Angelika Güth

Mondsüchtig

 

Mondsüchtig

Ein Märchen

Es war einmal ein König, der hatte eine wunderschöne Tochter, doch sein größter Wunsch war es, seine Tochter zu verheiraten. Die Prinzessin aber liebte nur den Mond. Jede Nacht saß sie von Mondaufgang bis zum Monduntergang im Garten des Schlosses auf einer goldenen Bank und sah zum Mond hinauf. Im ganzen Land schickte der König nach jungen Prinzen, die seine Tochter heiraten sollten. Viele Prinzen kamen, zu Pferd, mit Kutsche und zu Fuß. Aber wenn ein Prinz um die Hand der Prinzessin anhalten wollte, sagte sie nur: "Ich werde Euch gerne heiraten Prinz, wenn Ihr mir den Mond schenkt!“. Diesen Wunsch aber konnte ihr kein Prinz erfüllen. Der König war verzweifelt, und so ging das viele, viele Monde lang.

Da hörte ein junger Dichter von der schönen Prinzessin. Sofort wusste er, die würde seine Frau, komme was da wolle. Und so machte er sich auf den langen Weg vom Nordland des Königsreiches hin zum Südland. Er überquerte verschneite hohe Berge, überwand tiefe Schluchten, kletterte waghalsig über steile Klippen und schwamm durch reißende Flüsse. Er durchquerte heiße Wüsten und staubige Steppen. Nichts konnte ihn aufhalten. Er schlief in windschiefen Scheunen, stinkenden Schweineställen, feuchten Feldgräben und unter kalten Wüstenhimmeln. Er kämpfte mit Bären und seltsam schillernden Vögeln, mit grün glitzernden Schlangen, bedrohlichen Riesen und winzigen Trollen. Doch all das konnte ihn nicht aufhalten.

Es wurde Winter und wieder Sommer. Aber dann, eines morgens, sah der junge ‚Dichter aus dem Nordland in der Ferne das mächtige Schloss des Königs. In der Morgensonne sah es noch majestätischer, größer und schimmernder, als er es sich vorgestellt hatte. Er machte einen Luftsprung voll Freude, dass er es endlich geschafft hatte. Leichten Schrittes lief er auf das Schloss zu. Die lange, anstrengende Reise hatte den braunen, dicken Reiseumhang des jungen Mannes verschmutzt und zerschlissen, seine Schuhe waren löchrig und unansehnlich geworden. Doch das konnte ihn nicht von seinem Ziel abhalten. Er zog seinen langen Umhang zurecht, klopfte ihn sorgfältig ab und wischte sich mit einem Grasbüschel die Schuhe rein.

Mit einer tiefen Verbeugung trat er so vor den König und bat um die Hand der Prinzessin. Erstaunt betrachtete der König die ungewöhnliche Aufmachung des jungen Mannes. Aber dann rief er doch seinen wichtigsten Diener und ließ ihn in den Garten zu der Prinzessin führen. Als er die Prinzessin sah fand er, sie war noch viel schöner, als er es sich auf seiner langen Reise vorgestellt hatte. Ihr Haar glänzte im Mondlicht wie gesponnenes Silber und ihre Haut schimmerte wie Perlen. Sie saß auf einer goldenen Bank und blickte andächtig zum Mond hinauf. Ein tiefer Seufzer entfuhr dem Mund des jungen Dichters. „Mein Gott“, dachte er, „sie ist so schön“. Mit zitternden Knien verbeugte er sich tief. "Mein Herr, ich kenne Euer Anliegen, ihr möchtet mich heiraten,“ hörte er sie sprechen, „und doch muss ich Euch sagen, dass ich erst Eure Gemahlin werden kann, wenn Ihr mir den Mond schenkt" Das verwunderte den Dichter sehr und er fragte leise: „Aber edle Prinzessin, ist der Mond nicht viel zu groß und viel zu schwer für Euch?“ Lächelnd schüttelte die Prinzessin den Kopf, das Silberhaar lag wie ein Sternenumhang um ihre Schultern, und sie erwiderte: "Aber mein werter Herr, der Mond ist doch nicht größer als mein Gesicht." Der junge Mann sah sie an, dachte kurz nach, lächelte dann und nickte. „Ihr habt Recht Prinzessin, ich werde euren Wunsch erfüllen“.

Schnellen Fußes suchte er den Schmied des Dorfes und gab den Auftrag, eine Kugel aus purem Gold zu fertigen. Der Schmied nickte freundlich wissend und begann sogleich mit der Arbeit. Der Dichter aber ging in das kleine Wirtshaus des Dorfes und wartete Tag um Tag geduldig auf die Nacht, in der kein Mond am Himmel zu sehen war, dem Neumond. Als die Neumond-Nacht anbrach, suchte er wieder den Schmied auf. Der hatte inzwischen wunderbare Arbeit geleistet. Der Dichter nahm voll Freude die goldene Mond-Kugel in Empfang, betrachtete sie glücklich und nickte. Schnellen Schrittes machte er sich auf den Weg zum Schlossgarten der Prinzessin. Da saß sie. Er betrachtete sie lange. Dann, tief verbeugte er sich wieder vor ihr, legte behutsam die goldene Kugel in ihren Schoß und sagte "Hier, liebste Prinzessin, hier ist mein Mond, den ihr euch so sehnlich wünscht. Bitte heiratet mich". Die Prinzessin betrachtete die goldene Kugel, drehte sie in ihren Händen, blickte auf den dunklen mondlosen Neumond-Himmel, und dann, mit strahlenden Augen betrachtete sie den jungen Mann. „Ja“, rief sie, „Ja, euch will ich heiraten, ihr habt mir den Mond geschenkt“.

Da war eine große Freude im Südland, und der König ließ seine Herolde im ganzen Königreich ausschwärmen, um die Hochzeit der Prinzessin mit dem Dichter aus dem Nordland zu verkünden. Am Tag der Hochzeit aber warf die Prinzessin den goldenen Kugel-Mond hoch in den Himmel und rief „Du musst dir wieder den Platz zwischen all den Sternen suchen, Mond, denn da gehörst du ja hin. Von diesem Tag an saß sie nicht mehr nachts im Garten, denn sie wusste ja ganz tief in sich, dass der Mond zwar da oben, aber auch ihr Mond war.

Und der junge Dichter und die schöne Prinzessin lebten glücklich bis an ihr Lebensende.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.07.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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