Gherkin

If I had a hammer...





Die frühe Jugend ist aufregend und sehr verwirrend. Als ich im April 1962 die Version von Peter, Paul & Mary hörte (im Original von Pete Seeger), hatte ich gerade im ersten Jahr den Englisch-Unterricht an der Schule. Ich begriff überhaupt nicht, was da gemeint war. „If I had a hammer!“ Wenn ich einen Hammer hätte? Nun ja, und was dann? Im weiteren Teil dieses Songs hörte ich immer, natürlich lag ich da völlig falsch: „A hammer in the morning...“ und weiter: „A hammer in the evening“. Was hatten die nur mit diesem verdammten Hammer vor? Ich zerbrach mir den Kopf.

Die Feinheiten dieser mir bislang neuen Sprache blieben mir völlig verborgen. Wenn ich also einen Hammer hätte, am frühen Morgen und am späten Nachmittag respektive am Abend, was also würde ich mit diesem Hammer machen? Was denn nur?

Abbrucharbeiten? Die Briefkästen der Nachbarn zertrümmern? Das war damals ein wirklich hinreichend „lustiger“ Dummer-Jungen-Streich, rund um die frühen 1960er Jahre. Dieser für mich mehr als merkwürdige „Hammer“-Song ließ mich unentwegt darüber philosophieren.

Zu jener Zeit gab es erste Erotik-Streifen in den Kinos. Die Brüste der Damen, Frauen und „leichten Mädchen“ waren unter einem dicken schwarzen Balken verborgen. Ich, der ich ja noch überhaupt keine nackten Frauenbrüste gesehen hatte in meinem Leben, war in großen Nöten. Was war da unter diesen schwarzen Balken verborgen? Was in aller Welt hatten die denn da unter Blusen, Kleidern und BH versteckt? Was gab es da zu verbergen, damit kein Mensch es sehen durfte? Ich lungerte ständig vor diesen „Aki“-Kinos herum. Ich wollte der Klassenschönsten sogar mein Schweizer Messer geben, wenn sie mich mal schauen ließe....

Aber die Holde lehnte, leicht entrüstet, ab. Ihre Mutter suchte hernach meinen Vater auf. Ob er denn wisse, wie „versaut“ sein blutjunger Sohn denn bereits JETZT wäre?! 1962! Volle 3 Wochen Stubenarrest. Zudem wurde mir streng geraten, die Selbstbefriedigung gar nicht erst groß "in Erwägung zu ziehen", Rückenmarkschwund sei die dramatische Folge. Damals wussten die Altvorderen noch wirklich zu schocken! Und ich glaubte diesen Unsinn auch noch. Was blieb mir übrig? Wusste ich doch, siehe oben, rein gar nichts über die Sexualität. Erst mit Ende 23 verlor ich meine Unschuld. Brauchte gut 20 Jahre, um all den Tinnef von damals abzustreifen. Hatte ewig lange große Angst vor Busen und all "dem da unten".

In meiner 3. Klasse machte ein Witz die Runde. Ein gezeichneter Witz. Da wurde, wie damals ja üblich, eine Frau mit üppigem Schamhaar gezeigt. Daneben ein kleiner Junge. Die Frau hat nur eine Bluse an, sonst nichts. Sie fragt den kleinen Jungen: „Na, weißt du, was das da unten ist?“ Der Junge, so mutig und verwegen: „Nein, das habe ich noch nie gesehen. Aber wenn du mir einen Knüppel gibst, helfe ich dir, es totzuschlagen!“ Ich begriff überhaupt nichts. Keinerlei Sexualkunde, keine Aufklärung durch ein langes ‘Vater-Sohn-Gespräch’, auch die Schulkameraden - null Wissen um all diese quälenden Geheimnisse. Keine Informationen!

Das war mein Verständnis von Erotik, Sex und dem anderen, geheimnisvollen Geschlecht. „Da unten“ musste es sehr merkwürdig aussehen, und obenrum hatten die Damen Balken. Wenn aber nicht, dann musste darunter etwas sehr Bizarres, Befremdliches und reichlichst Abnormes sein, das niemand sehen durfte. Vielleicht zeigten sie es ja in diesen anrüchigen Kinos im Bahnhofsviertel? Zu gern wäre ich 10 Jahre älter gewesen. Dann hätte ich endlich Auskunft erhalten. Aber so... Unwissend und sehr ängstlich harrte ich der Dinge, die da auf mich warteten. Blusen, BH und Busen, und „das da unten“ - sehr, sehr verwirrend für einen Knaben. Ich konnte es kaum erwarten, das Rätsel zu lösen, die Geheimnisse zu ergründen - aber ebenso sehr hoffte ich, dass ich noch Zeit hätte, um all diese Wahrheiten zu erfahren.

Heute weiß ich natürlich den Song von Pete Seeger, Trini Lopez oder Peter, Paul & Mary richtig zu deuten. Aber heute deute ich ihn wissentlich und willentlich falsch. Die Potenz! Altersprobleme! Einer, der auf die 70 zugeht und nicht mehr im Vollbesitz seiner „Kräfte“  scheint, der wünscht sich was? Wenn er sich absolut kein Viagra leisten kann?

Richtig! Einen Hammer am frühen Morgen und gern auch am späten Abend. Heute höre ich den Song mit völlig anderem Verständnis, mit ganz anderen Ohren. Lege ich heute T. Lopez auf (die Original-Version von Pete Seeger habe ich nie gehört, es war wohl einstmals sicher ein Protest-Song!), oder Peter, Paul & Mary, dann „deute ich die Zeilen komplett um“. Mein Wunsch ist/wäre: If I had a hammer! Ja, hätte ich nur einen. Mögen hätte ich schon wollen,  aber können mag ER nicht! Da haben wir das Problem. In meinem Kopf läuft dieser Song immer und immer wieder. Und ich denke dann stets: Ja, zum Teufel, hätte ich doch einen Hammer! Zum Teufel! Hätt´ ich doch einen...

Da bleibst du einsam, hörst Protestsongs aus den 1960er Jahren, trinkst dir ein Glas Rotwein, philosophierst vor dich hin, übst dich in Verzicht und Demut - und was bleibt am Ende übrig? Der Wunsch: „If I had a hammer“. So profan ist oftmals das Leben. Die früher vielfältige und wunderbare, immer wieder neue Liebe, sie wurde als gegeben und „allzeit bereit“ sehr gerne angenommen und wahrgenommen. Du denkst („all systems are running“) nicht darüber nach, wenn es keine Probleme gibt. Im Alter trauerst du all diesen schönen Zeiten nach. Traurich in Aurich. Und es ist schon etwas Wahres dran: Ein alter Mann, der nicht mehr kann, der denkt den ganzen Tag daran. Doch, das kann ich bestätigen. Peinlich, aber wahr...

Ab und an veröffentliche ich etwas auf e-stories.de, damit dieses leidige Gedankenspiel auch mal, vorübergehend, aufhört. Einfach ist das Alter nicht. Das muss man sich doch recht hart erarbeiten. Schwer wird´s aber dann, wenn die Zipperlein und Wehwehchen gehäuft, ständig und vor allem die Basis betreffend überhand nehmen. Dann geht´s ans Eingemachte. Und das wollte ich den jungen Menschen einfach mal zurufen: Genießt es, solange es noch geht. Eine Zeit wird kommen, ja doch, ist so, da wird das, was heute normal erscheint, zu einem echten Problem. Wenn´s nicht mehr klappt, ist das Gezeter groß. Und stets nur auf der Männer-Seite. Frauen geben uns einen Kuss auf die Stirn und sagen dann, freundlich lächelnd: „Ist doch gar nicht so schlimm... Das kann doch wirklich JEDEM mal passieren... Für mich kein Problem.“

Für uns aber doch! Vor allem: Es bleibt ein Problem. Unbehebbar! Gibt es dieses Wörtchen  überhaupt? Na, egal - ich muss noch immer heftig schmunzeln, wenn irgendwo dieser Song läuft. Für mich ist es ein ganz eigener, sehr persönlicher PROTEST-Song (hatte ich doch so lange einen Hammer... Und wo ist dieser Hammer jetzt? Wenn man ihn denn wirklich braucht??)!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.09.2019. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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