Burckhardt Fischer

Der Islamist

In der Wohnung über der unseren, riesengroß wie diese, die aber umfasste Büro und private Räume, wohnte ein Paar, das übrig geblieben war aus der vormaligen Wohngemeinschaft: sie fett, er bräsig. Wenn sie sich im Bett drehte, über mir, wackelte bei uns der Boden in dem bombengeschädigten Haus. Die vermieteten ihre nicht benötigten Räume unter und hatten so ein schönes Auskommen.

In einem dieser Zimmer residierte ein Herr, aus Persien gebürtig, der gerühmt wurde als Hoffnung, als Leuchte der Wissenschaft in seinem Fache, und erwartete man allgemein, daß er die nächste Professur ergattern würde in seinem Metier, als Physiker.

Nun war aber dieser Mann sehr stark in seinem Glauben und suchte darob die Askese, fuhr Sommers wie Winters mit bloßen Füßen, nacktem Oberkörper sein Rennrad, was bei glitischigen Verhältnissen zu diversen Unglücken führte, bei diesen schmalen Reifen: habe ihn einige Male aufgelesen, mehr oder minder lädiert. So fasste er Vertrauen – wo er doch sonst wegen seiner Strenge selten gelitten – und frug mich, bat inständig, daß er unsere Küche benutzen dürfe, einmal, für ein Ritual, das – seiner Religion gemäß – verlangte, daß eine spezielle Form eines wohl Fladenbrotes gebacken würde. In der Wohnung oben würde ihm kein Zugang zur Küche gewährt.

Ich hatte an jenem Tag und Abend anderweitig zu tun, aushäusig, und sah deshalb keinen Grund, ihm diese Bitte abzuschlagen, bat nur darum, daß er achtsam sein möge, denn ich hatte weder Zeit noch Lust, mich groß darum zu kümmern.

Als ich spät von meinen Terminen heimkehrte, hatte mein Gast sein Backen schon geendet, war bereits ausgeflogen, hatte auch brav die benutzten Teller gespült und zum Trocknen geordnet, wie auch sonstige Utensilien. Die Küche jedoch, recht groß, war vollständig gepudert, vielmehr eingemehlt, und habe ich lange putzen dürfen.

 

Dieser Herr nun hielt sich einige Kanarienvögel, die er häufig frei fliegen ließ, um sie in ihrem naturgemäßen Drange nicht zu beschneiden. Wie lange sie solchermaßen gehalten haben, ist mir nicht bekannt, es ging aber schon eine Weile. Einer von ihnen trug ein leuchtend oranges Federkleid, nicht jedoch auf dem Kopf – dort war er kahl. Ich hatte darob einige Mühe, ihn wie seine Artgenossen in mein Herz zu schließen, angesichts solcher Mängel: Farbe wie Glatze. Der Vogel jedoch ließ mir keine Ruhe, verfolgte mich beständig, sah sich offenkundig zu mir hingezogen, buhlte. Wenn ich seiner ansichtig wurde, schloss ich die Fenster.

Zu jener Zeit arbeitete ich zumeist an einem Platz in dem breiten Erker des größten Raumes der einstmals großbürgerlichen Wohnung, dem früheren Speisesaal. Dieser war in dem über die Fassade auskragenden Teil vollständig verglast zwischen nur wenigen Mauerwerkspfeilern in dieser Fensterfront, und des Abends flogen die Mauersegler geradewegs heran, genau in Augenhöhe, pfeilschnell, um ganz knapp vor den Scheiben sich nach oben zu schwingen zu dem schmalen Schlitz der verrotteten Rollladenkästen, darin sie nächtigten.

Damit die Papiere nicht davon flögen, ward zumeist nur das schmale Fenster gegenüber meinem Platze ein Stück weit geöffnet, das führte zu unserem kleinen, recht unwirtlichen Balkon.

Eines Morgens nun landete besagter Kanarienvogel, orange leuchtend, an dem geschlossenen Fenster hinter mir, dem Balkon gegenüber, und sah ich es aus dem Augenwinkel, versuchte, nicht hinzusehen. Der Vogel saß jedoch beständig vor der Scheibe, beäugte mich, folgte mit dem Kopf jeder meiner Bewegung. In mir erwuchs Unwillen und wußte ich doch, daß es nicht gerecht war gegenüber der armen Kreatur. Man nennt es wohl Übersprungshandlung, geboren aus Verlegenheit und Scham, daß ich ging in die Küche gegenüber, den mittlerweile kalten Kaffee gegen einen heißen zu tauschen, und war ich doch eigentlich schon vergiftet genug, an diesem Morgen.

Als ich zurückkehrte, diese wenigen Schritte nur, kam mir mein Kater Kasimir entgegen, jenen orangen Vogel quer im Maul, und dessen Glatze zartrosa leuchtend, immerhin, noch. Hatte dieser Räuber, der Tunichtgut die kurze Pause genutzt, war offenkundig durch das offene Fenster auf den Balkon geschlüpft, von dem er sonst nach Mauerseglern spähte, auf dem Fensterblech um den ganzen Erker geschlichen, gut 12 Meter über dem Grund, hatte die Mauerwerkspfeiler umsprungen, sich angeschlichen, das Vögelchen gegriffen, das auf mich wohl wartete, den ganzen Weg zurückgemacht und sucht nun nach einer Ecke, sich seiner Beute zu widmen, diese sich einzuverleiben – er guckt verlegen.

Laut schrie ich, und tatsächlich: Kasimir ließ den Vogel fallen, gänzlich unversehrt, doch starr vor Schreck, und habe ich ihn zart gestreichelt, gewärmt zwischen meinen Händen, und mit einiger Wegzehrung zurückversetzt auf sein Fensterbrett, da er uns zuschauen konnte.

So hat er mich auch weiterhin besucht, noch etliche Male, hat er sich solchermaßen doch noch in mein Herz geschlichen, trotz der Farbe. Kasimirs Schwanz jedoch peitschte, und indigniert zog er von dannen.

 

Der hoffnungsvolle Physiker zog jedoch fort, Khomeini zu folgen, und hoffen wir, daß er nicht büßen mußte dafür, noch, daß er die Bomben bastelte für das Regime, bei seinen Fähigkeiten.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.11.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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