J. Liliana Altair

Gedanken einer Maus 2

Tag 2

Leben

 

Hallo - da bin ich wieder, die kleine graue Maus, erinnerst du dich? Ja, ich lebe noch, obgleich ich mich frage, was das eigentlich ist - Leben? Ein Wort aus fünf Buchstaben ohne jede tiefere Bedeutung; ist es die Daseinsform von Menschen, Tieren und Pflanzen, wie sie es im Lexikon schreiben, oder ist es nur ein Zustand andauernden Kampfes mit seinen Gefühlen, die manchmal völlig irrationale Ängste hervorrufen, die in ihrem Ursprung genauso sinnlos sind, wie die Definition des Begriffes ‘Leben’, wie sie im Lexikon zu finden ist?

Ein Leben - wie lang ist es? Für manches Tier kaum länger als ein Tag, Hunde können bis zu 18 Jahre alt werden, Elefanten fast hundert, wohingegen das Leben eines Einzellers oft nur Minuten lang ist - Menschen werden von wenigen Minuten, Sekunden sogar bis zu über hundert Jahren alt. Was bedeutet es also - Leben? Ist es einfach die Zeit zwischen der Geburt und dem Tod oder ist da noch mehr? Ich hoffe es, denn wenn es nur eine einfache Spanne von Sekunden, Tagen oder Jahren ist, dann ist es kaum den Aufwand wert.

Doch was tun wir mit unserem Leben - wir kleinen Mäuse versuchen es einfach zu meistern, so gut wir es eben können. Dazu gehört auf der Hut sein vor der großen Grauen oder dem Wolf, der hinter mir steht; es beinhaltet Fressen und dabei nicht gefressen zu werden; und es heißt, die Art zu erhalten, obwohl ich mich frage, ob das Leben einer Maus wirklich das ist, was gemeinhin als Leben bezeichnet wird und ob dies Leben es wert ist, weitergegeben zu werden. Ist das aber schon alles - ist da nicht noch etwas mehr? Was kann Leben sonst sein - nur Überleben ist zu wenig.

Eine Daseinsform von Menschen...Dasein - das tun wir doch alle auf die eine oder andere Art, aber wie füllen wir dieses „Da Sein“ aus? Das beste aus dem zu machen, was man zur Verfügung hat? Ist das der Unterschied zwischen Leben und Tod? Ist es wirklich so einfach? Kann es wahrhaftig so simpel sein? Leben - existieren, wie wir Mäuse es tun, in den Schatten, verborgen vor dem echten, wahren Leben, das ihr, die großen Tiere, führt. Warum hilfst du mir nicht, große Graue, und zeigst mir, was Leben heißt?

Warum reichst du mir nicht die Pfote, großer Wolf, der du mein Herz gestohlen hast und es nicht mehr herausgibst, und zeigst mir deinen Weg durch das Reich, das du Leben nennst? An der Seite eines Wolfes brauche ich dann, die ich nur die kleine Maus bin, keine Angst mehr zu haben, von den anderen gefressen zu werden. Doch du siehst mich nicht - du schreitest auf deinen Pfoten dahin, wie ein König der Welt, ein Führer des Rudels, der du bist, und nimmst mein Herz mit dir, ohne mir zu sagen, warum. Du bist ein Wesen, das weiß, was Leben heißt - du kostest jede Minute aus, du brauchst dir keine Gedanken über dein Überleben zu machen, weil keiner dich angreifen wird. Doch wie soll ich, als kleines graues Wesen, mit dir Schritt halten, wie soll ich mit dem Tempo der Welt klarkommen, wo ich nur kleine Schritte machen kann, die kaum ausreichen, dir zu folgen.

Du stehst im ganzen Glanz des Lichtes und wirfst deinen Schatten auf mich - und ich? Ich versuche nur zu leben - ohne deine helfende Pfote, ohne deinen Schutz. Doch wie kann ich das? Ich bin ein kleines Tier im Gewimmel der Welt - ein Schatten unter Schatten, der, wenn das Licht ihn trifft, sich einfach auflöst und nicht mehr gefunden werden kann. Ja - diese Daseinsform ist ein Joch, das zu tragen mir als Maus nur allzu schwer fällt. Oft plagen mich Dinge, die dir kaum Kopfzerbrechen machen - doch ich muss meine Zeit, die so kostbar ist, für Banalitäten vergeuden, die mir den letzten Nerv und dich nur ein mildes Lächeln kosten.

Ich lebe unten, in den Tiefen der Welt, irgendwo zwischen ‘Da Sein’ und unsichtbarem Existieren - ist es das wert - bin ich es wert zu existieren? Leben - ha - ein großes Wort, das den großen Tieren vorbehalten ist - wir kleinen dürfen ums Dasein kämpfen. Ein einmaliges Aufflackern eines Lichtes, das kaum das Dunkel durchdringen kann - ein kurzer Tanz in der alles vernichtenden Flamme der Welt, die kein Erbarmen mit uns Mäusen hat. Wir flüchten, fällt das Licht auf uns, Angst beherrscht unsere Tage, Furcht ist unser Begleiter in der Nacht und die Dämmerung von Nacht auf Tag und Tag auf Nacht bringt uns als Bonus Unsicherheit ein. Darüber, ob wir ein Recht auf Leben haben, ob wir den nächsten Tag erreichen oder ob unsere zitternden Herzen vor lauter Angst über ihr eigenes Klopfen nicht plötzlich stehenbleiben, um ihrer Angst ein Ende zu machen.

Solche Gedanken sind unsere Wegbegleiter - am Tag und in der Nacht, in jeder Stunde, Minute und Sekunde unseres ‘Da Seins’, das ihr so großzügig Leben nennt, das für uns Mäuse aber kaum mehr als ein Existieren ist - eine Daseinsform von Menschen, Tieren und Pflanzen; ein begrenzter Zeitraum zwischen Geburt und Tod; das Aufflackern einer Kerze im Sturm der Zeit. Leben - ein großes Wort für ein so kleines Wesen, wie ich es bin - nein, das klingt nicht richtig - es hat die falsche Melodie. Es ist ein Lied, das wir nicht singen, weil wir den Text nicht kennen, weil ihn uns niemand gesagt hat - es ist der Gesang der Großen, bei dem kleine Stimmen nur stören würden, man sie wahrscheinlich nicht einmal hören kann. Doch sind es wir, die Kleinen unter euch, die das Leben in allen seinen Schattierungen kennen - wir wissen was Freude und besonders was Leid ist, wir kennen das Licht und die Schatten - wir leben mit ihnen, wir ertragen sie, selbst wenn wir sie zum Teufel wünschen.

Wir sind Gefangene in unseren eigenen Ängsten, sind die Mäuse, die beim Aufflammen von Licht in die Schatten davonhuschen und die Nachrichten weitertragen - Nachrichten über das, was die Helligkeit zeigt, was das Licht uns sehen läßt, wenn auch nur für Augenblicke. Doch von diesen Augenblicken leben wir, ernähren wir unsere Seelen, die nur Schatten kennen und das Licht fürchten. So wie meine Seele, die die einer Maus ist und die einem Wolf verfiel, in einem Moment, als das Licht sie traf und sie in den flammenden Schein hineinblickte, nur einen Augenblick zu lange. Da verlor ich, die kleine Maus, meine Seele an den Wolf - und seither ist es mein Streben, das Licht zu erreichen. Hilfst du mir, der du der Wolf bist, dem mein Herz, meine Seele und mein ‘Da Sein’ verfiel...?

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