Manfred Bieschke-Behm

ist passiert!

In Susi Hartmanns Kalender steht: Donnerstag 11:00 Uhr Friseurbesuch.

„Acht Wochen sind einfach zu lang“,erklärt sie ihrem Spiegelbild und streckt ihm ihre Zunge entgegen.

 

Hallo Frau Hartmann. Ist wieder soweit“,sagt die Chefin, als sie die Kundin in der Tür stehen sieht.

„Schauen Sie mich doch mal an, wie ich aussehe, Frau Weber. Wie ein wild gewordener Handfeger sehe ich aus. Ich habe mich ja kaum noch auf die Straße getraut.“

„Na so schlimm ist es auch nicht, Frau Hartmann. Nun nehmen Sie erst einmal Platz und dann werden wir sehen, was wir machen werden. Ein Käffchen?“

„Nehme ich gerne“, erklärt Frau Hartmann.

„Thomas, bringen Sie bitte Frau Hartmann einen Kaffee“, ruft sie dem neuen Azubi zu.

Der kommt mit dem Getränk und stellt die Tasse auf die Ablage.

„Lassen Sie sich den Kaffee schmecken“,sagt die Chefin und beim Blick in den Frisierspiegel.

„Kann es sein Frau Weber, dass Sie verärgert sind?“

„Wie kommen Sie denn darauf?

„Sie sehen heute so anders aus, als sonst.“

Verärgert, ja das kann man wohl sagen. Gestern ist Karin zu spät zum Dienst erschienen. Und heute ist sie auch schon wieder überfällig.“

„Das ist nicht schön. Auf das personal sollte man sich verlassen können“, erklärt Susi Hartmannzwischen zwei Schluck Kaffee.

„Sie sagen es. So aber nun zu Ihnen. Was machen wir heute?“

„Ich glaube meine Haare könnten frische Farbe vertragen und die Haarspitzen, weg damit.“

Während die Chefin Vorkehrungen trifft, erkundigt sich die Kundin, ob sie jemals davon erzählt hat, was ihr bei ihrem ehemaligem Friseur passiert ist.

„Nein, haben Sie nicht. Erzählen Sie, Frau Hartmann.“

„Stellen Sie sich vor. Hatte der Kanllkopp mir doch tatsächlich die falsche Farbe aufgetragen. Sie können sich nicht vorstellen, wie ich ausgesehen habe. Natürlich bin ich zu dem nie mehr hingegangen. Wenn ich daran denke, wird mir jetzt noch schlecht ...“

„Nun beruhigen Sie sich, liebe Frau Hartmann. Fehler können passieren ...“

„Soll ja sein. Aber nicht bei mir, Frau Weber.“

„Ich hole jetzt das notwendige Material und dann legen wir los, Frau Hartmann ... Wie viel darf ich denn abschneiden?“

„So viel.“Frau Hartmann deutet mit dem Zwischenraum zweier Finger an, wie viel sie unter so viel versteht. „Die Spitzen eben.“

„Thomas“,ruft die Chefin, „Bringst du unserer Kundin eine zweite Tasse Kaffee ... Sie möchte doch eine zweite Tasse, Frau Hartmann?“

„Ist schon recht. Danke.“

Nachdem Thomas den Kaffee gebracht hat, geht er zurück zu Frau Grundwein. Die wartet, dass der Azubi ihr die Haare wäscht. „Sagen Sie Frau Weber ...“

„Ja?“

„Passen Sie doch auf Herr Thomas“, schimpft Frau Grundwein lautstark. „Das Wasser ist viel zu heiß. Sie verbrühen mir ja die Kopfhaut.“

„Oh, entschuldigen Sie. Das ist mir peinlich. Das kommt nicht wieder vor“, stammelt der Auszubildende.

„Das hoffe ich ...“

Die Chefin eilt zu Frau Grundwein und beruhigt sie.

„Das hat Herr Thomas ganz bestimmt nicht mit Absicht getan. Sie wissen, aller Anfang ist schwer.“

„Ist schon gut“, lenkt Frau Grundwein ein. „Ist ja weiter nichts passiert. War halt erschrocken ...“

„Soll ich Ihnen erzählen“, fragt die Chefin, „ was mir als Lehrling passiert ist?“

Sowohl Frau Grundwein, als auch Frau Hartmann und ein Kunde, der auf seinen Haarschnitt wartet, sagen:„Ja.“

„Ich hatte, obwohl ich im Haareschneiden schon geübt war, einem Herren ins Ohr geschnitten.“

„Au weia“, sagt Frau Grundwein.

„Nicht möglich“,kommentiert Frau Hartmann.

Vom wartenden Herrn kommt nicht.

Nur gut, dass meine damalige Chefin das Blut zum Stillen bekam. Mir war das Ganze unendlich peinlich ... So weit ich mich erinnern kam, musste der Herr den Haarschnitt nicht bezahlen.“

„Na, das wäre ja noch schöner gewesen“, merkt Frau Grundwein an und genießt die Kopfmassage, die Thomas ihr verabreicht.

„Ich hätte mich geweigert, hätte ich bezahlen sollen“,meint Frau Hartmann und trinkt ihre Tasse leer.

Vom wartendem Herrn kommt kein Kommentar.

Die Chefin geht zurück zu ihrer Kundin.

„Sie wollten mich vorhin etwas fragen oder mir etwas erzählen ...“

„Ach ja?“,fragt Frau Hartmann. „Ach, jetzt fällt es mir wieder ein. Sagen Sie Frau Hartmann, ist Herr Thomas anders rum?“

Frau Weber überlegt, was sie sagen soll.

In unserem Gewerbe ist es nicht ungewöhnlich, das Personal homosexuell ist. Aber wie kommen Sie darauf, so was anzunehmen, Frau Hartmann?“

„Ach wissen Sie, ich habe einen Blick dafür. Bei mir im Haus wohnt einer, der ist auch Friseur, und der ist bekennender Homo. Wenn ich die beiden so vergleiche ...“

„Bei mir zählt der Mensch und dessen Fähigkeiten“, erklärt die Chefin. „Das Privatleben hat mich nicht zu interessieren.“

„Da muss ich Ihnen recht geben.“

Plötzlich geht die Ladentür auf. Karin Schwertfeger, außer Atem und geschwitzt betritt das Geschäft.

„Entschuldigung Chefin. Der Bus ist ausgefallen ...“

„Der gleiche Bus, wie gestern?“, fragt die Chefin, der anzusehen ist, dass sie sich ärgert.

Sie holt tief Luft.

„Machen Sie sich ein wenig frisch und schneiden Sie anschließend Herrn Conrad die Haare. Während er auf Sie wartet, hat er bereist die dritte Zeitschrift durchgeblättert. Von mir wollte er sich nicht die Haare schneiden lassen. Er meint, dass Sie es am besten können ... So ist es doch Herr Conrad, oder?“

Karin Schwertfeger beeilt sich dem Frischmachen und ist schnell zur Stelle.

„So wie beim letzten Mal, Herr Conrad?“

„Nee, nicht so wie bei meinem letzten Besuch. Meine Elsa meinte, Sie hätten zu viel abgeschnitten. Sie wollte mich schon zurückschicken. Ich fragte sie, warum. Meinst du, Frau Karin klebt mir die abgeschnittenen Haare wieder an? ...“

Alle im Salon müssen lachen. Die Stimmung ist gut.

Die Mitarbeiter verrichten ihre Arbeit. Die Kundschaft scheint zufrieden. Es kommen keine Beanstandungen.

 

18:15 verlässt der letzte Kunde den Salon.

 

Karin Schwertfeger erfährt von ihrer Chefin, dass sie abgemahnt wird, wenn sie noch einmal zu spät zur Arbeit erscheint.

Dem Azubi erklärt sie, dass er die Wassertemperatur, bevor er mit dem Waschen beginnt, mit der Hand überprüfen muss.

 

Frau Hartmann war nach ihrem Friseurbesuch noch shoppen gegangen und kommt erst gegen Abend nach Hause. Im Flur schaut sie in den Garderobenspiegel. „Sieh nur richtig hin. Ich bin’s wirklich.

Überschwänglich, was sonst nicht ihre Art ist, drückt sie dem Spiel einen Kuss auf und sagt:

Da staunst du, oder? Das hättest du nicht gedacht, dass die alte Hartmann so ein flotter Feger sein kann.“

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.07.2019. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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