Ernst Dr. Woll

Wie die Politik Handel und Ernährung beeinflussten

   Wer behauptet wir hätten uns in der DDR nicht satt essen können, der lügt. Freilich waren manche Delikatessen und Südfrüchte rar, ebenso war das Gemüseangebot oftmals bescheiden.Das hing auch sehr von der Anbaugegend ab. So war z. B. in Erfurt und Umgebung alljährlich in der Saison ein ganz enormes Angebot an Blumenkohl, während im nur 100 km entfernten Gera die Menschen nach dieser Gemüsesorte anstanden. Wir haben erlebt, dass in Erfurt auf dem Domplatz Blumenkohl auf Kastenwagen zum Verkauf antransportiert wurde. Der „Kopf“ kostete 10 Pfennige und man konnte das Geld für die entnommene Menge in eine Kasse des Vertrauens, die neben dem Wagen stand, einwerfen.
   Die einzelnen Obstarten wurden auch nur in der Umgebung  der  jeweiligen Anbaugebiete in ausreichender Menge frisch angeboten. Bei Rekordernten entstanden Schwierigkeiten der Konservierungsverarbeitung der überschüssigen Mengen. Wir erlebten in Erfurt mehrere Jahre mit einer „Pflaumenschwemme“; da fuhren dann die Erzeuger mit Pferdewagen durch die Straßen und boten die Früchte in 10 kg Abpackungen für 10 Pfennige das Kilogramm an.
   Vielleicht war es eine übertriebene Planung oder die noch fehlende Rechentechnik, dass es in der DDR bei der Lebensmittel- und Bedarfsgegenstände -Versorgung erhebliche Probleme bei der Verteilung der Erzeugnisse über das gesamte Land gab. Viele Beispiele könnte ich nennen nach denen sogar bestimmte Grundnahrungsmittel in einigen Bezirken sehr knapp waren, während sie in anderen Gebieten reichlich angeboten wurden. So erinnere ich mich, dass wir in den 1960er Jahren sogar Butter an Bekannte nach Schwerin schickten, weil dort ein „Versorgungsengpass“ aufgetreten war, während es bei uns in Erfurt reichlich Butter gab. Es kursierte der Witz: Ulbricht hat prophezeit, dass im Jahre 2000 jede Familie in der DDR ein Kleinflugzeug hat, damit lösen sich die Versorgungsprobleme automatisch. Jeder kann schnell in die Bezirke fliegen, wo Waren, die es in seinem Wohnort gerade nicht gibt, angeboten werden.
   Wollte man zu Hause Festlichkeiten ausrichten, gehörte freilich Glück dazu, Edelfleischteile wie Rouladen, Lenden und Steaks oder gar Rinderzunge, Lachsschinken und ähnliches zu ergattern. Diese Erzeugnisse waren sehr billig aber sie fehlten meist im Angebot. Die Bevölkerung war empört, dass diese Fleischteile für „harte Währung“ exportiert wurden. In der BRD wurden sie unbeschränkt angeboten, waren und sind bis heute aber teuer und können von Normalverdienern nur ausnahmsweise und von armen Leuten kaum gekauft werden.
   Ich erlebte als Jugendlicher in der Nachkriegszeit im Jahre 1948 die Gründung der volkseigenen HO (Handelsorganisation), das war noch in der SBZ (Sowjetische Besatzungszone). In Westdeutschland wurde Ost- oder Russenzone gesagt. In der HO wurden bisher entbehrte Lebensmittel und Gebrauchsgüter zu hohen Preisen angeboten. Wir standen als Schüler mit verlangenden Blicken vor diesen Schaufenstern, hatten aber zu wenig Taschengeld und konnten nur in ganz wenigen Ausnahmefällen unseren Appetit mal stillen. Meine Freundin leistete sich z. B. einmal zusammen mit zwei Schulkameradinnen ein Gebäckstück – Schweinsohr – für 5 Mark. Bis zum Jahre 1958 waren bekanntlich in der DDR die Lebensmittel rationiert und nur auf Lebensmittelmarken zu haben.  
Nach und nach verschwanden in den Anfangsjahren der DDR die privaten Einzelhandelsgeschäfte (auch Tante Emma Läden) HO und Konsum hatten im Einzelhandel das Monopol.
   Um Kaufkraft abzuschöpfen und das Warenangebot attraktiver zu gestalten, so wurde argumentiert, entstanden in der DDR 1966 erste Delikatläden. In diesen auch volkseigenen Einzelhandelsgeschäften für Lebensmittel wurden Waren des „gehobenen Bedarfs“ verkauft. In der Umgangssprache hießen sie in der DDR: „Deli-Läden“, „Fress-Ex“ in Anlehnung an Exquisit Läden oder UWUBU (Ulbrichts-Wucher-Buden). Im Grunde genommen waren die Angebote oft regelrechte „Mogelpackungen“, weil Lebensmittel aus normaler Produktion mit attraktiverer Verpackung und Aufmachung zu höheren Preisen verkauft wurden. Besonders mit Wursterzeugnissen wurde auf diese Weise „Geld abgeschöpft“. Z. B. bekam man die durch ausgezeichnete Qualität bekannten „Original  - Thüringer - Wurstwaren“ nicht mehr in den normalen Fleischereien oder Einzelhandelsgeschäften sondern nur noch in den „Deli – Läden“.  Der Schlager waren u. a. Konservendosen mit Südfrüchten zu ganz enorm hohen Preisen, die aber viel gekauft wurden. Die „Delikatproduktion“ und der „Delikathandel“ in der DDR sind ein so umfangreiches Kapitel, über das ich später in einem gesonderten Beitrag berichten werde.
  Wir haben in der DDR einen sehr großen Teil unseres Einkommens für die Ernährung ausgegeben, weil es u.a. Probleme oder lange Wartezeiten beim Kauf von PKW und einer Reihe technischer Geräte gab. Wahrscheinlich haben wir z. B. mehr Butter gegessen als es in westdeutschen Haushalten üblich war. Allerdings ließ auch bei uns Qualität und  Geschmack der Speisemargarine zu wünschen übrig. Insgesamt haben wir uns, das wurde durch Studien bestätigt und darüber habe ich schon an anderer Stelle berichtet, zu fettreich ernährt.  Etwas neidisch guckten wir nach den Westen, weil dort in unseren Augen Radios, Fernseher, Autos, Waschmaschinen und ähnliches sehr billig und ohne lange Bestellzeiten zu haben waren. Kenntnis hiervon erhielten wir, wenn Rentner oder Westbesucher verbotenerweise manchmal Kataloge der Kauf- und Versandhäuser mitbrachten.
  Eine besonders lustige Geschichte passierte meiner Frau beim Teppichkauf. Dieser Erwerb war Ende der 1960er Jahre und außerplanmäßig. Sie war in der Stadt unterwegs, um Gummiringe für Einweckgläser einzukaufen – sie hatte gehört, dass gerade welche eingetroffen waren, dann musst man schnell reagieren  -. Im Kaufhaus sah sie viele Menschen in der Teppichabteilung, die von einer neuen Lieferung sich gute Stücke ergattern wollten. Sie gesellte sich dazu und hielt schließlich einen passenden 3 x 4 m großen gut aussehenden Boucleteppich fest, bis sie ein gestresster Verkäufer bedienen konnte. Ihr wurde bedeutet, dass das Exemplar nur bis zum Ladenschluss um 18,00 Uhr zurück gelegt würde, denn eine Anlieferung gab es nicht. Ich war dienstlich unterwegs und nicht erreichbar. Sie trommelte unsere 4 Kinder zusammen, um gemeinsam den Heimtransport zu bewältigen. Mit 400.- M war es ein preiswerter Einkauf, denn wir strapazierten das gute Stück mehr als 20 Jahre lang.  Den zusammengerollten Teppich nahmen Mutti und die  vier Kinder (14, 12,10 und 8 Jahre alt) auf die Schulter und marschierten heim. Unterwegs hörten sie, wie ein Passant sagte: „Überall wird gespart, selbst die 7 Schwaben sind nur noch zu Fünft.“
   Die Versorgungsprobleme in der DDR waren irgendwie belastend aber manchmal sogar belustigend. Allerdings missfällt mir auch, dass heute durch eine oft übertriebene „Überproduktion“ schließlich zu viel (vor allem zeitlich begrenzt haltbaren Lebensmittel) weggeworfen wird. Ob hier wohl auch mit einer besseren Planung, die durch die moderne Rechentechnik optimiert werden könnte, ein besserer Weg zu finden wäre? Übertrieben planen, wie es  in der DDR geschah, ist falsch, aber alles den Markt überlassen zu wollen, wie man es heute gern tut, scheint mir ebenso nicht richtig zu sein.   
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.07.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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