Vor einigen Jahren, da zog meine alte Kinderärztin – so ward sie mir beschrieben – in ein Heim, nicht weit von dem Haus meiner Eltern, dem geliebten. Darin wohnte noch meine Mutter.
Diese machte es sich nun zur Gewohnheit, nach der alten Dame zu schauen, zu Zeiten, denn waren alle Tanten, die sonst in der Nähe wohnten, bereits gestorben, und mein Vater auch.
Nicht, daß ich mich ihrer noch wirklich erinnert hätte. Ab und an blitze ein Bild vor meinen Augen auf einer klein, resoluten, rundlichen Frau mit runden Brillengläsern, mehr noch aber von der Straße, in der sie früher wohl gewohnt, und war diese mit Basalt gepflastert gewesen, bei Regen dunkelblau, fast schwarz schon, und der Rutschigkeit halber dann nur schwer zu begehen. Ihr Vater hatte ein Plattdeutsches Wörterbuch geschrieben, vor vielen Jahren, und als ich davon ein Exemplar angelegentlich fand, hatte ich beschlossen, das heimatliche Idiom zu erlernen, wiewohl wir nur zugezogen, meine Eltern vielmehr, ich aber liebte die Sprache ihrer Laute, ihres Klanges wegen – sie schien mir bildhaft, bodenständig, nah. Auch dieses ist wohl ein Irrtum gewesen, und ich habe sie nicht wirklich zu lernen vermocht.
In diesem Heim nun war die alte Dame auf ein Zimmer reduziert, auf ein Fenster darin, und war es eine rechte Schuhschachtel. Darein hatte sie einen Stuhl gerettet, aus ihrem früheren, ihrem Leben, und war sie ungeheuer stolz darauf, war es doch ein Freischwinger von Mies van der Rohe, aus der originalen Produktion, und sie zeigte ihn mir häufig, da ich doch Architekt wurde, und machte kleine Andeutungen über ein mögliches Erbe, das mich verlegen stimmte, Hatte ich doch schon etliche solcher Stühle erworben, und sollte ich denn sitzen auf Erinnerung?
Wenn ich zugegen, um nach meiner Mutter zu schaun, auch nach dem Haus, dem Garten, da durfte ich häufiger auch Dr. B etwas bringen. Und, mit der Zeit – es war nicht lang – war Aufregung gegeben, immer aufs Neue, da sie es in dem Heim nicht hielt, und war sie dann einzufangen, wenn sie in der Nachbarschaft herum irrte. Auch zu uns fand sie nicht mehr, nur, wenn man sie führte.
Als sie einmal wieder aushäusig gewesen, morgens in der Frühe, noch weit bis zum Morgenessen, und im Nachthemde, da rief man meine Mutter, sie zu beruhigen.
B. lag in ihrem Bette, ganz still, ganz freundlich, ganz klein, blinzelte, die Augen aber ganz wach! Da nahm sie, fasste die Hand meiner Mutter, die sich zu ihr gesetzt, auf nämlichen Stuhl, welchen sie herangezogen, und sprach mit klarer, fester Stimme, aber versonnen doch: „Ich bin nicht mehr kompetent für mich!“
Nicht lange darauf ist sie gestorben. Der Stuhl ward nicht mehr gesehn.
Dr. Herta Böning, Oldenburg - auf einem anderen Stuhl
Dr. Herta Böning
Vorheriger TitelNächster TitelDie Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Burckhardt Fischer).
Der Beitrag wurde von Burckhardt Fischer auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.09.2023.
- Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
Burckhardt Fischer als Lieblingsautor markieren
Liebe in Stücke
von Paul Riedel
Pragmatische Rezepte können nur zusammengestellt werden, wenn man täglich kocht. Einer mag ein Gemüse nicht, andere wollen nur die Rosinen aus dem Kuchen, und so gestaltet sich der Alltag in der Küche.
Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!
Vorheriger Titel Nächster Titel
Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:
Diesen Beitrag empfehlen: