Ingrid Grote

Der Himmel über Rom, Teil 19 - VERLANGEN

Es erschien ihr wie ein Traum, natürlich war es ein Traum. Sie kniete sich behutsam auf sein Lager und sah auf ihn herab. Der volle Mond schien durch das Fenster hinein und gab genug Licht. Der Sturm hatte nicht stattgefunden. Dennoch war er da, der Sturm. Nämlich in ihr selber.
Er lag nackt vor ihr. Ein Soldat Roms, groß, gut gebaut, männlich, muskulös. Tiefer wollte sie nicht schauen. Sie scheute davor zurück, das ging sie nichts an. Trotzdem fühlte sie etwas seltsames in ihrem Körper. Wieder hörte sie die Trommeln und spürte das nasse blutige Gewand. Sie schüttelte es ab. Dummes Zeug! Es war nur ein Traum.
Sie betrachtete nun sein Gesicht - auch das war eindrucksvoll nach Roms Begriffen - während mörderische Gedanken in ihr tobten. Was bist du? Dein Gesicht sieht edel aus, aber das ist nur eine Täuschung! Auch deine Stimme ist angenehm, aber das soll mich nicht jucken, denn deine Stimme ist nur für deine Frau zuständig und nicht für eine Sklavin.
Sie hielt einen Augenblick inne, dann fuhr sie fort mit ihrem inneren Monolog: Dein Körper ist hart und männlich, aber im Innersten bist du verrottet, du Römer! Und ich hasse dich! Warum? Weil du mich in den schlimmsten Augenblicken meines Lebens erlebt hast! Und deswegen musst du jetzt sterben! Ich befreie mich von dir! Jetzt und für immer!
Marcus, der Gegenstand ihres Hasses lag angreifbar vor ihr, flach und regelmäßig atmend. Er schien fest zu schlafen und das war gut so.
Nur ein Traum ... Über ihn gekauert betrachtete sie ihn immer noch. Sie konnte seinen Anblick nicht ertragen, sie konnte nicht ertragen, dass sie seine Sklavin war. Sie konnte nicht ertragen, dass er sich von seiner Frau auf der Nase herumtanzen ließ. Welch unwürdiges Schauspiel er bot!
Nur ein Traum .... Nein, er war nicht wert, ihr Herr zu sein, er war wie eine dieser hölzernen Figuren, mit denen der Puppenspieler am Markt auftrat und über die alle lachten. Sie schob den Gedanken von sich, dass die Antonia Caenis eigentlich ihre Herrin war. Eine dieser hölzernen Puppen sah aus wie eine Hure mit entblößten Brüsten, die sich jedem an den Hals warf. Und ihr Ehemann war ein blöder Trottel, der nichts von dem ahnte, was seine Frau trieb.
Aber Marcus war schlimmer, er war kein blöder Trottel. Denn auch als ihr Verrat feststand, hatte er seine Frau beschützen und retten wollen. Und das zweimal! Verkommener Römer, verdammter Römer!
Sie hob langsam den Arm, um zuzustechen, aber dann zögerte sie in ihrer Bewegung und ihre Hand hielt kurz vor Markus' Brust inne, als würde eine unsichtbare Gewalt sie dort festhalten.
Nur ein Traum?
Es war, als wäre sie gelähmt und sie hasste sich dafür. Sie konnte es nicht tun. Warum konnte sie es nicht tun? Weil sie nur eine schwache Frau war, unkonsequent und feige? Tränen der Wut stiegen ihr in die Augen, und sie biss die Zähne fest zusammen. Mühsam erhob sie wieder ihren Arm mit dem Dolch, wollte sich dazu zwingen, ihn zu töten. Sie atmete tief ein und versuchte es erneut. Doch es ging nicht, irgendetwas hinderte sie daran.
Und es kam noch schlimmer: Ihre andere Hand machte sich selbstständig und berührte sanft seine Schulter. Es war ein unwiderstehliches Verlangen in ihr, dies zu tun, und niemand hätte darüber erstaunter sein können als sie selber.
Plötzlich fühlte sie, wie ihre Arme von einer eisernen Faust umklammert wurden. Sie schrie leise auf, während der Dolch zu Boden fiel und sie versuchte sich aus dem festen Griff zu befreien, aber es gelang ihr nicht. Ganz im Gegenteil, Markus zog sie quälend langsam zu sich herab, während sie vor Zorn keuchte.
„ Was ist los mit dir, Vanadis?“ Seine Stimme klang seltsam, etwas wie Verzweiflung schwang darin mit.
Sie blickte ihn wild an und sagte nichts. Es war ja nur ein Traum.
Er lachte auf. „Es ist nett von dir, dass du mich besuchst. Ich hatte ja lange schon die Vermutung, dass du etwas für mich empfindest. Liebe ist es wohl nicht ...“
„Du... Schwein!“ Sie versuchte, ihm ins Gesicht zu spucken, aber er drückte sie einfach zur Seite. Sie wand sich in seinem Griff wie eine Schlange, aber sie schaffte es nicht, sich daraus zu befreien, im Gegenteil, die Umklammerung wurde immer stärker, während ihre Kräfte allmählich erlahmten.
Schließlich drehte er sie sogar um, so dass SIE jetzt unten war und er oben, drückte sie mühelos auf das Kissen herunter und setzte sich mit gespreizten Beinen auf sie, während sie hilflos vor sich hinstöhnte. Zu schreien wagte sie nicht, sie hatte Angst, dass jemand im Haus es hören konnte. Irgendeiner war ja immer da.
Doch das hier war nur ein Traum. Oder war es gar kein Traum? Entsetzt starrte sie ihn an. Hatte sie immer noch diese Drogen im Körper? Sie hatte ihn umbringen wollen? Das wollte sie doch gar nicht, niemals hatte sie das gewollt.
„Lass mich los“, zischte sie ihn an. „Deine Frau ist doch gerade gestorben.“
Was für einen Schwachsinn gab sie da von sich? Die Dienerschaft war es bestimmt gewohnt, dass der Herr des Hauses sich mit seinen Sklaven oder Sklavinnen amüsierte. Egal, ob seine Frau nun tot oder lebendig war. Sie selber war ein Nichts!
„Meine Frau hat es nie interessiert, was ich treibe“, Markus sah unwillig aus, aber er lockerte den Griff um ihre Arme ein wenig. Seltsamerweise passte ihr das nicht, und sie schob sich an ihn heran, wie um ihn an sich zu locken. Aber wieso? Und was wollte er mit diesen Worten sagen? Vanadis packte wieder die Wut. Wenn seine Frau es nie interessiert hatte, was er trieb oder eher nicht trieb, warum hatte er dann versucht, sie zu retten? Er musste verrückt sein, und diese Art der Verrücktheit hasste sie!
Ja, sie wollte es, er sollte sich offenbaren in all seiner Scheußlichkeit, er sollte sie nehmen, weil sie ihm gehörte, weil er sie nur als Sache betrachtete, und das war sie schließlich auch. Nur eine Sache.
„Na gut, tu es“, sagte sie verächtlich, „es ist mir egal, ist doch so üblich bei euch Römern, warum solltest ausgerechnet du anders sein!“
Marcus zuckte wie unter einem Schlag zusammen.
Tu es! Tu es!“ Sie wusste nicht, warum sie das sagte, Die Worte strömten aus ihr heraus.  Sie wollte doch nur das, was ihr zustand, als Sklavin und als sein Ding.
Marcus ließ sie plötzlich los und sie empfand das als schmerzlichen Verlust. Sie wollte ihn, Warum? Weil sie ihm gehörte, also musste sie keinerlei Schuld empfinden. Und wenn er sie jetzt fortschickte, würde er sie missachten, als Frau und als Sklavin. Und es war kein Traum, es war Wirklichkeit.
Sie schlang ihre Arme um ihn und sagte beschwörend: „Es ist alles ganz normal, nimm mich einfach...“
Er starrte sie an, das konnte sie im hellen Mondlicht sehen. Sein Blick war unergründlich.
„Du bist schön, so schön“, sachte zog er sie an sich. „Und ich möchte einmal im Leben glücklich sein.“
Dann presste er seine Lippen auf die ihren, und ihr wurde seltsam zumute. Mit diesem Kuss hatte sie nicht gerechnet. Sie ließ ihn zu, nein, mehr noch, sie erwiderte den Kuss, und ihr Körper sagte ja dazu und ließ sich fallen. Sie wusste nicht warum, und es war ihr egal. Sie fühlte seine Hände auf sich, auf ihren Brüsten, ihrem Gesicht, ihrem Mund. Und es war kein Traum.
„Ich will dich, nur dich“, hörte sie ihn stammeln und sie sagte etwas, doch sie wusste nicht was. Das schien ihn nur noch wilder zu machen. Was hatte sie gesagt? Sie wusste es nicht. Denn ihr dummer Körper regierte nun, und dieser Körper verlangte nach ihm, nach ihrem Feind, dem verhassten.
Sie fing an zu schluchzen, doch das änderte nichts an ihrem Verlangen, sie drängte sich dem Marcus entgegen. Sie fühlte sein hartes Glied an ihrem Bauch, es war unwiderstehlich, sie wollte es noch mehr spüren, es berühren, in sich spüren.
„Tu es, tu es doch endlich“, flüsterte sie, er küsste ihre Brüste quälend langsam und sie meinte fast verrückt zu werden. Nie zuvor hatte sie so etwas gefühlt. „Tu es. Bitte!“
Bis er es schließlich tat. Ein kurzer Schmerz, als er in sie eindrang, sie nahm ihn in diesem Augenblick des Wahnsinns gar nicht wahr, der Schmerz steigerte ihre Lust sogar noch, während sie sich in einem Zipfelchens ihres Kopfes darüber wunderte, doch das war nicht wichtig.
„Ich will dich, nur dich“, hörte sie ihn wieder stammeln. Nein, das konnte nicht sein, das war alles falsch! Das sagten die Männer in solchen Augenblicken. Doch warum wehrte sie sich dann nicht, wenn es falsch war? Sie wusste, dass sie es verhindern konnte. Er würde von ihr ablassen, wenn sie es wollte, aber wollte sie das ?
Nein, sie wolte es nicht.
Ihr Körper vereinigte sich mit dem des Marcus, und in diesem Moment erschien es ihr wie ein heiliger Akt der Großen Mutter zu sein. Sie stöhnte auf, als er in ihr war. Schlang ihre Beine um seinen Rücken, wollte ihn ganz tief in sich spüren, klammerte sich an ihn und flüsterte obszöne Worte, die sie nicht sagen wollte, die aber aus ihr herausströmten, sie hatte keine Kontrolle mehr darüber.
Ihr Körper war durchdrungen von ihm, oh nein sie hasste ihn und sie verabscheute ihn doch, aber dennoch genoss sie es, wie er sie nahm. Mit einem langen Schrei versank sie ...
... Wohin, wie, wann, egal, sie befand sich an einem anderen Ort, dort wo es keine Sklaven gab, dort wo es nur den Körper gab und seine Wünsche, da wo es nur Begehren und Erfüllung gab.
Es war eine wilde Nacht, sie stachelten sich gegenseitig auf, Vanadis mit ihrem Hass - und Marcus? Sie wusste es nicht. Er begehrte sie, sie begehrte ihn, und sie taten Sachen miteinander, niemals hätte sie sich das träumen lassen. Vor allem nicht mit ihm, und dennoch machte sie bereitwillig mit, nein, sie trieb ihn zu noch mehr an. Um ihn danach noch mehr zu begehren. Bis sie schließlich vor Erschöpfung einschlief.

-*-*-*-*-*-*-

Es war kein Traum, als sie sich gedemütigt im Morgengrauen aus dem Zimmer schlich. Nicht deswegen gedemütigt, weil Marcus sie zur Frau gemacht hatte. Fast musste sie darüber lachen, nein, sie fühlte sich gedemütigt, weil ihr Körper so heftig auf ihn reagiert hatte, sie hatte sich wie eine Hure benommen, oder wie eine geile Hündin. Anscheinend hatte es ihr gefallen, was er mit ihr trieb, und das war schrecklich. Noch schrecklicher war: Alles hätte sie erwartet, nur das nicht, nicht diese Sanftheit, nicht diese Zärtlichkeit.
Als sie erwachte, war sie allein und das Bett leer, so erschien es ihr jedenfalls. Sie fühlte sich verlassen, sie strich über sein Kissen, es war noch warm, im Gegensatz zu ihr selber, ihr Körper war kalt. Sie rutschte sacht auf ihre Seite des Bettes und lag dort wie erstarrt. Beim Jupiter, das konnte alles nicht wahr sein! Gehetzt schaute sie sich um, neben dem Bett lag ihre Tunika. Welch ein Trost! Daneben entdeckte sie ihren Dolch. Hatte sie tatsächlich versucht, den Marcus umzubringen, es erschien ihr so absurd zu sein, so unmöglich. Sie griff nach der Tunica, streifte sie sich über, nahm den Dolch an sich und rannte aus dem Zimmer.
Es war noch früh, Vanadis schaute kurz in den Raum der Sklaven, alle schliefen fest. Sie ging in die Küche und setzte sich dort auf einen Schemel. Sie erinnerte sich auf einmal an die Saturnalien damals, als sie mit den anderen in der Taverne feierte. Es hatte sich seitdem viel verändert. Und diesmal würde sie die Küche nicht saubermachen.
Sie lachte bitter auf. Wortfetzen schlichen sich in ihren Kopf hinein: „Meine Frau hat es nie interessiert, was ich treibe“, hatte er gesagt. Daran erinnerte sie sich ganz deutlich. Aber das stimmte nicht: Seine Frau war total eifersüchtig auf ihn gewesen, denn wenn er auch nur eine andere Frau ansah, dann gab es hinterher heftige Szenen, welche die Sklaven natürlich mitbekamen. Aber es kam ja kaum vor, dass er eine andere ansah. Dazu hatte er gar nicht den Mut. Oder das Verlangen?
Von wegen Verlangen? Er besaß es doch und sie wurde rot bei dem Gedanken an das, was sie miteinander getrieben hatten. Nein, sie wollte nicht dran denken! Was hatte er sonst noch gesagt, sie musste schlucken. „Du bist schön, so schön“, hatte er gesagt und sie sachte an sich gezogen. „Und ich möchte einmal im Leben glücklich sein.“ Und dann hatte er sie sanft geküsst. Dieser Kuss, dieser sanfte Kuss ... Sie stöhnte auf, er hatte etwas in ihr bewirkt, oh nein, das war unmöglich, wie dumm, wie dumm! Sie hatte sich ihm aufgedrängt, einem Mann, dessen Frau gerade gestorben war, er konnte doch gar nicht anders, als sie zu nehmen. Zum Trost?
Das war doch alles Irrsinn! Sie musste unbedingt fort von hier, doch sie zögerte es hinaus. Es war nicht einfach, als Sklavin zu entfliehen. So verbrachte sie den Tag, immer lauschend, ob Marcus da war, immer auf der Suche nach einem Versteck? Aber er ließ sich nicht blicken - und sie fühlte sich beruhigt, seltsamerweise aber auch enttäuscht. Hatte ihr verwirrter Zustand mit den Rauschmitteln zu tun, die ihr im Tempel des Bacchus verabreicht wurden? Ihre Mitsklaven hatten von Schlafmohn, von der Tollkirsche und von seltsamen Pilzen gesprochen. All das konnte solche Empfindungen auslösen. Ganz sicher, so musste es gewesen sein. Das erklärte einiges, war aber keine Entschuldigung, oh nein, warum hatte sie nur ...
Am Abend erfuhr sie, dass er am frühen Morgen das Haus verlassen hatte und fürs erste nicht wiederkommen würde. Er hatte mit der Colonia seine verstorbene Frau bestattet. Es gab da einen Begräbnisplatz am Rande des Marsfeldes, welcher im Familienbesitz war.  Und die Colonia weilte im Haus ihres Großvaters in Capua.
Er war wirklich weg, sie atmete erleichtert auf. Irgendein Stamm in den Alpen probte den Aufstand, das erzählte man jedenfalls im Haus. Einerseits war sie erleichtert, dass er weg war, andererseits flogen ihre Gedanken verwirrt herum, denn da war noch etwas anderes, das sie beunruhigte, aber was?
Sie schaute in den Nachthimmel. Die Nacht war klar, und der Mond war zwar immer noch voll, aber nicht ganz so voll wie gestern, als sie sich in das Zimmer des Marcus geschlichen hatte. Im Traum. Von wegen Traum, es war Wirklichkeit gewesen.
Unwillig stöhnte sie auf. Wieder musste sie daran denken, wie er auf ihr saß und sie festhielt. Im Nachhinein kam es ihr sein Griff gar nicht mehr so fest vor, sie hätte sich jederzeit befreien können, aber nein ...
Der volle Mond starrte ihr höhnisch ins Gesicht. Der volle Mond ... Sagte man nicht, dass Frauen um diese Zeit ein unwiderstehliches Verlangen hatten, um ... Und war es nicht die günstigste Zeit, um ... Nein, sie wollte nicht dran denken.

-*-*-*-*-*-*-

Mittlerweile war es schon einen Monat her, seit sie mit ihm ... Wie gut, dass er nicht da war! Doch etwas anderes war gar nicht gut, ganz im Gegenteil, es war entsetzlich: Ihre Monatsblutung hatte sich verzögert. Sie hoffte immer noch darauf, dass sie käme, aber ein Tag verging, dann der nächste, dann eine ganze Woche und sie saß in Panik im Zimmer des Imaginus, war nicht ansprechbar und grübelte vor sich hin. Sie hielt ihre Hände vors Gesicht und atmete schwer hinein. Bitte nicht, große Mutter. Bitte nicht! Ich will kein Kind von ihm! Es wird ein Sklave sein wie ich, und ich will ihm dieses unwürdige Leben ersparen. Tu mir an, was immer du willst, aber bürde mir das nicht auf.
Wie betäubt machte sie sich auf den Weg in die Küche. Sie wusste nicht warum, vielleicht wollte sie nur in Bewegung bleiben. Dort sah sie Terehasa, die Nubierin. Wie eine beleibte Statue saß diese auf dem Boden und meditierte. Bestimmt dachte sie an die glorreiche Vergangenheit ihres Volkes. Das Land Kusch war einst reich an Edelsteinen und Gold. Und eine Zeitlang waren die dunkelhäutigen Herrscher von Kusch auch Pharaonen von Ägypten gewesen, doch diese Zeit gab es nicht mehr. Nun wurden die Einwohner versklavt, oder sie litten daheim unter furchtbarer Armut.
Wenn Terehasa in diesem Zustand irgendwo hockte, dann war sie nicht ansprechbar und Vanadis zog sich in das Zimmer des Imaginus zurück, es stand ja leer. Imaginus, sie hatte in den letzten Wochen kein einziges Mal an ihn gedacht.
Terehasa hatte seltsame Götter, die ihr einiges abverlangten. Es ging immer um Blut, Blut war das Medium, das alles in Nubien zusammenhielt, damit konnte man zaubern, damit konnte man heilen, damit konnte man jemanden den Aussatz auf den Leib wünschen, konnte erreichen, dass er bei lebendigen Leibe anfing zu faulen ...
Blut? Vanadis biss sich auf die Lippen. Auch ihr Blut war geflossen, und sie hatte es gar nicht gemerkt. Zu sehr brannte das Verlangen in ihr, sich dem Marcus hinzugeben. Oh nein! Nicht dran denken, nicht dran denken!
Was geschah mit Sklavenkindern? Sie blieben ihr Leben lang Sklaven, egal welch hochgeborener Mann ihr Vater war.
Vanadis musste würgen und sie fasste sich an den Mund, um den Laut zu ersticken. Es war alles so ekelhaft, so bedrohlich und sie fühlte sich so allein. Was sollte sie nur tun? Sollte sie Terehasa um Hilfe bitten, die Nubierin kannte sich mit so etwas aus. Viele weibliche Sklaven wurden schwanger und konnten oder wollten das Kind nicht austragen. Es wäre ein Ausweg. Aber  davor schreckte sie zurück.
Doch hier konnte sie nicht bleiben. Wenn Marcus zurückkehrte und sie noch im Haus wäre? Nicht auszudenken! Trotzdem blieb sie hier, und sie hasste sich deswegen.
Doch schließlich raffte sie sich auf und bezwang ihre Lähmung. Es ging ja nicht anders.
Die Colonia war mittlerweile aus Capua zurückgekommen. Behutsam versuchte Vanadis ihr beizubringen, dass sie vielleicht nicht immer im diesem Haus bleiben würde. Die Kleine wurde sofort misstrauisch. „Aber wieso denn, Vanadis? Was redest du da? Oh, nein, wie egoistisch ich bin! Ich meine, ich gönne es dir von Herzen, wenn die Caenis dich freilässt und du ein neues Leben anfangen kannst.“
Vanadis konnte und wollte dazu nichts sagen, aber sie tat so, als würde ihre Freilassung wirklich bevorstehen.
„Warum kannst du nicht hierbleiben?“, fragte die Colonia. „Du bist doch unentbehrlich, der Koch braucht dich, und ich glaube, mein Vater erst recht ...“ Bei den letzten Worten sah ihr Gesicht etwas schelmisch aus.
Vanadis schaute sie verwirrt an. Marcus brauchte sie? Ja sicher: im Bett!
Sie fing vorsichtig an zu reden: „Meine Kleine, du weißt, dass ich dich immer liebhaben werde. Aber ich muss fort von hier, es geht nicht anders. Und dein Vater wird bald wieder heiraten, denn er braucht eine Frau. Und das Haus braucht auch eine.“
„Aber ICH bin doch jetzt die Herrin des Hauses“,  die Colonia lächelte. „Und ich werde keine schlechte Herrin sein. Außerdem bekomme ich so einiges mit ...“
Vanadis wollte nicht drüber nachdenken, was die Colonia damit meinte. Die Colonia war an diesem Abend als einzige im Hause gewesen, außer dem Marcus und ihr. Sie spürte, wie Röte in ihr Gesicht floss und wandte sich verlegen ab.
Mühsam riss sie sich zusammen. „Ach meine Kleine, deine Mutter ist tot, und ich will dich nicht mit so meinem Zeug behelligen.“
„Auch das kann ich gut verkraften, ich bekomme und bekam so einiges mit, was hier passiert ist, und meine Mutter?“, die Colonia wandte sich kurz ab, doch dann sagte sie mit sicherer Stimme: „Die hat mich nie geliebt, und ich habe sie auch nicht geliebt.“
„Ach Kind.“ Vanadis konnte nicht anders, sie nahm die Colonia in ihre Arme und drückte sie an sich.
Schließlich befreite sich die Colonia sachte aus ihrer Umarmung. „Meine Vanadis, wenn du wirklich fort musst, dann verspreche mir, dich irgendwann zu melden. Ich muss doch wissen, wo du bist und wie es dir geht. Verspreche es mir!“
Oh, das war gefährlich! Wenn sie ihren Aufenthaltsort preisgab, dann war sie verwundbar, gar verloren. Und ihr Kind auch.
„Natürlich“, sagte sie gelassen. „Es kann aber dauern.“
Die Colonia gab sich mit dieser Antwort zufrieden und Vanadis atmete erleichtert auf.
Zwei Tage später nahm sie ihr bescheidenes Bündel an sich - worin sich auch die Münzen befanden,  die sie sich erarbeitet hatte - und verließ unauffällig das Haus.
Keiner sollte sie sehen, wenn sie sich davonmachte. Wohin davonmachte? Natürlich in Richtung Subura, eine andere Richtung gab es nicht für sie.


 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.01.2024. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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