Bernhard Pappe

Träumen in vielen Welten (Eine Fortsetzung)

Ein paar Tage waren schon ins Land gegangen seit des Samstags im Café und des Erzählens meines Traumes. Ich sah die Traumbilder immer noch deutlich vor mir, der dunkle Flur, der Dachboden mit der Truhe und die geheimnisvollen, pulsierenden Kugeln darin. Mein Freund hatte mich nach dem Erzählen der Story gefragt, welche Deutung ich meinem Traum geben würde. Ich bin damals der Frage etwas ausgewichen. Gegrübelt hatte ich darüber ausreichend. Die Präsenz der Traumbilder war intensiv genug. Eine befriedigende Deutung gelang mir bis heute nicht. Vielleicht ist das ganze Geheimnis, dass es gar keine gibt. Trotzdem, die Kugeln in der Truhe kreisten in meinen Gedanken. Waren sie wirklich kleinere oder größere Universen? Paralleluniversen? Physik und Mathematik lassen solche Gedankenspiele zu, wenn üblicherweise nicht in einer Truhe. Das war der absurde Aspekt des Traumes.
Die Art der Reaktion meines Freundes hatte mich etwas irritiert. War er von der Traumgeschichte zu überrascht gewesen? Schließlich ist er ein kreativer Kopf, ebenso Physiker und er liebt es, mit Gedanken zu spielen.
Die Antwort fand ich einen Tag später in meinem Maileingang. Spontan musste ich denken, dass er 20 Jahre zuvor seine Worte in einem Brief verpackt und diesen standesgemäß mit einem Füller niedergeschrieben hätte.


Mein Lieber,

wie gut, dass manchmal Träume scheinbar doch einem finalen Zweck zu dienen scheinen...nicht auszudenken, du hättest die eine oder andere noch größere Murmel und dann gar noch die größte in die Hand genommen...die war ja, wie wir alle wissen, als wirkliche Kristallkugel ein Abkömmling des Steines der Weisen, wahrscheinlich durch Druck und Temperatur oder so zustande gekommen...

Geheimnislosigkeit würde herrschen, du hättest entdecken müssen, dass die nette Kellnerin, schon reich an Menschenkenntnis, in uns die männlichen Spinner von um die Ecke erkannte und bis in die letzten (ja - wirklich letzten) Gedankengänge hinein zu sezieren imstande gewesen war...das Lächeln (ein für uns unmerklich von Erkenntnis und Überlegenheit zeugendes) galt eher dem schönen Samstag, dem noch schöner zu werden versprechendem Wetter und dem zum Feierabend wartenden italienischen Freund, der übrigens Latte macchiato in der in Deutschland perfekt geschichteten Weise verabscheut...

Es ist dann doch gut, dass (noch) nicht alles zutage tritt, was die Welt im Innersten zusammen hält...

Es grüßt dich dein Freund und viel Spaß beim Nachdenken.

Ich gebe zu, ich las seine Worte gleich zweimal. Sage einer, Physiker hätten keine Phantasie. Eine eigenwillige Sicht auf meinen Traum und den ganzen Cafébesuch. Diese Version könnte für ein Paralleluniversums taugen oder ein Beispiel sein für die Vielweltentheorie eines Hugh Everett, in der sich die Dinge einfach auseinanderentwickeln, sich in viele Welten aufspalten und in jenen entstehenden Welten eben einen ganz anderen Verlauf nehmen. Somit wäre seine Vision des Samstagvormittags so wahrscheinlich, wie die von uns durchlebte. Ich kratzte mich am Kopf und machte eine symbolische Verbeugung vor seiner Idee.
Im Normalfall haben wir keine Verbindung zu solchen parallelen Welten, ihre Struktur bleibt uns verschlossen, die Theorie ist nicht überprüfbar. Oder doch? Was, wenn Gedankenwurmlöcher in der Struktur des Seins dies möglich machen? Mag sein als Traum, mag sein als Gedanke, der plötzlich in uns aufblitzt, um Gestalt anzunehmen.
Er hatte mit viel Spaß beim Nachdenken gewünscht. Das Nachdenken setzte prompt ein. Das Nachdenken über die Dinge ist nicht immer unterhaltsam, zuweilen mühselig oder mit dunklen Gedanken beladen. Doch macht es den Menschen aus. Natürlich kann man leben, ohne viel nachzudenken, was für uns beide nicht in Frage kommt Was entginge uns, dächten wir nicht nach? Sicher nicht nur eine gänzlich andere Sichtweise auf einen Cafébesuch.
Im Nachgang fiel mir der Schalk in seiner Mail auf. Ich kenne ihn lang genug, er spielte wieder auf einige meiner Bücher an, die eher eine esoterische Deutung des Seins beinhalten. Was, wenn Träume und Gedanken wirklich eine ganz andere Bedeutung haben? Physik vermag vieles, aber längst nicht alles zu erklären. Es wird immer Platz für Träume bleiben. Welche Träume haben einen Hugh Everett oder einen Werner Heisenberg geplagt? Beide wären durchaus für die jugendliche Schönheit der Kellnerin empfänglich gewesen, ihr gar womöglich verfallen. Ein spontaner Gedanke. Warum nicht, eben Menschen mit Träumen und Leidenschaften.

Als Epilog dieser Geschichte dient mir eine zweite Mail meines Freundes, die alle Gedanken in eine einfache Frage gießt.

…die immerwährende Frage…





In einer Welt träumte ich meinen Traum und erzählte ihn meinem Freund. Doch in welcher?

© BPa / 07-2014

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.08.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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