Lothar Krist

Indianerkriege 04 - Der Dreiradunfall

Indianerkriege 04 – Der Dreiradunfall

Herbert, fünf, vier Monate älter, wie ich. Und ich, wir fuhren mit unseren so neuen und in der Morgensonne noch so glänzenden Dreiradlern der berühmten Marke Weiß-ich-heute-nicht-mehr von unserem LAWOG in Neubau bei Hörsching den schmalen Radfahrweg die Kirchfeld-Siedlung, eine Siebenbürger-Siedlung, entlang bis zur Gärtnerei von Frau Gumpelmaier. Links von uns war ein kleines Feld und dann kamen schon die Häuser an der Neubauer-Straße. Die Spenglerei der Firma Stickler befindet sich dort auch heute noch. Wir waren auf einer ersten Erkundigungstour. Wir sind endlich mobil geworden.

Wir wollten zum Bauernhof auf der anderen Seite der Bundesstraße von Linz nach Wels. Und nach dem Grundstück von Frau Gumpelmaier ging es dann ziemlich steil nach unten. Unten links ging es nach Neubau zurück, auf dem Radfahrweg, da unten, und rechts so Richtung Wels. Vom Spazierengehen mit Familie und so kannten wir das Ganze schon. Auch von so begrenzten Ausflügen durch und auch rund um die Siedlung herum so alleine, na klar. Aber auf der anderen Seite der Bundesstraße, da waren wir so alleine noch nie. Wir wollten einfach nur die Kühe, die Schweinderl, die Hühner und die Gänse sehen, Minki, die Obermutti der Katzen, und Tera, die Schäferhündin, die dort gewacht hat, dort auf dem Bauernhof.

Der Herbert hält vor dem Berg nicht an, er donnert gleich hinunter. Ich habe auch keine Angst, und donnere gleich hinterher. Den Herbert stellt es auf, es überschlägt ihn, und da liegt er auch schon, seine Beine breit, vor mir.

Bist Du denn deppert? Dann fuhr ich schon im selben Moment über sein noch so kleines Bubengemächt darüber. Nun ja, so halb rechts daneben. Über seine Leiste. Mein Dreiradler hob ab. Dabei zog er mit den Hinterrädern eine erdig dreckige Spur der Verwüstung über Herberts nackte Oberschenkel. Wir hatten ja nur so kurze Sommerhosen an. Und auch nur so Sommerleiberl. Ich bin dann ja auf ihm dann noch weiter gefahren.

Wir haben beide geweint.

Herbert konnte kaum aufstehen. Ich habe ihn so halb über die Schulter genommen und ihn dann die gut fünfhundert Meter den Erdstreifen entlang in Richtung nach Hause vom Herbert geschleppt. Von dort also noch einmal gut zweihundert Meter. (Die zwei Dreiradler habe ich dann erst später geholt.)

Ich habe bei den Rs angeläutet. Da ist seine Mutter vor mir gestanden. Eine strenge Mutter. Mir haben die Knie gezittert. Nicht bloß wegen der Anstrengung beim Schleppen vom Herbert zuvor. Am Liebsten wäre ich davon gelaufen. Ich habe ihn ja heim gebracht. Das müsste in solch schwierigen Fällen eigentlich genügen. Aber ich bin ein Indianer. Und Indianer lassen Indianer nicht im Stich. Man bedenke: Wir Kinder waren damals Alle irgendwie auf dem „Winnetou- und Old Shatterhand-Tripp“. Da gab es nämlich diese Indianer- und Tierfiguren aus dem Titze-Kaffee-Packerl. Und die waren in einer jeden Packung drinn. Also haben alle Menschen damals, ob nun jung oder alt, diesen Titze-Malz-Kaffee getrunken. Herbert und ich, wir hatten also beide für unser Alter damals, schon eine ganz schöne Sammlung von Bisons, Zwölfer-Hirschen und so weiter und so fort und natürlich von Cowboys und Indianern, Winnetou und Old Shatterhand, Old Shurehand inklusive. Also bin ich geblieben.

Jo, Berti, wie schaust Du denn aus? ....... Wer hot des g'mocht?“

Herbert (er hasste das Berti): „Da Loddar war's! Er is ma …..

Da gab mir Frau R eine verkehrte Watschen – vom Feinsten. Indianer-Ehrenwort.

.. er is ma mit'n Dreiradler d'rüber g'foarn, weil's mi vor eam g'schmissen hot. In Gruaberberg owi. Es tuat eam jo eh so lad.“

Frau R sah mir noch einmal streng in die Augen. Dann sah sie sich die Wunden vom Herbert an. Sie zog ihm das Hoserl aus. Er hatte überall Erde drinn. Die Spur vom Vorderreifen über die Leiste, ganz knapp neben seinem Gemächt, sah fast schwarz aus, vom Blut und vom Dreck. Die Spuren über die Oberschenkel schienen nicht ganz so schlimm. Da habe ich mit dem Vorderrad wahrscheinlich gerade ein wenig abgehoben. Von den dreckigen Reifen. Wir sind ja zuvor am frühen Morgen bei feuchter Erde einen kleinen erdigen Weg hinunter zur Bundesstraße gefahren.

Das müssen wir reinigen! Ich hole das Jod.“

Herbert: „Na, bitte, Mama, net!“

Dieses Jod kannte er schon. Sein Knie ist einmal so dreckig gewesen, nach einem Sturz beim Laufen.

Seine Mama holte das Jod.

Und zu mir: „Halte ihn fest! Und sprich zu ihm. Erzähl' ihm einfach eine Geschichte. So haben wir es im Krieg gemacht, wenn wir sonst Nichts hatten.“ Sie ist Krankenschwester gewesen, auch an der Ostfront. Darüber hat sie jedoch nie etwas erzählt. Bis zu ihrem Tod nicht. Laut Herbert heute.

Und dann hat sie angefangen. Sie hat seine Wunden mit Jod gesäubert. Er hat zwei Mal ein wenig geschrieen. Dann habe ich mich fest an ihn gedrückt, ihm in die Augen gesehen und ihm die Geschichte von „Tischchen deck Dich, Esel streck Dich, und Knüppel aus dem Sack“ erzählt, und weil die Geschichte zu kurz gewesen ist, habe ich das Fehlende der Geschichte noch dazu erzählt.

Er hat nur noch gezuckt. Und dabei sind wir Zwei zu Indianern geworden. Und Indianer weinen nicht! Indianer kennen keinen Schmerz. Indianer sind einfach Indianer.

Und der Herbert wurde dann später, als wir schon lesen konnten, unser Thüsentak. Unser Erfinder.

Wie WIR Kinder alle Wohnungen in den Erdgeschoßen von der Neuen-Heimat-Straße 1 bis 9 abgehört haben, das erzähle ich Euch demnächst. Wir spielten Agenten des FBI. Nein, CIA.

Mann oh Mann! WAS war doch Das für eine schöne Zeit?

Bitte, dies ist eine Geschichte über meine frühesten Erinnerungen. Der Dreiradunfall hat sich in meine Festplatte hinein geschrieben. Ich weiß nicht, wann Das wirklich gewesen ist. Womöglich auch schon viel früher. Es war unser erster größere Ausflug. Und bis wir uns dann das erste Mal so alleine über diese Grenze, diese so gefährliche Bundesstraße, hinüber getraut haben, war der Sommer fast zu Ende. Das wurde jedoch auch so eine Eintragung in meine Festplatte wert. Samt den Dreiradlern. Es geschah zu einer der damaligen Hauptverkehrszeiten. Und diese war für damalige Verhältnisse selbst für endlich mobil gewordene Dreiradlerfahrer nicht ohne.

Copyright by Lothar Krist (19.01.2024 von 20.25 bis 23.50 Uhr)

Ach ja, diese Geschichte "Tischchen deck Dich" findet Ihr hier auf E-Stories. Ich weiß aber nicht, ob es dieselbe Geschichte ist, die ich dem Herbert damals erzählt habe. Aber dieses Märchen war deshalb immer für mich wichtig, und so habe ich es mit einem so möglichen wahren Ende der Geschichte geschrieben. Das habe ich bis heute sonst noch mit keinem anderen Märchen getan. Warum auch? Mir fallen ja zu meinem Glück sowieso ständig selber so neue Märchen ein.

 

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.01.2024. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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