Steffen Herrmann

Menschheitsdämmerung / Autonome Fahrzeuge

Die Entwicklung autonomer Fahrzeuge ist nicht bloß eine technologische Innovation unter vielen anderen, sondern eine revolutionäre Erfindung mit gesellschaftsveränderndem Po­tential.

Ein Roboterauto tut nämlich etwas, was bisher nur Tiere und Menschen konnten: es reali­siert sich als etwas, das eine Umwelt hat und orientiert sich in dieser. Ob ein Ball auf die Straße rollt, ein Betrunkener den Gehsteig entlangtorkelt, ein Fahrradfahrer plötzlich die Spur wechselt oder eine Ampel auf Rot schaltet – das autonome Fahrzeug muss alle diese Komponenten zu einer Situation zusammensetzen, sie bewerten und daraus seine Reak­tionen ableiten. 

Wir haben es hier also mit einer Maschine zu tun, die gewissermaßen ein Weltverständnis hat.

Damit treten wir ein eine neue Phase der Entwicklung ein, in der sich Menschen und Roboter(autos) in alltäglichen Situationen begegnen. Sie müssen nun miteinander auskom­men und stehen in einer wichtigen Beziehung auf derselben Ebene: Akteur versus Akteur.

 

Die ersten einsatzfähigen Roboterautos fahren auf Teststrecken, die präpariert sein können, um ein regelkonformes Fahrverhalten zu unterstützen. Diese besonderen Zonen werden später auf bestimmte Stadtteile oder ganze Städte ausgeweitet, was der noch nicht ausge­reiften Technologie neue Entwicklungsimpulse verleiht.

Der Entwicklungspfad, auf dem autonome Fahrzeuge zur Dominanz gelangen werden, ist bereits gut zu erkennen. Sie kommen zunächst in umgrenzten Arealen zum Einsatz, fassen dann dort Fuß, wo menschliche Arbeitskräfte freigesetzt werden können und erobern schließlich den gesamten Straßenverkehr.

 

In einem unternehmerischen Sinne sind autonome Fahrzeuge insbesondere dort attraktiv, wo sie Menschen ersetzen können: als Taxis, Busse, Lastkraftwagen, in der Landwirtschaft.

Deshalb kommt es (nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal in der Geschichte der Menschheit) zu einem Berufesterben: Bus-, Taxi- und Straßenbahnfahrer, Trucker und Kuriere verschwinden von der Bildfläche, auch Traktoren und Mähdrescher erledigen ihre Arbeiten nun selbständig.

 

Mit zunehmender Verbreitung - und den dabei sinkenden Preisen - gelangen Roboterautos auch in Privatbesitz, sodaß der Anteil der autonomen Fahrzeugen fortwährend steigt.

Menschliche Fahrer werden zu einem Risikofaktor, sie verlangsamen den Verkehrsfluss und verursachen unnötige Unfälle. Während die Roboterautos schnell und präzise ihr Verhalten koordinieren, wirken die menschenge­steuerten Pendants wie irrationale Blackboxes: träge und schwer vorhersehbar.

Es ist also davon auszugehen, daß ein Kampf um die Straße einsetzt und die menschlichen Fahrer von ihr verdrängt werden. Am Ende dieser Entwicklung steht ein Fahrverbot für die Menschen, zumindest in den städtischen Zentren.

 

Diese Prozesse werden durch einen einsetzenden kulturellen Wandel gefördert. Es wird immer weniger attraktiv, sich in ein herkömmliches Auto zu setzen und die Mühe des Fahrens auf sich zu nehmen.

Die Menschen sitzen nun in umgestalteten Limousinen wie in engen Wohnzimmern und gehen dort vielen ihrer gewohnten Beschäftigungen nach. Sie beginnen, sich an die Anwesen­heit von Robotern - zunächst in der Form von Fahrzeugen - zu gewöhnen. 

Die ehemals innige Beziehung zum eigenen Wagen löst sich auf. Immer weniger Menschen wollen noch ein Auto besitzen. Man ruft eines, wenn es nötig ist, die Fahrzeuge zirkulieren gemäß dem jeweils aktuellen Bedarf, statt die meiste Zeit irgendwo herumzustehen.

Die Transportsphäre entkoppelt sich von der menschlichen Gesellschaft, sie wird zu einem Super-Taxi-Verbund, der ohne unser Zutun funktioniert und uns jederzeit an den gewünsch­ten Ort bringen kann.

 

Das autonome Fahrzeug lässt sich als rudimentäre Vorform eines universalen Roboters verstehen. Es verfügt über ein Sensorium, mit dem es seine Umgebung wahrnimmt, einen kognitiven Apparat, der das Wahrgenommene interpretiert und über ein motorisches System (wobei dessen Spektrum noch sehr schmal ist - das Auto kann nicht viel mehr tun als beschleunigen, bremsen, lenken oder seinen Zustand erhalten).

 

Die gesellschaftliche Bedeutung des autonomen Fahrens besteht vor allem darin, daß sich Menschen und Roboter von nun an im Modus der Alltäglichkeit begegnen.

Zwar ist der Straßenverkehr nur ein abgegrenzter Bereich, in dem besondere Regeln gelten. Die Ausbreitung der Automaten in die Lebenswelt der Menschen vollzieht sich von diesem strukturellen Anker aus, getragen von einer unaufhörlichen Transformation der technolo­gi­schen Landschaft.

In diesem Feld der Begegnung entfaltet sich ein Spektrum neuartiger Phänomene, es entwickeln sich juristische, psychologische, soziologische, politische und andere Schnitt­stellen zwischen den Menschen und den immer selbständiger agierenden Maschinen.

Es entsteht eine sich eng vernetzende Kybernetische Sphäre, deren zunächst äusserlich vertraut wirkenden Akteuren bald auch Handlungen zugeschrieben werden können.   

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.02.2024. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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