Angie Pfeiffer

Fine Feuerschwanz

1. Kapitel,

in dem Lottie mächtig

Ärger bekommt

„Hallo, hörst du mal zu???“
Erschrocken zuckte Lottie zusammen. Heurüdike, ihre Lehrerin, hatte sich drohend vor ihr aufgebaut und schaute auf sie hinab. „Ich hatte gefragt, welche Kräuterteile man bei zunehmendem Mond pflücken muss und welche bei abnehmendem? Und überhaupt kommst du jetzt mit an die Tafel!“
Schnell stand Lottie auf und folgte der Lehrerin, die ihren Zeigestock drohend schwang, zur Tafel. „Ähm … also … die Kräuter … der Mond …“, hier stockte Lottie, denn sie hatte wieder einmal nicht zugehört. Das war kein Wunder. Heurüdike, die Lehrerin für magische Kräuterkunde, war für ihren oberlangweiligen Unterricht bekannt. So mancher Schüler in der letzten Reihe war, während sie unterrichtete, in einen tiefen Schlaf gefallen und musste am Ende der Stunde mühsam geweckt werden. Pech für Lottie, dass sie weit vorne saß. So hatte Heurüdike sie dabei erwischt, wie sie aus dem Fenster guckte und vor sich hinträumte. Obwohl Lottie eine Hexe war, so wie schon ihre Mutter, ihre Großmutter und die Urgroßmutter, interessierte sie sich nicht so sehr für die Hexenkünste. Besonders die magische Kräuterkunde bei Heurüdike ödete sie total an. Aber auch Fächer wie Zaubertrankkunde und Hexensprüche mochte sie nicht besonders. Das lag hauptsächlich daran, dass fast immer etwas schieflief, wenn sie versuchte zu hexen. Dabei gab sie sich große Mühe. Aber im entscheidenden Moment dachte sie an etwas Anderes oder verhaspelte sich mit dem Hexenspruch.
So hatte sie neulich ihrem Esel Franz eine Extraportion Möhren herzaubern wollen. Aber als sie den Hexenspruch herunterleierte, kam gerade ihre Freundin Tilda um die Ecke und lenkte sie ab. So war ihr der Spruch durcheinandergeraten. Das Ende vom Lied war, dass Franz zwar keine Möhren bekommen hatte, aber dafür super gut sprechen konnte. Das war einerseits toll, weil sie sich jetzt mit Franz unterhalten konnte, aber andererseits redete er ziemlich viel, was manchmal ganz schön nervig war.
Den Turn- und Besenflugunterricht fand Lottie richtig gut und war eine der besten Schülerinnen in diesem Fach. Deshalb hatte sie einmal während des Unterrichts versucht mit ihrem Besen über das wolkenhohe Mondlichtsteingebirge zu fliegen, welches das Hexental einschloss, in dem sie mit den anderen Hexen wohnte. Sie wollte zu gerne wissen, was hinter dem Gebirge war, denn von den erwachsenen Hexen bekam sie nie eine gescheite Antwort, wenn sie danach fragte. „Da ist gar nichts. Deshalb solltest du nicht immerzu danach fragen“, sagten sie, oder: „Darüber musst du dir nicht den Kopf zu zerbrechen. Lerne lieber fleißig Zaubersprüche, dann kommst du auf andere Gedanken.“
Also hatte Lottie auf eigene Faust versucht es heraus zu finden. Zuerst war der Besen steil nach oben gestiegen, aber dann weigerte er sich noch weiter hoch zu fliegen. Egal, was Lottie auch versuchte, sie kriegte das vermaledeite Ding einfach nicht bis zum Gipfel des Gebirges. Schließlich war sie wieder gelandet.
Hinterher hatte es mächtigen Ärger gegeben, denn noch nie hatte eine Hexe versucht, über das Gebirge zu fliegen. Lottie musste zur Oberhexe. „Es gibt hinter dem Mondlichtsteingebirge nichts, das solltest du dir endlich mal merken“, fauchte die erbost.
Lottie ließ den Kopf hängen. „Aber es muss doch etwas hinter dem Gebirge sein“, sagte sie leise. „Ich will nur wissen was es ist.“
„Papperlapapp, du Naseweis!“, schnaubte die Oberhexe. „Gleich setzt es was und du kommst für eine Woche in den Karzer? Wenn ich sage, dass hinter dem Gebirge die Welt zu Ende ist, dann ist das so. Schließlich bin ich die erfahrenste und älteste Hexe im ganzen Tal und die Oberhexe dazu.“
Resigniert schüttelte Lottie den Kopf. In den Karzer wollte sie auf keinen Fall gesteckt werden. Der Karzer - das war ein besonderes Zimmer in der Schule, welches sich im Keller befand. In ihm wurden sehr ungezogene junge Hexen eingeschlossen, wenn sie etwas richtig Schlimmes angestellt hatten, so wie Lottie jetzt. Es lag dort nur ein harter Strohsack, auf dem man schlafen konnte. Zu essen gab es trockenes Brot, zu trinken lauwarmes Wasser. Also versprach sie, sich in Zukunft nicht mehr um das Gebirge zu kümmern. Aber insgeheim träumte sie immer noch davon, einmal darüber hinweg zu fliegen und herauszufinden, ob die Welt wirklich hinter dem Gebirge zu Ende war. Das konnte sie sich nämlich überhaupt nicht vorstellen.

Dies war die letzte Schulstunde und sie hatte sich wieder einmal über das Mondlichtsteingebirge hinweg geträumt. Prompt war sie von Heurüdike dabei erwischt worden.  Weil die Lehrerin sie seit ihrem verunglückten Besenflug sowieso auf dem Kieker hatte, war sie heute besonders gemein zu Lottie. „Ich weiß ganz genau, dass du wieder einmal nicht zugehört hast, du dummes Ding. Im Unterricht nicht aufpassen, sondern den Kopf immer in den Wolken haben! Das werde ich dir schon abgewöhnen. Ich werde dich bei der Oberhexe melden, dann kannst du die Nacht im Karzer verbringen“, kreischte sie jetzt empört.
„Ich habe wohl zugehört, ganz genau sogar“, rief Lottie entschlossen aus. Von unten konnte sie Heurüdikes langen Nasenhaare zittern sehen.
„Also noch einmal von vorne: Welche Kräuterteile sammelt man am besten bei abnehmendem Mond und welche bei zunehmendem?“ Die Lehrerin musterte sie lauernd.
„Zunehmend oben, abnehmend unten“, wisperte es. Lotties Freundin Tilda versuchte ihr zu helfen. Lottie runzelte die Stirn und überlegte scharf. Zunehmend oben, abnehmend unten? Was meinte Tilda damit? Sie wagte es nicht, ihre Freundin anzuschauen, sonst hätte die Lehrerin sicherlich Lunte gerochen.
„Also, bei zunehmendem Mond und bei abnehmendem Mond sammelt man Kräuter. Ich meine, nachts, wenn es dunkel ist, sammelt man am besten Kräuter. Das ist allgemein bekannt“, stammelte sie schließlich und bekam einen ganz roten Kopf, denn in der Klasse wurde Gekicher laut. „Wollt ihr wohl still sein. In meiner Klasse wird nicht gekichert oder gelacht ohne dass ich es erlaube!“ Heurüdike schaute scharf nach rechts und links.
Diese Gelegenheit nutzte Tilda aus. „Zunehmender Mond … Blätter, Blüten“, flüsterte sie Lottie zu.
Ach so, ja klar.
Plötzlich verstand Lottie genau, was Tilda ihr sagen wollte. „Bei zunehmendem Mond sammelt man die Blüten und Blätter der Kräuter. Die Wurzeln sammelt man am besten bei abnehmendem Mond“, sagte sie und strahlte die Lehrerin an. „Das weiß doch jedes Kind“, fügte sie siegessicher hinzu.
„Ach, ist dir das eben eingefallen? Oder hat dir etwa jemand vorgesagt?“, schnaubte Heurüdike. „Das wäre ja typisch. Erst nicht zuhören und dann vorsagen lassen. Schauen wir mal, ob du das auch weißt: Welche Pflanzenteile sammelt man bei Vollmond?“ Die Lehrerin ließ sie nicht aus den Augen.
„Das ist doch klar wie Kloßbrühe. Bei Vollmond kann man alle Pflanzenteile sammeln“, platzte Tilda heraus. Schnell hielt sie sich die Hand vor den Mund. „Tut mir echt leid. Das ist mir einfach so herausgerutscht“, murmelte sie geknickt. Auf jeden Fall sah sie so aus, als würde ihr der Zwischenruft leidtun, aber heimlich blinzelte sie Lottie zu.
Heurüdike musterte sie von oben bis unten. Dann wandte sie sich wieder Lottie zu. „Du hast Glück gehabt, dass deine Klassenkameradin so vorwitzig ist. Ich wette, dass du es nicht gewusst hättest.“ Zum Glück ertönte die Glocke, die Stunde war vorbei. Noch mehr Glück: Heurüdike schien es eilig zu haben, denn sie kümmerte sich nicht mehr um die beiden Freundinnen, sondern verließ im Eilschritt das Klassenzimmer.

 

2. Kapitel,

in dem Lottie und Tilda

einen hässlichen Vogel sehen und einen komischen Stein finden

 

„Du meine Güte, du warst meine Rettung“, japste Lottie auf dem Nachhauseweg. Sie und Tilda hatten sich jede ein kleines Haus abseits von den anderen Hexenhäusern mitten in den dichten Wald gehext, der sich am Fuß das Mondlichtsteingebirges befand. Franz, der sprechende Esel, lebte in einem gemütlichen Stall neben den beiden Häusern. Hier wohnten die Freundinnen nebeneinander und besuchten sich so oft es ging. Manchmal quatschten sie einfach nur oder sie tranken zusammen Kakao und aßen Kuchen. Eine ganz Zeit lang hatte Tilda versucht Lottie die Zaubersprüche, die ihr so mühelos gelangen, beizubringen. Schließlich hatte sie es aufgegeben, weil Lottie doch nur alles durcheinanderbrachte.
„Du musst wirklich besser aufpassen. Heurüdike hat sowieso immer etwas an dir herumzumäkeln. Deshalb musst du für die magische Kräuterkunde besonders gut lernen“, erklärte Tilda ernsthaft.
Im Gegensatz zu Lottie war sie eine sehr gute Schülerin. Sie brauchte einen Hexenspruch nur einmal gehört zu haben und konnte ihn gleich auswendig aufsagen.
„Ja, ja, ich werde es versuchen“, murmelte Lottie halbherzig. Dabei wusste sie genau, dass sie sich in der Schule nicht bessern würde. Es gab so viel zu sehen und zu erkunden, wieso sollte sie also ihre Zeit damit vertrödeln, um sich den langweiligen Unterricht anzutun. Wobei die Hexerei ja sowieso nicht klappte. Jedenfalls nicht bei ihr.
„Hör mal, Lottie, das meine ich wirklich ernst. Du musst in der Schule echt besser aufpassen“, ermahnte die Freundin sie, aber Lottie hatte etwas entdeckt, das ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm:
„Hey, schau dir mal den Vogel dort oben an. Hast du so einen schon mal gesehen? Er sieht ganz schön gruselig aus. Was trägt der in seinen Krallen? Es sieht aus, wie ein Stein. Nicht, dass er den auf uns herunterfallen lässt!“ Tatsächlich flog hoch über ihnen ein riesiger schwarzer Vogel, der ein merkwürdiges weißes Ding in seinen Krallen hielt. Es schien schwer zu sein. Jetzt gerade sah es so aus, als hätte er alle Mühe, um es festzuhalten.
Bewegte es sich etwa?
Lottie schaute ganz genau hin. Tatsächlich, das Ding wackelte in den Krallen des Vogels hin und her.
„Das ist kein Stein. Es sieht wie ein riesengroßes Ei aus, aber das ist ganz unmöglich. So große Eier gibt es gar nicht“, stellte Tilda fest. „Man könnte meinen, es würde hin und her schaukeln. Das ist ja komisch.“
Gerade in diesem Augenblick geschah es:
Das Ding machte einen Hopser. Der Vogel konnte es nicht mehr festhalten. Es fiel aus seinen Krallen und purzelte genau vor Lotties und Tildas Füße. Der Vogel versuchte zu landen, um das Teil wieder aufzunehmen. Aber Tilda murmelte schnell einen Schutzzauber. So sehr er es auch versuchte, der Vogel kam weder an sie, noch an das runde Ding heran. Schließlich schwang er sich wieder in die Luft. Er stieß schaurige Schreie aus, kurvte ein paar Runden über ihnen herum, traute sich aber nicht, ihnen zu nahe zu kommen. Schließlich drehte er ab und war schnell verschwunden.
„Was war das für ein fieser Vogel und was ist das da für ein Ding“, während Tilda erschrocken ein paar Schritte rückwärts machte, beugte sich Lottie über das Teil. Sie fasste es vorsichtig an. „Das fühlt sich an wie eine dicke Eierschale“, rief sie verblüfft aus. Die nächsten Worte blieben ihr im Hals stecken, denn die Schale splitterte. Erst nur ein bisschen, dann schon ein wenig mehr. Schließlich brach sie mitten entzwei.
„Mama?“
Lottie schluckte. Das Ei war zerbrochen. Herausgekommen war ein kleiner, grüner Drachen. Er hatte einen ziemlich großen Kopf, klitzekleinen Ohren, Kulleraugen, eine Knollennase und einem unglaublich großen Maul. Auf seinem Rücken befanden sich zwei mini kleine Flügel. Der Körper war im Vergleich zum Kopf nicht besonders groß, sondern eher kurz und dick. Er hatte zwei Arme, die er jetzt nach Lottie ausstreckte. „Mama“, rief er wieder und strahlte Lottie an.
„Ich glaube es meint, dass du seine Mutter bist“, stellte Tilda fest. Sie war wieder nähergekommen und schaute sich den Drachen interessiert an.
Lottie schüttelte energisch den Kopf. Sie ging einen Schritt zurück. „Hör mal du, ich bin nicht deine Mama. Tut mir leid.“
„Ni Mama???“ Der kleine Drachen riss das Maul auf und fing an, laut zu heulen und zu schnauben.
„Der Kleine sucht seine Mutter. Bestimmt hat der Vogel das Ei heimlich gestohlen oder die Mutter ist tot. Mannomann, ist das traurig“, stellte Tilda fest. Sie versuchte, das heulende Etwas zu umarmen, aber es wich ihr aus und schaute weiterhin Lottie an, wobei es weiter herzzerreißend weinte.
Die steckte die Arme aus. „Komm schon her“, rief sie. „Ich bin zwar nicht deine Mama, aber vielleicht kann ich mich trotzdem um dich kümmern. Jedenfalls, bis wir deine Mama gefunden haben“, fügte sie hinzu.
Schnell watschelte der Kleine auf sie zu und kuschelte sich in ihren Arm. Eine Minute später war er eingeschlafen.

Lottie schaute hilflos auf den schlafenden Minidrachen. „Ja toll, was machen wir jetzt?“

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.01.2024. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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