Hajo Schindler

Auszeit vom Alltag

Seit Jahren schon habe ich mit dem Spott meiner Frau zu kämpfen. Zumindest in den Monaten Januar und Februar ist es ganz schlimm. In diesen Monaten ist deshalb Trennung immer wieder ein großes Thema zwischen uns. Und das immer an einem Donnerstag zwischen 20:15 - 21:45 Uhr. Auch in diesem Jahr scheint es nicht anders zu sein. Es ist eben

the same procedure as every year

Wie tief ich denn noch sinken könne. Ich sei ja bislang schon intellektuell nicht allzu belastbar gewesen, aber sie sorge sich ernsthaft um meine geistige Verfassung. Warum meine Frau sich Sorgen um mich macht, ist schnell erklärt: Im ZDF werden gerade wieder die neuen Folgen von „Der Bergdoktor“ gezeigt und ich bin einer der treuen 6 Millionen Zuschauer.

Für mich ist die Ausstrahlung ein kulturelles Phänomen. Früher war ich der Meinung, diese vom ZDF ausgestrahlte herzerweichende Sendung sei - in einer Reihe mit dem Traumschiff oder dem ZDF-Herzkino - in die Kategorie Alte-Leute-Fernsehen (shitstorm, erbarme dich meiner für diese Behauptung) einzuordnen. Ein arrogantes Vorurteil! Der Bergdoktor erreicht Einschaltquoten, dass ich Herzrasen bekomme, da er die Generation mittelalt bis alt erfreut. Ein selten gewordenes Medienerlebnis. Das Wohlfühlformat ist einfach Medizin für die seelische Gesundheit.

Beherrscht wird diese Seifenoper von einem Mann, der für die (- seine) Patienten wie ein Sechser mit Superzahl im Lotto ist. Was fesselt mich eigentlich wiederkehrend an dieser Ausstrahlung. Einfache Antwort: Die Krisen und Katastrophen der realen Welt bleiben außen vor.

Fernsehen ist heute oftmals brutal. Kaum zu ertragende, schlechte Nachrichten gespickt mit aggressiven, schockierenden Bildern. Für mich sind die Bergdoktor Folgen eine 90-minütige Auszeit vom Alltag. Sie unterhalten mich auch mehr als die gezielt gerichtete Lanz(e) eines abendlichen Talkmeisters, der mit einer inquisitorischen Genugtuung seine aufmerksamkeitssüchtigen, nach Profilierung lechzenden Gäste in die Stotterfalle hineindrängt und es mitunter schafft, dass sie sich durch unvorsichtiges und unüberlegtes Phrasengebabbel schaden und mitunter durch empathieloses Gerede diskreditieren.

Aus der Presse erfahre ich: Jedes Jahr, findet in Ellmau, ein Fan-Treffen statt. Unzählige Fans fahren (oder fliegen) an den Wilden Kaiser, um Dr. Martin Gruber beziehungsweise Hans Sigl, den Schauspieler live und in echt zu erleben. Natürlich sind auch die anderen Charaktere der Serie vertreten. Der Doktor und seine Kollegen nehmen sich jede Menge Zeit, um alle Fragen zu beantworten, für Selfies bereitzustehen und Autogramme zu geben.

Volksnah ist dieser Bergdoktor eben und bescheiden dazu. Dafür hätte er meiner Meinung nach den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland, umgangssprachlich meist Bundesverdienstkreuz genannt, verdient. Wirtschaftliche Interessen sind ihm schnuppe, denn schon seit Jahren tourt er mit seinem 79er nickelgrünen Mercedes 200 durch die malerische Landschaft am Wilden Kaiser, um Hilfe und Heilung zu bringen. Er ist 24 Stunden ansprechbar und wohnt noch bei Mutti. Einen Ärztestreik würde er ablehnen. Die Praxis schließen? Never!

Ich gebe die Hoffnung nicht auf und vielleicht gelingt es mir schon dieses Jahr, dass meine Frau und ich uns gemeinsam mal eine Folge der neuen Staffel ansehen.

Übrigens ganz im Vertrauen: Das ist einer der Vorsätze - steht auf meiner Agenda - die ich mir für das neue Jahr vorgenommen habe.

PS: Leider leider weilte der Bergdoktor nicht in Ellmau als ich da war (wahrscheinlich sei er auf Besuch in New York bei der Apothekerin Franziska, der Mutter seines Kindes, munkelte man). Es blieb mir also nichts anderes übrig, als den Pappaufsteller herzlich zu drücken und mich dabei fotografieren zu lassen.

Bild zu Auszeit vom Alltag

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.01.2024. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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