Christine Wolny

Wattinchen und ihr Muff



Wattinchen war damals vier Jahre alt und lebte bei ihrer Großmutter, denn die Mutter war gestorben, noch ehe sie drei Jahre alt war.

An dieses Weihnachten kann sie sich bewusst erinnern, denn das Christkind schenkte ihr und ihrer großen Schwester je einen Muff. Wattinchens Muff war rau und aus Lammfell, der ihrer Schwester weich und aus Hasenfell.


Wattinchen wollte so sehr was Weiches, wattiges, wohliges, anschmiegsames, wärmendes, zartes, aber gerade sie bekam das struppige, raue, harte, robuste Fell zugeteilt und war darüber am Heiligabend sehr unglücklich.

Auch Oma war nicht froh über die Entscheidung des Christkindes, und Wattinchens Schwester wollte um keinen Preis ihren weichen Muff tauschen.
“Wenn ich das bloß geahnt hätte“! stöhnte Oma. Sie wollte doch Wattinchen auch froh und glücklich sehen. Stattdessen weinte das kleine Wattinchen.


Am Heiligabend stapfte Wattinchen mit der Großmutter und der Schwester zur drei Kilometer entfernten Kirche. Ihre Händchen waren im rauen Muff versteckt, und Wattinchen schielte sehnsüchtig zu ihrer Schwester hinüber, die stolz ihren schwarzweißen, kuscheligen Muff trug.
In der warmen, hell erleuchteten Kirche vergaß sie aber für eine Weile ihren Schmerz und schaute sich den großen beleuchteten Weihnachtsbaum und die Krippe an.


Erst viel später war das Interesse der Schwester am Hasenmuff erloschen.
Unbeachtet lag er in der Ecke, aber nicht für Wattinchen. Sie schnappte sich das weiche Fell, drückte ihre Wangen dran, streichelte es immer und immer wieder und fühlte sich gut dabei. Der Muff wurde auch zum Einschlafen verwendet.

Der Winter war schon längst vorbei, doch der Muff war stets in Wattinchens Nähe. Sie brauchte einfach etwas Wattiges, Weiches, vielleicht war es ein Ersatz für zu wenig Streicheleinheiten.
Wenn sie heute ihre Katzen streichelt, (Katzen- und Hasenfell gleichen sich in ihrer Weichheit), denkt sie öfters an den weichen Muff.

Sie musste verzichten lernen. Es war schlimm, es tat weh, es rollten Tränen, aber sie bekam dann doch - wenn auch später - das Heißersehnte, Begehrte.
Wo der Muff geblieben ist, weiß Wattinchen heute nicht mehr.

Trotzdem denkt sie noch manchmal am Heiligabend an ihr Erlebnis und hört Oma sagen:
“Wenn ich das gewusst hätte, ich hätte doch zwei Gleiche genommen“.
Da tut ihr jetzt die liebe Oma leid, sie war so herzensgut und wollte doch nur Freude schenken, aber das verstand Wattinchen damals noch nicht.




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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.11.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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