Mirjam Horat

Schatten an der Wand

 

Stille. Dunkelheit lag über Wiesen und Feldern. Nur ein Lagerfeuer erhellte die Nacht und liess nebst den Umrissen einiger Bäume, die geometrischen Formen einiger Zelte erahnen.

 

Es war die letzte Nacht unseres Klassenlagers. Ein paar Stunden zuvor hatten einige Mädchen, meine Zwillingsschwester und mich inbegriffen beschlossen, dass wir diese letzte Nacht durchfeiern werden. Als Treffpunkt wurde das grösste Zelt erkoren.

Zur vereinbarten Zeit schlichen wir uns mucksmäuschenstill hinaus in die sternenklare Nacht, huschten möglichst unbemerkt an den anderen Zelten vorbei. Von allen Richtungen sahen wir kaum erkennbare Gestalt zum Treffpunkt heran schleichen. Flüsternd versuchten wir uns, mit unterdrücktem Gelächter, zu erkennen zu geben.

Mit allem möglichen Proviant, von Chips über Kekse, Zältlis ( Bonbons sagt ihr dazu)  und natürlich Schoggi ausgerüstet, betrat Eine nach der Anderen den „Festraum“.

Kaum hatte sich die Letzte ins Zelt begeben- besser gesagt gequetscht- war das Käferfest im vollen Gange. Jede erzählte von ihren Erlebnissen und Missgeschicke der vergangen Woche. Der zunehmende Lärmpegel und das immer lauter werdende Gekicher wurde hie und da selbstermahnend mit einem ‘Psst!’ unterbrochen.

Nach dem ersten Auflodern der anfänglichen Festfreude näherte sich zwar die Nacht ihrem Höhepunkt, doch die Müdigkeit gewann zusehends die Oberhand, die Stimmung sowie die Leckereien erreichten den Tiefpunkt.

Was tun um möglichst alle wach zu halten?

Genau, es gibt doch nichts Passenderes, als zur Mitternachtsstunde in einem Zeltlager eine Gruselgeschichten zu erzählen.

Die erste Geschichte versetzte uns schnell in die richtige Grusel-Atmosphäre und die Zweite folgte ohne Unterbruch.

Doch etwas unterbrach die Erzählerin.

‘Was war das?’... ‘Habt ihr das auch gehört?’... ‘Das war sicher nur der Wind.’

So hörten wir dem Schauermärchen weiterhin gespannt zu, und nahmen das eben Gehörte als unterstützenden Nebeneffekt-Geräuschen hin. 

Die Geschichte erreichte beinahe die Krönung, als plötzlich ein Rascheln dicht hinter dem Zelt, dem Ganzen ein abruptes Ende bereitete.

Alle Augenpaare richteten sich blitzschnell in dieselbe Richtung und erblickten mit Schrecken einen Schatten, der an der Zeltwand vorbei huschte. Niemand wagte es zu atmen, geschweige denn was zu sagen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit und einer nahezu unheimlicher Stille, traute sich schliesslich Eine diese zu brechen mit den flüsternden Worten:

‘Konnte jemand erkennen was es war?’

‘Nein‘ ... ‘Nichts‘ ... ‘Keine Ahnung.’

Ein unendlich langes hin und her begann, wer als Auserwählte erkoren wird, die rausspähen “durfte” um mögliche Informationen zu erhaschen.

Doch ehe die Gewinnerin bestimmt war verdunkelte erneut, fast wie eine Wolke, ein Schatten das Zelt. Doch je näher die Schattierung kam, desto deutlicher war der Umriss zu erkennen. Es steuerte auf direktem Wege zum Zelteingang zu.

‘Halt den Reissverschluss zu!’ zischte eine geistesgegenwärtig im Flüsterton. Absolute Ruhe herrschte... kein hysterisches Gekicher, kein Geschupse, kein Gewisper war auch nur ansatzweise zu hören.

Endlich! Die Gestalt entfernte sich wieder, die Konturen des Schattens wandelten sich wieder zu einem schwammigen Umriss.

Nun war der Fall klar, jemand musste einfach raus in die Finsternis, um nach zuschauen wer, oder was das war…

Leise öffneten wir Millimeter um Millimeter den Zeltreissverschluss. Die Mutigste, dazu gehörte weder meine Zwillingsschwester noch ich, streckte ihren Kopf hinaus. Nichts. Sie schlich ein bisschen weiter hinaus, verharrte noch länger mit ihrem Blick auf jedem einzelnen Zelt, und kam schliesslich wieder reingekrochen.

‘Und?’ ... ’hast du was gesehen?’... ’Was war es?’

‘Ja ich hab ES gesehen, ich weiss was ES ist.’ antwortete sie mit einem leicht triumphierenden Lächeln.

‘Was denn?’ … ’Sag schon!’ ... ’Spann und nicht so auf die Folter...’ ertönten sieben Mädchenstimme, aufgeregt und beunruhigt zugleich, durcheinander.

‘Es war Marco, er schlafwandelt offensichtlich.’

 

Ein Stein fiel uns vom Herzen, dass es kein nächtliches Ungeheuer, kein hungriger Werwolf, kein Waldmonster wie in unseren Gruselgeschichten war, sondern ‚nur’ ein schlafwandelnder Mitschüler. Was für eine Erleichterung.

 

Und zudem hatte das Ganze noch einen tollen Nebeneffekt. Keine Spur von Schläfrigkeit, keinen Funken Müdigkeit war mehr vorhanden und gemeinsam erlebten wir einen wunderschönen Sonnenaufgang.

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.07.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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