Chiara Fabiano

Die gefährliche Zeit

Prolog

Hell erleuchtet lag das Haus hinter ihr. Licht strömte aus den Fenstern, ein letztes Mal hatte sie sich umgedreht und ließ einen verzweifelten Blick über die weiße Hausfassade gleiten. Das prächtige Anwesen strahlte in der es umgebenden Dunkelheit. Den schweren Rucksack auf dem Rücken kämpfte sie sich durch das hohe Gras, vorsichtig näherte sie sich dem Eingangstor, Schritt für Schritt. Man konnte es sogar in der Dunkelheit von weitem erkennen, das große Tor mit dem vergoldeten Rahmen. Ihre Füße kämpften sich aus dem Schilf und sie spürte wie sie auf dem steinigen Asphalt aufkam. Das Geräusch rollender Steine breitete sich in der Stille aus. Ihre Hand ergriff das Tor, zittrig wählte sie die Zahlenkombination in das Tastenfeld ein, woraufhin es sich lautlos öffnete. In ihrem Augenwinkel konnte sie den Schatten einer alten Frau erkennen, die nichtsahnend auf ihrem Bett lag und las. Ein letzter verstohlener Blick, dann stahl sie sich in die Nacht hinaus. Schneller als ihre Beine sie tragen konnten, hatte sie die Hauptstraße erreicht, an dessen Rändern hohe Laternen ein grelles Licht in die Nacht warfen. Sie atmete, schnell und ängstlich. Neugierige Blicke verfolgten sie, die Menschen drehten aufgeregt ihre Köpfe, als sie an ihnen vorbeischnellte. Die Stadt war lebendig, die Straßen überfüllt. Leuchtende Werbeplakate zierten den Picadilly Circus, lachende Jugendliche rannten an ihr vorbei. Verstohlen blickte sie ihnen hinterher. Ihr sehnsüchtiger und zugleich verzweifelter Blick blieb an einer jungen Frau hängen, dessen kurzes Harar in blonden Locken ihr Gesicht umrahmte. Sie blieb stehen und musterte die Frau, am anderen Ende der Straßenseite. Ein wohlwollendes Lächeln lag auf ihrem Gesicht, ein weites Kleid mit Blumenmuster umspielte die zarte Figur. Ihr Blick fiel auf die ausgestreckte Hand der Frau, die Dunkelheit um sie wurde bedrängender. Der Picadilly Circus wirkte mal um mal bedrückender. Ein schneller Blick hinter ihre Schultern genügte, um sich zu versichern, dass die Straßen völlig leer zu sein schienen. Das Lächeln der Frau wurde umso wohlwollender, denn nun breitete sie die Arme aus und winkte sie zu sich. Ihre Augen musterten sie, die Verzweiflung ihres Augenpaares schien Hilfe zu finden in dem der blonden Frau. Keine Autos fuhren mehr vorbei, keine Busse versuchten sich auch noch um diese Uhrzeit zu beeilen. So verlassen lag die Straße dort, die sie von der Frau trennte. Die Dunkelheit kam näher, fast unmerklich gab sie ihr zu verstehen, dass nur dies ihre Chance war. Die Frau wandte sich langsam um, mit einer Armbewegung sagte sie ihr, sie solle ihr folgen. Sie reagierte, der schwere Rucksack fiel ihr von der Schulter. Der Moment schien wie eingefroren, er schien Stunden anzudauern, doch jetzt ging alles ganz schnell. Hastig öffnete sie den Reißverschluss und holte das Tuch aus ihm heraus. Es war tiefrot eingefärbt. Beim Anblick dieser Farbe traf sie eine Übelkeit. Sie hatte es noch nicht realisiert, nicht einmal, als sie das Messer auspackte und die, in ein tiefes rot getunkte Klinge im dunkeln aufblitzte. Mit starken Augen blickte sie auf das Messer hinab und hob dann den Kopf. Die Frau stand immer noch dort und trug ihr wohlwollendes Lächeln auf den Lippen. Sie nickte, sodass die blonden Locken rauf und runter wippten. Nun war die Straße verschluckt von einem tiefen Schwarz. Zittrig hielt sie das Messer in ihren Händen und blickte hinüber zu der Frau. „Komm“. Sie las das Wort in der Bewegung ihres Mundes. Im nächsten Moment nahm sie das Messer und schmiss es in die Mitte der Dunkelheit, beobachtete wie es vom Schwarz verschlungen wurde. Den Rucksack ließ sie auf dem Boden stehen und dann rettete sie aus vor der schwarzen Wolke. Sie überquerte die Straße und versuchte der Frau die Hand zu reichen. Diese jedoch wandte sich sobald um, und führte sie durch die Tiefen Londons, dessen Straßen nie so eng und winzig gewirkt hatten. Mit starken Schritten folgte sie der Frau und beobachtete, wie neben ihr alles in einen dichten Nebel getaucht wurde. Dann plötzlich als sich der Asphalt unter ihren Füßen in eine weiche Schicht aus losem Gras umwandelte wusste sie wo sie war. Ihre Beine hatten sie in die Tiefen des Kensington Garden gebracht. Schwach konnte sie das weit entfernte Licht einer von Nebel umgebenen Laterne erkennen. Und vor ihr die Silhouette der Frau. Um sie herum hatte sich dichter Nebel angesammelt, sodass sie nichts zu erkennen vermochte als das, was sich vor ihr abzuspielen schien. Auch wenn sie noch so weit weg zu sein schien, konnte sie ganz klar das Gesicht der Frau vor ihr sehen, dessen Mund stets zu einem wohlwollenden Lächeln gezogen war. „Komm“, hörte sie sie sagen, wie die Stimme eines Engels. Der Nebel wurde dichter, und so begann sie zu rennen, immer mehr verschwamm die Szene vor ihren Augen. Sie spürte die Schwerelosigkeit unter ihren Füßen, das Gesicht der Frau kam näher an sie heran. Sie hörte das Klingeln von leisen Glöckchen, das immer intensiver in ihren Ohren zu klingeln begann. Das Lächeln der Frau wurde breiter, sie streckte ihre Hand aus und versuchte die der Frau zu ergreifen, bevor zu in ein tiefes Schwarz fiel und fiel. Tiefer und tiefer

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.10.2017. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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