Einmal habe ich Glück gehabt.
Ich war zu meinem Bruder gefahren, da ich sonst mit meinem Leben nichts anzufangen wusste, unter widrigen Umständen, denn die Schweden waren Motorradfahrern nicht gut, langhaarigen zumal, und mit wenig Geld. Mein Bruder musste mir von der Maschine helfen: durchnässt, steif gefroren, durchkrampft die lange Strecke. Mein tiefster Eindruck war die säuerliche Dickmilch verschiedener Variationen, und der warme Tee.
Mein Bruder gab sich Mühe mit mir.
Nun bestiegen wir ein Schiff im Stockholmer Hafen, direkt am Schloss, bei strahlendem Sonnenschein, und ließen uns fahren durch die Schären nach Drottningholm, dem Sommerschloß der Königin, einer barocken Anlage mit schönem, weitläufigem Garten. Darin die Sensation: ein weitgehend originales Theater aus damaliger Zeit, das lange vergessen, dann wieder erkannt und hergerichtet ward mitsamt der Maschinerie: Donner von einem über Dielenboden gerollten Felsbrocken zum Beispiel, oder durch das Wölben, Schütteln von Blech, einer großen Platte. Genial der Ocean: sechs Baumstämme, horizontal gelagert in leicht ansteigender Folge, quer zum Publikum, schraubenförmig ausgeschnitten, die Kehlen blau, die Stege weiß, ein jeder gleichmäßig gedreht an einer Kurbel verborgen am Ende, im Sturme auch wild. Da mochte ein Schiff wohl hindurch gehen, Schwimmer, Schiffbrüchige, ein Schwan.
Auf der Rückfahrt fuhren wir in den langanhaltenden Sonnenuntergang des Mittsommers, die silberne und rotgoldene Schraubengischt mit Möwen gespickt, das Wasser platschend an den Inseln rechts und links. Ein jeder sollte da die Zauberflöte wohl hören!
Mein Bruder hatte auf dem Schiff Bekannte getroffen: eine andere Dozentin, und ich ward ihr vorgestellt. In ihrer Begleitung befand sich ein Mädchen, eine junge Frau, die starrte ich an wie von einem andern Stern, der Traum aller Träume: groß, und doch schlank, sanft gebräunte Haut, ein sinnlicher Mund, schwarze Augen und scharze Locken, lang und wallend. Sie kauerte auf der Bank an der Reeling, rittlinks, dehnte sich wie eine Katze, konnte von Ferne so nur grüßen. Ich wars zufrieden, konnte so doch sie betrachten, insgesamt, verhohlen, und musste nicht auf Englisch parlieren, dessen sie nur mächtig. So schaute ich in die Gischt, auf die Felsen, die Vögel, wenn mir eine Betrachtung der Schönen nicht mehr ziemlich schien dann und wann, lauschte dem Gespräch meines Bruders mit seiner Bekanten, das manchmal nur durch eine Übersetzung, eine Erläuterung meines Bruders unterbrochen wurde, an mich gerichtet, und erhaschte einige Male einen verstohlenen Blick des Mädchens, auf mich gerichtet.
Jene Bekannte meines Bruders gesellte sich zu Ihrer Nichte, die, wie sie berichtet hatte, aus Südafrika zugegen, um das Land ihrer Väter zu erkunden, mochte sich wohl nach ihrem Befinden erkunden, erhob sich schließlich, strich ihrer Nichte, im Gehen schon, über das Haar, zärtlich, was mich mit Neid erfüllte, in diesem Wimpernschlag. Die Bekannte kehrte zurück zu meinem Bruder und mir, als Parlamentärin, diplomatisch, und hub an, an mich gewendet, dieweil mein Bruder übersetzte, dolmetschte, vermittelte, dass für ihre Nichte am nächsten Tage schon eine Busreise gebucht, rund um das Land, ihr aber sei langweilig von den Schweden, die sie als hölzern empfunden, und so frug sie mich, ob ich sie begleiten möge auf nämlicher Reise: ein Platz sei noch frei. Ich hatte einzuwenden, dass ich kein Geld habe für solcherlei Fahrt, noch für jegliches Abenteuer, mit knapper Not nur sehen könne noch wieder nach Hause zu gelangen mit meiner Barschaft: dem ward begegnet mit mildem Lächeln, an alles dies sei gedacht, es bestünden solcherlei Hindernisse nicht, das Mädchen selbst sei vermögend, die Tante würde ihr Scherflein beitragen, und auch mein Bruder anerbot sich. Ich jedoch, erschüttert von der plötzlichen Not, solchen Traum als Chance jetzt zu erleben, hier und gleich, radebrechend in fremder Sprache zumal, mit geschenktem Gelde, gezwungen in ein Programm, das das meine nicht, voller Angst, vor dem Schmerz, der Enttäuschung, die unvermeidlich folgen musste aus solchem Abenteuer, solcher Frau, ich blieb bei meinem schroffen NEIN NEIN NEIN, verschanzt hinter sachlichen Argumenten.
Bei mir gedacht; wie sollte es weitergehen, wenn ich ihr, was unweigerlich wäre, verfallen? Wie es den Genossen erklären, dass ich eine Südafrikanerin liebte, in der Apartheid der Gipfel des politischen Frevels? Wie das Wiedersehen finanzieren? Wie aber, am allerschlimmsten noch, wie aber sollte ich ihr genügen, ein Nichts, ein Looser. Ich, dieser aparten Frau, gemacht, gedacht für einen anderen Stern? So tröstete ich mich mit meinem Stolz. SItuationsintelligenz war nie meine Stärke.
Die Fahrt dauerte lang noch, Mein zaghaftes Lächeln in die Richtung der Schönen, unbeholfen, ward nicht mehr erwidert.
Noch heute denke ich, wie wohl mein Leben verlaufen wäre, wenn ich gewagt hätte, damals.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.09.2023.
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