            Das Bäumchen hatte sich prächtig entwickelt. In jenem Jahr, in dem seine Tochter begann, die Schule zu besuchen, war es schon zu einem prächtigen Baum herangewachsen und hatte die ersten Früchte getragen. Sie waren nur sehr klein, aber man konnte erahnen, dass da ein Baum heranreifte, dessen Äpfel zu den besten Hoffnungen berechtigten. Und als Maria in die Pubertät gekommen war, war das Bäumchen zu einem ordentlichen großen Baum herangewachsen und trug reiche Ernte.

 

            Maria hatte sehr bald, zur Freude ihres Vaters Interesse für den Obstbau gezeigt, hatte in der Schule immer gute Noten gehabt hatte die Obstbauschule besucht und war so in die Fußstapfen ihres Vaters getreten. So hatte er dann doch noch eine Nachfolgerin gefunden, bei der er sein Lebenswerk in guten Händen wusste.

 

            Nachdem er den Wagen am Parkplatz abgestellt hatte, ging er die Stufen zur Geburtshilfestation hinauf und fand seine Tochter wohlauf. Wieder stand er vor der Glasscheibe, so wie vor vielen Jahren und betrachtete das Neugeborene. Das Leben wiederholte sich und nahm doch immer wieder einen anderen Verlauf und niemand wusste welchen Weg es nehmen werde. Lag da schon der nächste Apfelbauer in seinem Körbchen oder betrachtete er einen künftigen Forscher oder einen einfachen Handwerker. Er wusste es nicht. Er konnte nicht wissen, welches Schicksal dem eben erst geborenen Kind beschieden war, welche Neigungen es entwickeln, und was einmal aus ihm werden würde, aber als er nach Hause gekommen war, nahm er, die Schaufel zur Hand, grub ein großes Loch, stellte ein junges Apfelbäumchen in die Grube, schaufelte das Loch zu und bewässerte es reichlich. Er wusste, dass, was immer aus dem kleinen Würmchen oben in der Geburtshilfestation werden werde, es sicher jemanden geben würde, der sich um das  Bäumchen kümmern, dass es heranwachsen, ein kräftiger Baum werden, herrliche Früchte tragen und ihn immer an die Geburt seines ersten Enkels erinnern werde, gleichgültig, welches Schicksal dem Neugeborenen bevorstand, denn das Leben sucht sich seinen Weg, auch wenn es nicht immer so kommt, wie man es gerne hätte. 

 

 

                            

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 31.03.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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