Burckhardt Fischer

Von einigen Todesfällen

Vor etlichen Jahren arbeitete ich, neben anderem, an der Erforschung und Erhaltung einer bedeutenden Festung.

Es war ein mühsames Geschäft, nicht nur wegen der recht unzureichenden Entlohnung dabei, sondern da die diversen Beteiligten zumeist chaotisch agierten, nicht am Ergebnis orientiert und uninformiert häufig dazu, sich gegenseitig bekriegten, austricksten, ihren Eitelkeiten, Vorurteilen lebten. Ich aber war, trotz allem, immer wieder fasziniert von diesem Gemäuer – wann bekommt man sonst schon Gelegenheit, derart den Hauch der Geschichte zu spüren, vergangenen Zeiten nachzujagen, zu Forschen und zu Bauen zugleich. Bin aber fast durchweg gescheitert, immer wieder, über 25 Jahre hinweg. mit Unterbrechungen.

Nun hatte aber, kaum, daß ich meine Tätigkeit dort begonnen, die gerade neu gegründete Abteilung für Gartendenkmalpflege eingegriffen, um die immensen Unterhaltskosten für das üppig wuchernde Grün auf den Wällen einzudämmen, und hatte – gänzlich unhistorisch – versuchsweise eine der langen Wallstrecken zunächst roden, dann vollständig mit Cotoneaster bepflanzen lassen. Dieses geriet zum vollständigen Unglück, denn nicht nur wurde die Bodenerosion der steilen Hänge drastisch beschleunigt, sondern es wurden, zum Ausjäten des nunmehr unerwünschten Wildwuchses zwischen den neu gesetzten Sträuchern, nicht nur wie bislang zweimal des Jahres eine Mahd benötigt, sondern die Gärtner mußten nahezu beständig hinaus, sich - da die Böschungen nach den Vorschriften der zuständigen Berufsgenossenschaft zu steil - mit den geforderten Sicherungsseilen verheddernd, fluchend über die kratzigen Zweige, die Unwegsamkeit, die endlos erscheinende Fläche. Der alte Professor Sukopp aber, über Festungsflora und Artenvielfalt dozierend, der sich hier schmählich hintergangen sah, triumphierte. Auch daher ward das Experiment natürlich fortgesetzt, und da man die beträchtliche Investition sonst kaum hätte rechtfertigen können, bei einem Scheitern.

Ich aber wurde dafür auserkoren, im illustren Kreis der Denkmalpfleger auf deren Jahrestagung einen Vortrag hierzu zu halten, was weitgehend mißlang, jedoch aus anderen, örtlichen Gründen. Dieses fand statt auf der Zitadelle in Jülich, unserem Gemäuer in Teilen vergleichbar, und hatte mich dort besonders beeindruckt, daß in den Festungsgräben, die dort trocken, wasserlos waren, Hirsche gehalten wurden, um den sonst auf dem fruchtbaren Festungsboden kaum zu stoppenden Aufwuchs von Sträuchern und Baumschößlingen zu bändigen: ein schöner und anrührender Anblick zugleich, so nah.
Im Archiv war ich zudem fündig geworden mit einer Urkunde, darin beschrieben wurde die jährlich neu zu vergebende Pacht und VERPFLICHTUNG an Hausmeister und Pedelle unserer Festung zur Haltung jeweils einer festgesetzten Zahl von Schafen und Ziegen, um besagten Aufwuchs in Schach zu halten und solchermaßen insbesondere für hinreichend freies Schußfeld zu sorgen, in früheren Zeiten. Dieses trug ich im montäglich tagenden Baugremium vor, zusammen mit einem paßgenau erarbeiteten Konzept zur genauen Anzahl der benötigten Tiere, der Möglichkeiten von Versorgung, Pflege, Unterbringung, Kosten.

Dieses war mir möglich geworden dank der Hilfe von Professor Sambraus, den ich gerade kennengelernt, war er doch aus dem nordfriesischen Eiderstedt gebürtig und hielt sich noch den elterlichen Haubarg dort, einem riesigen, reetgedeckten traditionellen Bauernhaus nur in diesem Landstrich, und hatte mein Bruder gerade den Nachbarhof erworben und sich dabei unglücklich gemacht mit dem Versuch, dies alles zu retten. Professor Sambraus aber war ordinarius am Lehrstuhl für aussterbende Haustierrassen in München, schenkte mir seinen gerade erschienen Atlas derselben und beriet mich geduldig und ausführlich, welche Tiere in Frage kämen: als da wichtig sei, daß diese erfahren seien mit gebirgigen Situationen, wie auf den Festungen, respektive den Mauern und Wällen ja anzunehmen – hier 13 m tief, und mehr.
Auf seine Empfehlungen hin und mit seiner Hilfe telefonierte ich mit Züchtern der geeigneten Rassen, eruierte Preise, Verfügbarkeiten, besondere Erfordernisse, beschrieb dieses in einem Dossier und trug auch dieses vor.

Der Landeskonservator, der in jenem Gremium des Montags früh um 8 Uhr Hof hielt wie ein barocker Fürst, war BEGEISTERT. Da die Finanzierung solcher Maßnahmen im Landeshaushalt, zumal im Bauetat aber nicht vorgesehen, erhielt ich den Auftrag, Patenschaften für die zu beschaffenden Tiere zu finden, durfte in einer gesonderten Audienz bei ihm, in seinem düsteren, riesigen Büro erscheinen, um seine Überlegungen zur Ausgestaltung der betreffenden Patenschafts-Urkunden entgegenzunehmen und über meine Erfolge in jener Angelegenheit bislang Bericht zu erstatten. Dieweil saß sein Mitarbeiter P., der so gern an jenem Denkmal gearbeitet hatte, aber nicht durfte, da Professor E. eben es sich selber vorbehalten, in jenem Büro – da er keinen anderen Platz in jener Behörde gefunden hatte zu dieser Zeit – am Fenster, uns den Rücken zugewandt, hörte zu und haßte seinen Chef, der ihm solches Tun verwehrte. Ich aber war ihm freundschaftlich verbunden.

Nun lag aber für solche Maßnahmen, zumal den Unterhalt der Anlage, die Zuständigkeit bei anderen Behörden, und ließ man jenen geschäftigen großen Herren dort gerne auflaufen auch, damit er nicht zu mächtig würde. Und ich, da Freiberufler nur, nicht Teil dieser Behörde, wurde ohnehin nicht eingebunden, durfte zuliefern nur auf Nachfragen.
Das Projekt aber war bereits zu weit gediehen, das Konzept zu begründet, als daß man sich diesem Vorhaben noch vollständig entziehen können. Man kam also überein, zunächst – bevor man in irgendeiner Form Fakten schaffen müsse, Ställe bereitstellen, Personal besorgen, Verwaltungsvorgänge kreieren – einen VERSUCH solcher Beweidung vorzunehmen, ob die gewünschten Resultate tatsächlich dauerhaft zu erzielen sein würden.
Hierfür lieh man eine kleine Herde jenes Schäfers, der einen Flugplatz in diesem Bezirk damit beweidete und solchermaßen freihielt, wiewohl jenes Feld von den Alliierten nur noch selten benutzt. Da das Gemäuer zu jener Zeit nur wochentags genutzt ward , verbrachte der gute Mann seine Tiere des Freitags Abend dahin, damit sie sich in Ruhe eingewöhnen könnten.

Nun ist ein Flugfeld bekanntermaßen zumeist nicht eben gebirgig, seine Herde bestand also auf Flachlandtirolern und entsprach in keinster Weise den Forderungen des Professors aus München, oder aus eben Westerhever, wie man will.

Am Montag in der Frühe fand man auf der Berme, unterhalb der Festungsmauern, 13 m tief, fünf der versuchsweise eingesetzten Tiere, alle tot oder sterbend, eine erhebliche Anzahl aus jener Herde. Man hat sie eiligst fortgeschafft, bevor es ruchbar würde, und das Experiment war somit beendet. Vielmehr das Vorhaben – haben die Gärtner nunmehr weitergemäht, an ihren Seilen.
Dem Schäfer aber mußte Ersatz gezahlt werden, wurde daher eine Betriebsfeier organisiert, wofür ein gewisser Etat vorhanden – es solchermaßen finanziert – und die Kadaver dieser armen Tiere auf Spieße gesteckt allesamt, am offenen Feuer gebraten, in großer Runde verzehrt mit allen involvierten Abteilungen, die corpus delicti solchermaßen entfernt.

Ich war hierfür nicht geladen, natürlich nicht, denn mangelnder Vertraulichkeit in solchen Fällen ohnehin verdächtigt. Hätte aber auch keinen Bissen herunterbekommen von dem Desaster.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.10.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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