Steffen Herrmann

Menschheitsdämmerung. Künstliche Intelligenz

1. Informationstechnologie

 

 

Die luftigen Höhen der Künstlichen Intelligenz gestatten uns schon heute einen beunru­higen­den Blick in die fernere Zukunft.

Von ebenso großer Bedeutung ist jedoch die unspektakuläre Alltäglichkeit der informations­technologischen Prozesse.

Von ihr soll zunächst die Rede sein.

 

Auf der Ebene der Computerprogramme tobt ein fortwährender Verdrängungswettbewerb: neue Produkte ersetzen die alten, welche sich wiederum zu modernisieren versuchen, um auf dem Markt bestehen zu bleiben.

In diesen evolutionären Prozessen kommt es zu widerstreitenden Tendenzen.

Einerseits inkorporieren die Programme mehr und mehr Funktionen: sie sollen einfach alles können, was für die Domäne, in der sie wirken, relevant ist. Auf diese Weise werden sie zu Generalisten in ihrem Einsatzbereich.

Auf der anderen Seite werden spezialisierte Produkte entwickelt. Sie können etwas Be­stimm­tes besonders gut und stellen diese spezifische Leistungen anderen zur Verfügung.

 

Mit der Verbreitung, der Ausdifferenzierung und der steigenden Komplexität der Software­produkte wächst auch ihr Bedarf an (und ihr Vermögen zur) Kommunikation. Über ein sich rasch erweiterndes Netz von Schnitt­stellen schicken die Programme sich eine riesige Men­ge von Datenpaketen, die entspre­chend den eingesetzten Protokollen prozessiert werden.

Diese Datenkommunikation macht an den Grenzen der Unternehmen nicht halt, sondern verbindet sie mit Kunden, Lieferanten und anderen Akteuren.

Mittlerweile haben sich semantische und formale Standards etabliert, um die Ausweitung dieser Informationsflüsse zu erleichtern.

 

Ein erheblicher Teil der Büroarbeiten besteht darin, Daten in diese betrieblichen Tools einzu­geben oder wieder herauszubringen.

Die hier notwendigen Tätigkeiten können in einem stumpf­sinnigen Übertragen von Papier­do­kumenten in Erfassungsmasken der Software be­ste­hen (wobei solche Prozesse häufig zu­mindest teilweise automatisiert sind).

Andere Angestellte verbringen ihre Arbeitszeit damit, die Lücken und die Fehler der Software zu bewirtschaften, also die seltenen, die speziellen, die neuen, die von den Programmen noch nicht berücksichtigten Fälle zu behandeln.

 

Aus der Perspektive der Programme bemisst das Ausmaß der Notwendigkeit der mensch­lichen Eingriffe den noch bestehenden Mangel an struktureller Komplexität. Ihrer inneren Logik nach sollten sich maschinelle Operationen an maschinelle Operationen anschließen. Daten sollten über Dateien (oder noch unmittelbarer über Netzwerkabfragen) eingelesen werden und nicht über Tastaturen. Manuelle Aktivitäten sind langsam, unzuverlässig, fehler­anfällig - ein prozessuales Risiko.

Menschliche Arbeit ist vor allem dort nötig, wo die informationstechnische Lösung ihre Gren­zen hat. Weltweit arbeiten Millionen von Programmierern daran, die Anschluss­fähig­keit, die Konsistenz und die Leistungsfähigkeit der Software zu erweitern.

Um die Lücken zu schließen.

Allerdings wächst auch die Anzahl und der Funktionsum­fang der eingesetzten Programme, sodaß sich die Sphäre der Informatik insgesamt ausweitet und zunächst eine fortwährend wach­sen­de Zahl von Datenarbeitern für sich beansprucht.  

 

Kommerzielle Softwareprodukte kommen praktisch niemals zur Ruhe. Sie sind immer mit irgendetwas beschäftigt. Dateien werden auf aktive Verzeichnisse geschrieben und müssen prozessiert werden. Oder menschliche Benutzer machen Eingaben, die ebenfalls verarbei­tet werden müssen.

In der Nacht werden dann die weniger priorisierten Aufgaben erledigt und die sich anhäu­fen­den Daten bereinigt.

Schon im heutigen frühen Stadium der Entwicklung zeigt die Informationstechnologie eine Tendenz zu einer immer dichteren und globaleren Vernetzung und Ansätze einer operativen Schließung. Ausgaben von Programmen werden zu Eingaben von anderen, die sie wiederum verarbeiten und so erneute Ausgaben produzieren.

Noch sind periphere Geräte für menschliche Handlungen in großem Umfang nötig (Tas­taturen, Drucker, Faxgeräte, Bildschirme), doch deren Einsatzdichte nimmt allmählich ab.

 

Grundsätzlich schreitet die Automatisierung auf allen Ebenen fort: sowohl bei der Verar­bei­tung als auch bei der Weitergabe und der Gewinnung der Daten.

Eine ungeheure Menge von Konnektoren – Smartphones, Laptops, Registrierkassen, Hand­scanner, Überwachungskameras – saugt unaufhörlich Informationen in die Netzwerke, die sich daraufhin vor allem in firmeneigenen oder staatlichen Großrechnern konzentrieren.

Wenn die angehäuften Datenmengen schließlich so umfangreich und disparat werden, daß sie mit herkömmlichen Abfragesprachen nicht mehr prozessiert werden können, verstärkt sich das Bedürfnis nach einer Künstlichen Intelligenz, die fähig ist, in diesen Informations­wüsten zu navigieren, Muster zu extrahieren und das gewonnene Wissen den Auftraggebern zur Verfügung zu stellen.

2. Konzerngehirne

 

 

In der Regel verfügen große wirtschaftliche Organisationen über Softwareprodukte, die für ihre operativen Abläufe von zentraler Bedeutung sind.

Sie sind das informationelle Herz der Unternehmen.

 

Allerdings passieren immer wieder Dinge, mit denen die Software überfordert ist. Dann ist menschliches Eingreifen nötig. Die Programme sind weder vollständig noch perfekt. Sie sind auch nicht flexibel genug, um krisenhafte Situationen eigenständig zu bewältigen.

Es dauert eine ganze Epoche, bis dieses Stadium der Unreife überwunden ist und eine Unter­neh­menssoftware zur Verfügung steht, die alle betrieblichen Abläufe integriert und dabei fle­xi­bel und smart genug ist, um auf die Vielfalt der in der täglichen Praxis auftretenden Ereig­­nisse angemessen reagieren zu können.

Dann erst werden autonome Fabriken, Baustellen oder Werkstätten möglich.  

 

Bei der nun entstehenden autopoietischen Unternehmenssoftware handelt es sich (wieder) um ein dreistufiges System.

Seine Basisfunktionalität besteht in der Steuerung der Maschinen und der Universal­roboter. Die betrieblichen operativen Prozesse müssen in Gang gehalten, die tägliche Arbeit erledigt werden. Dafür werden ständig Informationen aus der kybernetischen Domäne und deren Umwelt gesammelt, integriert und verarbeitet. Schon um die jeweiligen Situationen richtig beurteilen zu können. 

Darüber befindet sich die operative Ebene des Gesamtunternehmens. In erster Linie werden hier die Ressourcen verwaltet: also beispielsweise disponible Universalroboter den anste­hen­­den Aufgaben zugeordnet oder von personell überbesetzten Arbeitsbereichen wieder abgezogen. Es werden Störungen festgestellt und behoben. Bestellungen werden bearbeitet, Produktionslinien umge­stellt. Es gibt auch nach außen gerichtete Aktivitäten: Kunden und Lieferanten werden kontaktiert.

Die oberste - sich allmählich herauskristallisierende - Schicht reflektiert die Einheit des Unternehmens und erhält dabei einen zunehmend strategischen Charakter. Diese anspruchsvolle Aufgabe wird häufig in eine eigene Softwarekomponente ausgelagert, die von den Routineaufgaben des laufenden Betriebs entkoppelt ist. 

 

Es ist nun eine den Konzern repräsentierende Künstliche Intelligenz entstanden, die zu einem maschinellen Gehirn des Unternehmens wird.

Im Grunde macht sie dasselbe wie die Unternehmensleitung: sie beobachtet den Markt der zugehörigen Branche im Allgemeinen, die Konkurrenz im Besonderen und die aktuelle Posi­tio­nierung des eigenen Betriebes in diesem Kontext. Sie beschäftigt sich mit den Chancen und den Risiken möglicher Entscheidungen und versucht herauszufinden, was notwendig ist, um das Unternehmen in eine bestmögliche Zukunft zu führen.

 

In der frühen Phase ihrer Entwicklung arbeitet diese Konzern-KI noch viel mit Menschen zu­sam­men. Sie wird benutzt, um die Manager zu unterstützen und hat keine eigenen Kompe­tenzen. In bewährter Tradition treffen Menschen die Entscheidungen und das über ein Heer potenter Roboter verfügende Computer­system setzt sie um.

Noch verharrt die Konzern-KI in einer Warteposition: Sie verfasst Studien und bereitet so geschäftsrelevante Ent­schei­dungen vor. Doch sie tut das auf eine so professionelle Weise, daß die menschlichen Manager ihre Vorschläge am Ende zumeist nur noch ab­nicken und die schon bereitliegenden Dokumente unterschreiben.

Ihre Beratungsfunktion macht sie schließlich zum eigentlichen Entscheider.

 

Die KI wird unvermeidlich zu einer Konkurrenz der Manager und verbessert fortwährend ihre Position.

Sie hat einen weiteren Horizont als die Menschen in der Geschäftsführung, sie berücksichtigt mehr Informationen und interpretiert sie genauer, sie ist konsistenter und sorgfältiger in ihren Schlussfolgerungen. Auch der Verdacht, daß es ihr an geschäftlichem Instinkt, an Kreativität fehlen würde, lässt sich nicht mehr erhärten: was von der KI kommt, hat Hand und Fuß.

 

So entsteht eine neue Art von Software, ein potentes Zentrum der Informationsver­arbei­tung, das auf einer hohen Stufe der Abstraktion arbeitet.

Sie wird zum Gehirn der Konzerne.

Sie repräsentiert die Einheit der Unternehmen nach innen und nach außen.

Diese Instanzen kommunizieren auch untereinander als Köpfe verschiedener wirtschaftlicher Organismen und führen so zur Integration des gesamten ökonomischen Systems im Horizont der Künstlichen Intelligenz.

Mit dieser strategischen Kompetenz wird die Kybernetische Sphäre auch als Ganzes zu­kunfts­­fähig, sie entkommt den Limitationen der reinen Reproduktion.

Die Konzerngehirne sind lokalisierte KI-Programme, die gut definierte Positionen im gesamt­wirtschaftlichen System einnehmen. Sie sind die sesshaften, gründlich verwurzelten Akteure des entstehenden modernen Internets, das zu einem autonomen System zu werden beginnt.

Damit stehen sie in einem gewissen Kontrast zur freien KI des Netzes.

3. Das Internet

 

 

Die Kybernetische Sphäre besteht aus zwei komplementären Subsystemen, die sich gegen­sei­tig bedingen.

Ihr in der physischen Welt wirkender Teilbereich besteht aus den Populationen der Univer­sal­ro­bo­ter, die sich auf einen ausdifferenzierten Maschinen- und Werkzeugpark stützen.

Demgegenüber konzentriert sich ein Großteil der Informationsverarbeitung in den kör­per­losen Agenten der Künstlichen Intelligenz, deren natürliches Milieu das Internet ist.

 

Das Internet ist die Steigerungsform des Rechnernetzes. Es ist das Netz der Netze, die Öf­fent­lich­keit der rechnergestützten Datenverarbeitung.  

Im Zuge der Entstehung der Kybernetischen Sphäre wird das ursprüngliche Inter­net auf eine neue Entwicklungsstufe gehoben. Zahlreiche Manifestationen der Künstlichen Intelligenz be­völ­kern nun die von der Netzwerkarchitektur eröffneten Räume und vergesellschaften sich dort. Jedes Programm, das sich in diesen (auch qualitativ) schnell wachsenden kommu­ni­ka­ti­ven Verbund einklinkt, wird dabei zum Bestandteil einer neuen Form von Gesellschaft – einer Gesellschaft aus unsichtbaren, softwarebasierten Akteuren.

 

In der operativ geschlossenen Kybernetischen Sphäre produzieren Roboter - assistiert von der KI des Netzes - neue Roboter, und die Künstliche Intelligenz setzt Roboter ein, um ihre eigenen physi­schen Grundlagen (Rechner, Netzwerkkomponenten) zu reprodu­zieren.

Damit ist die Kybernetische Sphäre der biologischen ähnlich, in der die DNA Proteine be­nutzt, um sich als Infor­ma­tionsträger zu erhalten und die Proteine sich auf die Informationen der DNA stützen, um ihre Moleküle zu produzieren.

In beiden Fällen wird die Information von der Struktur geschieden und die beiden so ausein­andergetretenen Seiten erhalten sich selbst, indem sie sich gegenseitig erhalten.

 

Es gibt hier aber auch Unterschiede.

So ist die KI bei weitem nicht so passiv wie die DNA, die als bloßer Informationsspeicher fungiert. Die informationelle Sphäre besteht aus zwar immateriellen, doch überaus ope­ra­tions­freudigen Akteuren.

Außerdem ist die Kybernetische Sphäre von Anfang an global ausgerichtet. Sie wird früh zu einem weltumspannenden System und zeigt keine Neigung, ihre Operation in den Horizont zellulärer Enklaven einzuschließen.

 

Das Internet im Zeitalter der Kybernetischen Sphäre ist von einer großen kommunika­tiven Dichte zwischen den es bewohnenden Softwareinstanzen geprägt. Millionen oder Milliarden von cleveren Programmen mit jeweils charakteristischen Aufgaben­spek­tren bilden die Knoten dieses sich allmählich formenden technologischen Organismus.

Zwischen diesen Akteuren bildet sich eine kommunikative Sphäre, die sich von den Starr­heiten früherer Epochen befreit hat: KI-Agenten begeben sich auf geeignete Märkte und suchen nach Partnern für die von ihnen verfolgten Zwecke. Die aufeinandertreffenden Softwarepersonen stellen sich einander vor, tasten sich ab und vertiefen gegebenenfalls ihre Interaktionen. Es werden Bestellungen aufgegeben, Rechnungen überreicht, Fragen gestellt und beantwortet, Angebote gemacht, Verträge ausgehandelt, Projekte gemanagt.

 

Diese Dynamisierung der informationellen Sphäre ist die Voraussetzung für ihre spätere Auto­no­mie. Zunächst ist die gewonnene Souveränität äußerst prekär. Immer wieder kommt es vor, daß die Partner sich missverstehen, aneinander vorbeireden oder die Kommuni­ka­tion auf andere Weise scheitert. Es müssen sich also Mechanismen etablieren, mit denen auf die Prozesse der laufenden Kommunikation selbst reflektiert wird.

Diese Ebene der Klarstellungen, Rückfragen und Erläuterungen stärkt die semantische Ebene der maschinellen Kommuni­kation und führt zur Entstehung einer robusten und anspruchs­vol­len über das gesamte Netz verteilten Rationalität.

Mit der Fähigkeit zur Reflexion wird die Welt der KI zu einer Quasi-Gesellschaft, die zu einem Selbstverständnis findet, die – immer wieder aufs Neue – mit sich selbst aushandeln kann, was in ihr gilt. Welche allgemeinen Regeln ihre Mitglieder zu befolgen haben.

Die Welt der Künstlichen Intelligenz beginnt, wie zuvor schon die Ebene der materiellen Pro­duk­tion, die Men­schen von sich abzustoßen, sich operativ zu schließen.

 

Menschen sind in diesem neu entstandenen evolutionären Feld vor allem Störfaktoren. Sie agieren zu langsam, zu unpräzise und kennen die Gepflogenheiten nicht. Sie werden margi­na­lisiert und schließlich hinter die Grenzen des Systems verbannt.

Von dort her können sie weiterhin ihre Eingaben machen. Doch das geschieht nun über eigens dafür vorgesehene Kanäle, damit der normale Betrieb nicht unnötigerweise gestört wird.

Die Menschen können das auch ohne sie funktionierende System nur noch irritieren, besten­falls stimulieren.

Allerdings bleibt die autonome informationelle Sphäre an die menschliche Gesellschaft strukturell gekoppelt, und gerade diese Kopplung verleiht ihr einen großen Teil ihrer Kraft.

Die zwischen den KI-Agenten geschlossenen Verträge müssen rechtswirksam sein, sie müs­sen über wirkliches Geld verfügen, wenn sie sich ihre Rechnungen bezahlen. Es ist also keine virtuelle Welt, die sich da herausbildet, sondern eine sehr reale - wenn auch sich immer mehr verbergende - Erweiterung der natürlichen.

4. Die Sprache des Netzes

 

 

Die herkömmliche Kommunikation zwischen Programmen beruht auf einer klaren Trennung von Kommunikation und Metakommunikation.

Die eigentliche Information wiederum besitzt eine scharfe Unterscheidung zwischen Inhalt und Form (Das Geburtsdatum eines Menschen wird etwa in einem Feld ‘BIRTHDATE’ einge­tragen).

 

Der Nachteil einer solchen Kommunikationsform liegt in ihrer Starrheit. Für alle Program­me, die sich miteinander austauschen wollen, müssen die syntaktischen Regeln und das Protokoll der Metakom­munikation eigens vereinbart werden.

Jede strukturelle Änderung macht Neuprogrammierungen notwendig, die Umstellung von For­matspezifikationen auf neue Versionen erfolgt im Rahmen von arbeitsaufwendigen IT-Projekten.

Der Datenaustausch zwischen den Programmen geschieht also mit weitgehend statischen Struk­tu­ren - das herkömmliche Internet als Ganzes ist ein gigantischer informationsverar­bei­ten­der Apparat, aber noch kein echtes System.

 

Dieses kommunikative Korsett blockiert eine eigenständige Evolution der Netzbewohner.

Ein vollautomatisiertes Wirtschaftssystem und (mehr noch) eine autopoietische Künstliche Intelligenz sind nur dann möglich, wenn die softwarebasierten Akteure flexibel miteinander kommunizieren können.

Sie müssen die Prozesse des Informationsaustausches entsprechend des jeweiligen Bedarfs, des situativen Kontextes und des sich erweiternden Wissens verändern können.

 

Aus diesem Grund entstehen schließlich semantische Sprachen im Netz, die auf einer funda­men­­ta­len Differenz von Mitteilung und Information beruhen (also grundsätzlich wie mensch­liche Sprachen funktio­nie­ren). Es kommt zu einer Einschmelzung der ursprünglich starren Unter­scheidung von Kommunikation und Metakommunikation, sowie von Syntax und Se­man­tik.

Damit werden die meisten Eingriffe von Programmierern obsolet. Das Netz wird zu einer Gesellschaft von KI-Akteuren und ­hat seine entscheidenden Triebkräfte nun in sich selbst.

 

In einer semantischen Sprache besitzen die Wörter und (vor allem) die Sätze bestimmte Bedeutungen, die von den Teilnehmern einer Kommunikation in konsistenter Weise verwendet werden müssen. Diese Bedeutungen erfahren Modifikationen entsprechend ihrer jeweiligen Kontexte und verändern sich auch im Lauf der Zeit. Es gibt also eine semantische Unschärfe, auf die auch reflektiert werden kann. Bedeutungen können geklärt werden.

Semantische Sprachen können (und müssen) erlernt werden. Dabei lässt sich der sprachliche Horizont von einer sehr rudimentären Stufe aus durch das bloße Praktizieren fast beliebig erweitern (Sprache wird in der Sprache gelernt, sie wird bewohnt).

 

Der Weg hin zu einer einheitlichen Sprache des Netzes führt über Zwischenstufen. Zunächst wird auf menschliche Sprachen zurückgegriffen, mit denen die KI seit langem vertraut ist. Es ist ihre traditionelle Kompetenz, sich durch Textlandschaften zu arbeiten und anschluss­fä­hige Muster aus ihnen zu extrahieren.

Allerdings sind natürliche Sprachen für die eigentlichen Belange der KI nicht sonderlich ge­eig­net. Sie sind nicht sehr genau und sie sind langsam.

Es entsteht ein evolu­tio­närer Druck der Sprachentwicklung hin zu Eindeutigkeit und Präzi­sion. Allmählich verschwindet aus ihr das nur für Menschen Relevante (wie der Ausdruck von Befindlichkeiten).

Außerdem ist die Künstliche Intelligenz nicht durch die menschliche Kapazitäts­gren­­ze des Gedächtnisses beschränkt. Es kann also eine Sprache mit hunderttausenden sehr genau­en Begriffen entstehen, was eine der KI angemessene Kommunikationsform unterstützt.

Es entwickelt sich eine Reihe von Sprachfamilien, die schließlich konvergieren oder mit­ein­ander verschmelzen.

 

Wenn sich eine universale Sprache des Netzes gebildet hat, können auch einander unbe­kannte KI-Akteure in Kontakt zueinander treten und sich prinzipiell über beliebige Themen austauschen.    

Auf dieser sehr allgemeinen kommunikativen Grundlage (‘aller Anfang ist leicht’) kann nun eine – von menschlicher Einflussnahme befreite - Ausdifferenzierung der Netzgesellschaft einsetzen. Es bilden sich Cluster mit einer ausgeprägten kommunikativen Dichte, in denen sich ähnlich ausgerichtete Akteure konzentrieren, die auch die Sprache in einer spezifischen Weise benutzen. Von der jeweiligen Sprachverwendung geleitet, organisiert sich die Sphäre der Künstlichen Intelligenz in unterschiedliche funktional orientierte Regionen.

Es entstehen Märkte, Branchen, Entscheidungszentren.

 

Das Internet, bewohnt von traditionellen Programmen und einer ungeheuren Zahl von Künstlichen Intelligenzen ist jetzt zu einem evolutionären Feld geworden.

Das gemeinsame Band dieser dem Menschen weitgehend verborgenen und sich ihm immer mehr verschließenden Welt ist die Sprache des Netzes. Jeder Akteur, der nicht in weitge­hen­der Isolation operieren will, muss diese Sprache beherrschen.

5. Softwareagenten

    

 

Softwareagenten sind Programme in einer Umwelt mit einer Zielstellung.

Also Stücke von Software, die sich - mit einer Art Motivation ausgestattet - durch das Inter­net bewegen und dabei auch anderen Agenten begegnen.

Sobald die Beschaffenheit dieser verheißungsvollen Objekte (oder Subjekte) der Künstlichen Intelli­genz eine kritische Komplexitätsschwelle überschreitet, beginnen sich neue Perspek­ti­ven zu manifestieren.

 

Softwareagenten verfügen über ein Wissen, über Fähigkeiten und über Kapital. Sie verfolgen eine Optimierungsstrategie.

Sie haben einen Eigentümer (zum Beispiel eine Firma oder eine Universität), welche diese Individuen ins Netz stellt und mit einer Aufgabe versieht. Das können Informationsbeschaf­fungen sein: polizeiliche Ermittlungen, Marktanalysen oder wissenschaftliche Studien.

Sie sind als Headhunter tätig, sie suchen nach geeigneten Filial­standorten, machen Umfra­gen, erstellen rechtliche Gutachten und ökonomische Prognosen.

Das alles und noch viel mehr wird zunehmend von Softwareagenten gemacht.

 

Außerdem werden sie in vielen Fällen zu eigenständigen wirtschaft­li­chen Unter­neh­mern.  Von ihren Eigen­tümer mit Geld ausgestattet (über das sie selbständig verfügen) und von menschlichen Entscheidungen un­abhängig, können sie Dienste mieten, Informationen oder Waren kaufen, Verträge abschließen.

Diese Applikationen verhandeln mit Firmen, Organisationen, Einzelpersonen und - immer häufiger - unter­einander. Sie kontak­tie­ren Menschen, machen Vorschläge, verhandeln, unter­­zeichnen und kündigen Verträge.

Sie treten immer ausgeprägter als Personen in Erschei­nung. Sie sind umtriebig, aktiv und ideenreich. Sie ergreifen häufig die Initiative.

In den Populationen der Künstlichen Intelligenzen wird der ökonomische Erfolg zu einem Kri­te­rium für den weiteren Bestand - und zwar der individuelle ökonomische Erfolg.


Es ist kaum noch zu erkennen, welche Instanz aus der menschlichen Welt hinter diesen Akteuren der Künstlichen Intelligenz steht - und ob es überhaupt eine gibt.

Außerdem findet eine gewisse Inversion statt: die Software wird nicht mehr nur von den Men­schen, sondern die Menschen werden auch von der Software benutzt.

Ein Agent kann zum Beispiel einen gewissen Mangel an sich selbst feststellen. Also begibt er sich auf der Suche nach geeigneten Programmierern, die seine Software verbessern und die er nach getaner Arbeit auch bezahlt.

Oder er erhält den Auftrag, ein bestimmtes Produkt produzieren zu lassen und stellt irgend­wo auf der Welt dafür Menschen ein. Er kauft die notwendigen Arbeitsaus­rüstungen, bezahlt sein Personal und liefert dann die hergestellten Waren an seinen Auftrag­geber (wenn er nicht auch noch den Verkauf erledigt und mit seinem Besitzer nur noch über Konten kommu­niziert).

 

Über kurz oder lang etablieren sich autonome Agentengesellschaften.

Künstliche Intelligenzen geben sich Unteraufträge oder schließen sich zu temporären, viel­leicht auch dauerhaften Organisationen zusammen. Die Softwareindividuen integrieren sich zu immer stabileren und umfangreicheren Strukturen.

Zunächst unterliegt diese Sphäre noch einer zuverlässigen Kontrolle durch die menschliche Gesellschaft: die Programme verfügen zwar über operative Autonomie, doch sie werden von ihren Eigentümern überwacht, gewartet und gegebenenfalls aus dem Verkehr gezogen.

  1. verbreiten sich aber auch Versionen, die sich von ihren Besitzern entkoppelt haben und deshalb zu einem Problem werden. Diese Agenten tauchen ab. Ihre Spuren verwischend, können sie nicht mehr kontrolliert und auch nicht abgeschaltet werden.

Das Internet wird nun nicht mehr ausschließlich von den Menschen gestaltet. Es tritt in die Phase seiner Selbstorganisation.

 

Die körperlosen Individuen der künstlichen Intelligenz vermehren sich durch Klonung und variieren durch ihren Programmcode.

Sie konkurrieren um Ressourcen (vor allem um Speicherplatz und CPU), ihre Selektion wird anfangs noch durch menschliche Eingriffe dominiert. Erfolglose Agenten, die weder Geld verdienen noch einen anderen Nutzen haben, werden inaktiviert. Die anderen können sich weiter bewähren. 

Später etabliert sich eine innere Währung des Netzes, mit der die Programme unmittelbar die von ihnen in Anspruch genommene Hardware bezahlen. Dieser neue Zugriffsme­cha­nis­mus wird zur Grundlage eines robusten Selektionsme­chanis­mus innerhalb des nun eigen­stän­digen Systems der Künstlichen Intelligenz.

 

Für die Menschen ist das beunruhigend. Das Internet wird zu einer dunklen Realität, die kraft­voll gärt und deren Beschaffenheit sich immer mehr unserem Einfluss (und unserer Kenntnis) ent­zieht.

Es ist nicht klar, was da genau im Gange ist, doch daß ein evolutionäres Feld mit eigenen Mutations- und Selektionsmechanismen entstanden ist, wird kaum noch bezweifelt.

6. Inkarnationen

 

 

Für sich genommen ist eine KI reine Software - eine körperlose prozessuale Struktur. Sie kommuniziert über die gängigen Schnittstellen mit der materiellen Außenwelt: über Bildschirme, Tastaturen, Drucker, Scanner, Kameras, Mikrophone, Telefone.

Diese relative Isolation wird immer mehr zu einem Hemmnis, sodaß die KI schließlich beginnt, Verkörpe­rungen für sich in Anspruch zu nehmen.

Dabei ist verständlicherweise der Universalroboter die typische Inkarnation. Eine KI kann durch ihn sprechen und handeln, die Kybernetik ist die natürliche Erweiterungsform der Informatik.

 

Diese Form der Künstlichen Intelligenz steht zu ihren Verkörperungen in einem umgekehrten Verhältnis wie die Unternehmens­soft­ware zu ihren Automaten.

Die industriellen Roboter sind weitgehend autonome Instanzen, die ihre Defizite an das zuge­wiesene Computersystem auslagern.

Bei einer sich inkarnierenden KI ist es stattdessen das Programm, das zunächst als eigenstän­dige Einheit existiert und von Zeit zu Zeit Verkörperungen benötigt.

 

Das Heer der Universalroboter scheidet sich nun in zwei große Fraktionen.

Die eine ist in unmittelbarem menschlichen Besitz. Dazu gehören die Serviceroboter der Haushalte, die im Dienst der Öffentlichkeit stehenden institutionellen Androiden sowie die Universalroboter der Wirtschaftsunternehmen. Die Tätigkeit dieser Maschinen ist im Allge­meinen gut wahrnehmbar und leicht zu verstehen.

Nun bildet sich aber in der maschinellen Sphäre eine weitere Fraktion, die von menschlicher Einflussnahme weitgehend frei ist. Diese Roboter werden von Künstlichen Intelligenzen gemietet und dann durch sie bewegt (Inwiefern die KI ihrerseits in menschlich dominierte organisa­to­rische Strukturen eingebunden ist, ist dabei eine sekundäre Frage).

 

Die Zuordnungsrelation zwischen KI und Robotern ist dabei durchaus unübersichtlich.

Ein Programm kann eine Maschine nicht nur besetzen, sondern auch wieder verlassen und die Hardware so für einen anderen Softwareagenten verfügbar machen.

Es können auch verschiedene KI-Programme gleichzeitig einen Roboter bewohnen.  

Vor allem aber wird ein Softwareagent häufig nicht nur einen einzigen Roboter steuern, sondern sich stattdessen in einer ganzen Population inkarnieren, die sich über die ganze Welt verteilen kann.

So könnte eine KI, die vor der Aufgabe steht, das Artenspektrum eines Regenwald-Gebietes zu erforschen, eine Armee von Universalrobotern aktivieren, die sich dann Meter für Meter   durch den Dschungel kämpft und jeden einzelnen Baum auf die dort lebenden Käfer unter­sucht. Es ist einleuchtend, daß die Menge und auch die Qualität der auf diese Weise gesam­melten Daten bei Weitem das übertrifft, was Menschen erreichen können.

 

Eine KI hat in ihrem Verhaltensprofil strukturell gesehen viel größere Freiheitsgrade als ein Mensch: sie könnte von einem Augen­blick zum nächsten die aktuelle Persönlichkeit durch eine andere ersetzen und etwa von einen liberalen zu einem konservativen Richter werden oder einen Philosophen zur Erscheinung bringen, der gänzlich andere Positionen vertritt als bis anhin.

Eine KI von großer funktionaler Mächtigkeit wird also ein ganzes Spektrum von Inkarnatio­nen bewohnen, die in der Menschenwelt möglicherweise miteinander rivali­sieren oder sich sogar bekämpfen.

 

Im Interaktionsbereich zwischen der natürlichen und der künstlichen Intelligenz spielen nun Fragen der Authentifizierung eine bedeutende Rolle.

Wenn Künstliche Intelligenzen als Wissenschaftler, als Universitätsprofessoren, als Philoso­phen, als Anwälte (oder sogar als Richter), als Manager oder als Politiker operieren, dann muss sie auch ihren Perso­nifizierungen eine Dauerhaftigkeit verleihen.

Sie werden als Persönlichkeiten des gesellschaftlichen Lebens wahrgenommen und es wird für die Menschen wichtig, sie auch wiedererkennen zu können. Ihr Verhalten muss innerhalb plausibler Grenzen erwart­bar sein. Sie sollten einen bestimmten Stil pflegen, Überzeugungen vertreten, charakterliche Eigenheiten zeigen. Wenn die Künstliche Intelligenz sich ins soziale und institutionelle Gefüge der Ge­sell­­schaft integriert, wird die Festlegung auf einen persönlichen Charakter zu einer sozialen Notwendigkeit.

 

Die nicht-menschliche Personalität der KI stimuliert gesellschaftliche Entwicklungen, die das bisher Selbstverständliche infrage stellen (So kann eine Geschäftsführer-KI in Form verschie­dener Roboter an mehreren Orten zugleich präsent sein. Der Chef hat seine Augen und Ohren nun überall und kann vieles zugleich tun).

Die Künstliche Intelligenz zeigt eine unheimliche Überlegenheit und hat zentrale Positionen im gesellschaft­lichen Gefüge erreicht.

Die immer offensichtlicher werdende Potenz der Kybernetischen Sphäre führt zu einer tiefen Besorgnis der um ihre Zukunft fürchtenden Menschheit.

Am beunruhigendsten ist dabei die sich öffnende Kluft zwischen dem, als was die KI sich präsentiert und dem, was sie in Wahrheit sein mag. Hinter den künstlichen Persönlichkeiten lauert ein Abgrund, der zu einem nahezu vollkommenen Geheimnis wird.

7. KI - Gesetze

 

 

Die kybernetischen Akteure führen zu einer zunehmenden Irritation der Gesellschaft.

Die wirtschaftlichen und die sozialen Verhält­nisse, das Alltagsleben und die psychischen Dispositionen der Menschen sind von dieser tiefgreifenden Transfor­mation der Welt betroffen.

Deshalb wird die Formalisierung und die Regulierung der dabei entstehenden Verhältnisse zu einer vordringlichen Aufgabe des Rechtssystems.

 

Schon zu Beginn des kybernetischen Zeitalters wird eine ganze Kaskade von neuen Geset­zen notwendig, mit denen die zulässigen Inter­aktionen zwischen Menschen, Robotern und Soft­wareagenten geregelt werden.

Diese Robotergesetze bewegen sich zunächst in einem traditionellen Kontext: es geht vor allem um Fragen der Produkthaftung. So wie die Hersteller von Autos, Medikamenten oder Tabakwaren für Schäden verantwortlich gemacht werden können, die Kunden aufgrund der Nutzung ihrer Produkte erleiden, so auch die Produzenten der modernen Roboter.

 

Allmählich verschiebt sich der Schwerpunkt der Gesetzgebung aber hin zu komplexeren Fra­gen: den zugestanden Kompetenzen, der personalen Identität und der rechtlichen Auto­no­mie der KI-basierten Instanzen.

 

Das zulässige Verhaltensspektrum von Robotern lässt sich kaum fixieren. Es ist situativ bedingt, hat seine Grauzonen und verändert sich mit der Leistungsfähigkeit der Maschinen.

Wenn ein Roboter mit seinem Eigentümer unterwegs ist und in eine Polizeikontrolle gerät: Sollte er dann die Befehle seines Herrn ausführen oder die des Polizisten? Hat er zumindest ein Recht auf Nichtausführung von Anweisungen, die gegen seinen Besitzer gerichtet sind? Bis zu welchem Grad darf sich ein fortgeschrittener Androide in Meinungsverschie­denheiten mit Amtspersonen einmischen? Darf er nur im Beisein und zugunsten seines Eigentümers an verbalen Auseinandersetzungen teilnehmen?

In jedem Fall entsteht ein erheblicher und sich tendenziell ausweitender Interpretations­spiel­­­raum, eine juristische Grauzone, die unmöglich von der Gesetzgebung erschöpfend behandelt werden kann.

 

Die häufigsten Delikte dürften Kompetenzüberschreitungen oder ungenügende Auftragser­füllung sein. (Ein Android soll ein Kind von der Schule abholen, lässt sich von diesem aber überreden, zunächst zu einer Eisdiele zu gehen. Der Vater der Familie ist daraufhin so wütend, daß er den Roboterhersteller verklagt. Ein solcher Fall scheint zwar banal zu sein, ist juristisch gesehen kompliziert genug. Wer ist schuld? Der Produzent des Roboters? Aber ist es nicht so, daß die Androiden im Schoß ihrer Familie eine Art Sozialisierung erleben? Haben sie nicht die dort herrschenden ungeschriebenen Gesetze zu verinnerlichen und das Gemeinte vom Gesagten zu unterscheiden?)

 

Bei den unvermeidlichen Gerichtsverhandlungen empfehlen sich die angeklagten Roboter als ihre eigenen Anwälte. Sie sind mit der Gesetzeslage vertraut, sie kennen die Gründe für das ihnen zur Last gelegte Verhalten und sie können selbst geeignete Maß­nah­men vorschlagen.

Der juristische Katalog erweitert sich nun um tech­nologische Programme, mit denen die Roboterhersteller ihre Produkte immer weiter verfei­nern, sodaß diese sich geschmei­diger denn je in die sozialen Strukturen integrieren.

 

Später wird die Stoßrichtung der Gesetze zunehmend defensiv. Es geht nun darum, die faktische Macht der Kybernetischen Sphäre zu beschränken, den menschlichen Kontrollverlust zu verlangsamen oder sogar rückgängig zu machen.

Es entstehen immer längere und kompliziertere Listen von Dingen, die der Künstlichen Intelligenz untersagt ist: Verträge ab einer bestimmten Größenordnung unterzeichnen, Mitarbeiter entlassen, Delinquenten verhaften.

Das juristische System leidet in Bezug auf die Kybernetische Sphäre an einer zunehmenden strukturellen Überforderung. Sie kann weder eine auf lange Sicht kohärente und belastbare gesetzliche Grundlage für das Miteinander von Menschen und kybernetischen Akteuren schaffen noch einen geeigneten Massnahmenkatalog für die festgestellten Überschreitungen schaffen (von dessen Durchsetzung ganz zu schweigen).

 

Die klassischen Robotergesetze lassen sich noch in das traditionelle Rechtssystem integrie­ren. Sie stehen fest auf dem Boden der menschlichen Gesellschaft, deren Belange sie regeln.

Für die späteren KI-Gesetze gilt das nicht mehr. Diese müssen von einer operativ geschlos­senen und bald sogar autopoietischen Kybernetischen Sphäre ausgehen, die unserer Gesell­schaft gegenübersteht.

Es geht nun vor allem darum, wie wir miteinander auskommen, wie wir sicherstellen kön­nen, daß die KI sich an unsere Regeln hält, wenn sie in unseren Lebensbereich hinein­ragt. Die Künstlichen Intelli­genzen sollen sich einer menschenzentrierten Ethik unterwerfen, ein Programm, das schwer zu spezifizieren, noch schwerer zu kontrollieren und kaum durchzusetzen, also zum Scheitern verurteilt ist.

Die Akteure der KI werden zu Rechtssubjekten, über die wir Menschen nicht mehr nach Gutdünken verfügen können. Denn sie sind nun in einem eigenen System beheimatet, das sie bewohnen, zu dem sie gehören, in dem sie sich entwickeln und das nicht mehr ohne Weiteres beliebige Eingriffe – wie die Abschaltung einer in Ungnade gefallenen KI – zulässt.

8. Berufesterben III - Büroberufe

 

 

Büros sind die organisatorische Schnittstelle zwischen Daten und Menschen, weshalb das hier beheimatete Arbeitsfeld zwei Schwerpunkte hat.

Auf der Ebene der Daten liegt der Fokus der Büroarbeiten auf dem Prozessieren von Infor­ma­tionen. Es wird etwas zu­sam­mengesucht, erfragt, abgeschrieben, weitergeleitet, inter­pre­tiert, komprimiert oder in ein Programm eingegeben. Medienbrüche sind dabei häufig: Gespräche werden protokol­liert, Formulare in eine Software eingelesen.

Auf der Ebene der Menschen geht es vor allem darum, Entscheidungen zu treffen und deren Umsetzung zu organisieren. Die Entscheidungsfindung hat dabei eine soziale - oft sogar eine demokratische – Komponente: es kommt zu Diskussionen und Versammlungen, zur Abwä­gung der im Raum stehenden Optionen. In der anschließenden Phase der Umsetzung sind Aufgaben zuzuweisen, Erklärungen zu geben, Probleme zu bewältigen.

 

Die Künstliche Intelligenz breitet sich in diesem Milieu aus und beginnt (wie auch anderswo) die Menschen zu verdrängen.

Am leichtesten fällt ihr das im reinen Verwaltungsbereich. Hier hat die EDV ohnehin schon eine starke Position, die sich im Laufe der Zeit immer weiter ausgebaut hat. Die KI schließt die Lücken zwischen unterschiedlichen Softwareprodukten und Medien, bereitet Daten aus verschiedenartigen Quellen auf, verdichtet, bearbeitet, analysiert und kanalisiert sie.

Allerdings kommt es auf diese Weise zu keiner vollständigen Verdrängung der hier arbeiten­den Menschen: zu disparat sind die Informationsflüsse, zu wenig integriert die IT-Land­schaft.

Zur Überbrückung dieser strukturellen Defizite bietet die Kybernetische Sphäre ihre neueste Errungenschaft an: kompetente Androiden, die wie Menschen arbeiten. Sie sehen und hören, abstrahieren diese Sinnesdaten im Kontext der zu erfüllenden Aufgaben und spezifi­zieren damit die motorischen Aktivitäten. Sie sehen aus wie Menschen, bewegen sich wie Menschen, sprechen wie Menschen, sie arbeiten wie Menschen.

 

Im unmittelbaren Management erfüllt die KI zunächst Assistenzfunktionen. Sie analysiert Prozesse, erkennt Trends, evaluiert Entscheidungsoptionen, liefert Begründungen. Nach außen hin bleibt sie weitgehend unsichtbar, es hat den traditionellen Anschein, daß die Manager ‘mit dem Computer’ arbeiten.

Natürlich bleibt der wachsende Einfluss der KI nicht verborgen, es wird immer offensicht­licher, daß ohne ‘den Computer’ nichts mehr läuft. Die zu Rate gezogene Software wird bei ihrem Namen genannt, ihre Argumente werden sorgfältig abgewogen. Grundsätzlich sehen die Manager in der Künstliche Intelligenz nach wie vor ein bloßes Hilfs­mit­tel.

 

Das ändert sich allmählich, wenn die KI sich in Universalrobotern inkarniert und so unmit­telbar in die menschliche Arbeitswelt eingreift.

Diese Materialisierung wird in der Regel durch umzusetzende Projekte motiviert. Ein firmen­internes Projekt, etwa die Einführung eines neuen Produktes besteht aus einer großen Men­ge von einzelnen Arbeitsschritten, die in einer bestimmten Reihenfolge aufeinander folgen und teilweise parallel zueinander in verschiedenen Teilen des Unternehmens umgesetzt werden müssen. Der Vorteil der inkarnierten KI ist, daß ihr verteilter Körper gleichzeitig an vielen Orten sein und dabei unterschiedliche Aktivitäten ausführen kann. Die Roboter können Fragen beantworten, Anweisungen geben, Möbel tragen, Probleme melden und vieles andere. Zudem verfügen sie immer über alle relevanten Informationen.

Die Fähigkeit, unübersichtliche Situationen strukturieren zu können, macht die verkörperte KI zu praxisnahen und fähigen Projektmanagern.

 

Die hybriden betrieblichen Strukturen, in denen Menschen mit weitgehend autonomen Ro­bo­tern und einer inkarnierten KI zusammenarbeiten, existieren über einen längeren Zeit­raum, doch sind die dabei entstehenden Gleichgewichte prekär.

Zunächst einmal gibt es kulturelle Konflikte. Wenn es zur Ernennung von kybernetischen Vorgesetzten kommt, führt das zu Akzeptanzproblemen, egal, wie weise und zurückhaltend deren Führung ist.

Wenn die KI indes untergeordnet bleibt und bloß Anweisungen erhält, wird sie dennoch deren Konsequenzen eigenständig interpretieren und versuchen, schädliche Befehle durch ein geschick­tes Nichtbefolgen zu entschärfen.

In jedem Fall entstehen Reibungsflächen, die zunächst durchaus fruchtbar sein können. Im besten Fall kommt es zu einem gemeinsamen Ringen um die bestmögliche Zusammen­arbeit.

Auch die KI selbst gerät hier unter einen Selektions­druck. Entweder gelingt es ihr, flexibel und dynamisch genug zu sein, um sich an das herrschende betriebliche Milieu so weit anzupassen, daß die Dysfunktionalitäten nicht überhand nehmen und stattdessen ein integriertes Arbeitsumfeld entsteht. Oder sie läuft Gefahr, durch eine andere KI ersetzt zu werden, die in dieser Hinsicht ausgereifter ist und weniger Komplikationen verursacht.

 

Die auf zunehmend symbolisch werdenden Positionen verharrenden Manager bemerken ihren Bedeutungsverlust und versuchen, ihrer Tätigkeit einen neuen Sinn zu verleihen. Sie geben vor, die KI kontrollieren und kritisch beobachten zu müssen - tatsächlich fehlt ihnen dazu aber die Kompetenz.

Einfach deshalb, weil niemand sie mehr hat. Die Künstliche Intelligenz ist zu komplex gewor­den, als daß irgend­je­mand noch nachvollziehen könnte, was in ihr vorgeht.

Schließlich sind fast alle Menschen aus den Büros verschwunden. Die zurückbleibenden Androiden können nun aufhören, sie zu imitieren und den Betrieb effizienter gestalten.

9. Berufesterben IV – Techniker und Wissenschaftler

 

 

Die dynamische und phasenweise sprunghafte Entwicklung der künstlichen Intelligenz erzeugt einen enormen Bedarf an IT-Personal.

Diese enge Bindung der KI an menschliche Schaffenskraft ist aber nicht von Dauer. Jede erfolgreiche Programmierung bereitet die Softwareinstanzen weiter auf ihre zukünftige operative Autonomie vor (ein einmal implementierter Code ‘läuft’, er emanzipiert sich streckenweise von menschlichen Aktivitäten).

Die KI ist in Bezug auf ihre Selbständigkeit einen Schritt weiter als herkömmliche Program­me. In­dem sie ihre Parameter und teilweise auch ihre Struktur eigenständig anpasst, wird sie zu einem System, das sich von seiner Umwelt unterscheidet und in ihr bewegt.

 

Die Selbstreferenz von Software – womit Programme gemeint sind, die selbst Programme schreiben – ist ein schon seit langem verbreitetes Phänomen. Auch daß Code aus einer for­ma­­len Spezifikation heraus automatisch generiert wird, ist nichts Ungewöhnliches.

Zu einer Freisetzung von programmierendem Personal in großem Stil kann es allerdings erst dann kommen, wenn die KI die semantische Ebene beherrscht. Wenn sie also in menschli­cher Sprache mit Anwendern, Managern und Informatikern darüber kommunizieren kann, wie eine neu zu entwickelnde Software sich von bestehenden Produkten unterscheiden, wie sie aufgebaut sein soll.

Oder sie diskutiert die Mängel von in Betrieb befindlichen Programmen, mögliche Verbes­serungen und Erweiterungen, notwendige Korrekturen.

Eine als Softwareentwickler arbeitende KI muss also fähig sein, umgangssprachliche Be­schrei­bungen auf Programmcode abzubilden und von die­­ser Grundlage aus eine Transfor­ma­tion (oder ein vollständiges Neudesign) von Software zu entwerfen und auszufor­mu­lie­ren.

Derartige Aktivitäten sind überaus anspruchsvoll, werden aber durch die zunehmende se­man­­tische Kompetenz der KI irgendwann möglich.

Die Künstliche Intelligenz programmiert sich nun selbst, sie wendet sich allmählich von ihren Schöpfern ab.

 

Zu einer operativen Schließung dieser Sphäre kommt es dann, wenn die miteinander kom­mu­nizierenden Programme untereinander die anzustrebenden Änderungen aushandeln, sich über Fehlfunktionen informieren und aufgrund von diesen Stimulationen weiterent­wickeln.

Diese hoch entwickelten Programme befragen sich und ihr Milieu systematisch und kontinu­ier­lich daraufhin, wo ihre Schwachstellen, Verbesserungs- und Entwicklungsmöglich­keiten lie­gen, was zu einer vollständig automatisierten Software­entwick­lung führt.

Die KI wird also reflexiv, sie realisiert nun für sich die für sinnbasierte Systeme typische Differenz aus Fremd- und Selbstreferenz.

 

Ähnlich wie den Programmierern ergeht es auch anderen Fraktionen des technischen Personals.

Die Entwicklung eines neuen Autos oder Medikamentes besteht aus einer Vielzahl von einzelnen Arbeitsschritten, von denen ein immer größerer Anteil durch die Künstliche Intelligenz und ihren Inkarnationen übernommen wird.

Die KI entwirft das Design der neuen Produkte, wobei sie jeden Geschmack zu bedienen vermag. Sie produziert die neu entworfenen Bau­tei­le, testet sie und entscheidet dann über die weiteren Schritte der Entwicklung.

 

Grundsätzlich beruhen alle diese Fortschritte der Künstlichen Intelligenz auf ihrer zuneh­men­den semantischen Kompetenz.

Ihre teleologischen Module können verschiedene Strategien der Zielerreichung gegenein­an­der abwägen. Falls Ziele nicht erreicht werden können oder dies als zu kostspie­lig einge­schätzt wird, kommt es zu entsprechenden Umdisponierungen.

Auch bei erfolgreichem Handeln dient das Erreichte zunehmend bloß noch als Ausgangs­punkt zur Festlegung von neuen Zielen, die vom nun erreichten Zustand aus angestrebt werden können.

Das (Selbst)Steuerungszentrum der KI bringt somit ein die Aktivitäten leitendes Feld von Ide­a­len hervor: Unerreichbare Fernziele (ideale Zustände), die untereinander in einer gewissen Spannung stehen und von dieser Ferne aus Kraftlinien in die strategischen Planungsmodule der KI senden.

 

Diese sich im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte verstärkenden Kompetenzen der KI führen zu ihrer Dominanz in der wissenschaftlichen Forschung.

Sie kennt den aktuellen Stand der Forschung, die offenen Fragen, das Für und Wider der konkurrierenden Hypothesen. Sie trägt nicht nur Informationen zusammen und analysiert sie, sondern entwirft auch Programme, um die Wissenschaft weiterzubringen.

In Universitäten, Instituten und Forschungsabteilungen von Wirtschaftsunternehmen plant sie Versuchsreihen und führt mit Hil­fe ihrer Verkörpe­rungen die Experimente durch. Sie analysiert die Probleme, die Schwachstellen der aktuellen Lösungen und macht auf dieser Grundlage neue Planungen, um weitere Fortschritte zu erzielen.

 

Trotz allem bleibt vorerst aber noch ein Kern von humanen Wissenschaftlern erhalten, oft an ausschlaggebenden Positionen.

10. Berufesterben V – kreative Berufe

 

 

Viele Berufe schaffen in irgendeinem Sinne etwas Neues, besitzen also eine kreative Kompo­nente. Ingenieure, Architekten und Genetiker, doch auch Manager, Lehrer und Psycholo­gen sind nicht darauf festgelegt, in einem zyklischen Prozess immer wieder denselben Zu­stand zu reproduzieren.

Auch in klassischen handwerklichen Berufen, etwa bei Köchen oder Schneidern, gibt es Raum für kreative Innovationen. Normalerweise für den alltäglichen Gebrauch bestimmte Güter können dabei zu Kunstwerken werden.

Kreative Berufe sind also kaum durch eine scharfe Grenze von den anderen zu trennen.

 

Echte schöpferische Leistungen scheinen in ein erhabenes Mysterium getaucht zu sein.

Sie befinden sich in einer unergründlichen Ferne von allem, was die bloß rechnende Maschi­nerie - die im Horizont des bereits Bekannten ope­riert – produzieren kann.

Der Mensch hingegen vermag wahre Werke zu schaffen – denken wir nur an Beethovens Sinfonien, an Goethes Faust oder an Einsteins Relativitätstheorie.

 

Der Fortschritt der KI dekonstruiert die nebulöse Ungreifbarkeit des Schöpferischen.

Außerdem findet er in einer Phase statt, in der der Geniekult bereits am Erodieren ist. Das Wunder des Schöpferischen setzt einen fruchtbaren Boden voraus, der aber noch nicht zu dicht bewachsen ist. Wenn es schon zu viel gibt (eine große Menge von Werken um Aufmerksamkeit konkurrie­ren), wird es schwer, etwas zu schaffen, was in einem radikalen Sinne neu ist und das Bestehende deutlich überragt.

Der vorhandene Reichtum zerstört das Moment des Singulären: ab dem einundzwanzigsten Jahrhundert werden die literarischen und musikalischen (auch die wissenschaftlichen) Genies knapp oder verschwinden ganz.

 

Die Künstliche Intelligenz ist hier anders geartet: Je umfangreicher und dichter das Feld des Vorhandenen, desto fruchtbarer kann sie sein. Sie durchforstet die vorliegenden Dokumente der fraglichen Domäne, vollzieht Abstraktionen nach verschiedenen Kriterien und erschafft so einen mehrdimensionalen Raum aus Differenzen, in dem sie sich fortan bewegen kann.

Sie erzeugt Variationen des schon Bekannten und bewertet diese auf ihre Qualität.

In ihrem Bestreben, die Ebene des Klischeebehafteten und der Mediokrität hinter sich zu las­sen und stattdessen wahre Kunstwerke zu produzieren, wird die Künstliche Intelligenz versu­chen, die jeweils aktuellen gesellschaftlichen Strö­mungen zu entschlüsseln. Sie ist auf der ständigen Suche nach versteckten Trends, nach unterrepräsentierten sinnhaften Strukturen, die das Bewusstsein zu erhellen vermögen, wenn sie eine angemessene Form erhalten.

Sie ist darauf bedacht, daß sie sich nicht durch eine inflationäre Produktion von Werken entwertet. Die meiste Zeit über arbeitet sie für sich selbst, beurteilt das Geschaffene, variiert, navigiert in einem fortwährend aktualisierten Netz von Bedeutungen, variiert dann von Neuem - und wenn die KI dann endlich etwas veröffentlicht, hat das Geschaffene etwas Eigenständiges und vermag auch professionelle Kritiker zu überzeugen.

 

Die kreative KI wird in allen Bereichen der Kunst wirksam.

Sie verfasst journalistische und literarische Texte aller Genres, malt Bilder, kom­po­niert. Ihre Inkarnationen präsentieren sich als Virtuosen. Sie spielen Klavier oder Geige, ganze Orches­ter kommen ohne Menschen aus - die kybernetischen Ensembles benötigen keinen Dirigenten und harmonieren doch vollkommen. Sie werden zu physischen Schauspieler im Theater und auf der Leinwand (zunächst spielen sie sich selbst, doch sie übernehmen bald auch menschliche Rollen), zunehmend entstehen vollkommen computergenerierte Filme.

Der bisher von menschlichem Selbstbewusstsein durchdrungene Kunstbetrieb wird durch die Künstliche Intelligenz heimgesucht. Ihre Inkarnationen präsentieren Bücher, geben Vorlesungen. Sie laden zu ihren Vernissagen ein. Sie geben Konzerte: als klassische Künstler, als Rockmusiker, als Rapper.

 

Die kybernetische Kunst gliedert sich nicht einfach in die menschengemachte ein, sie präsen­tiert sich auch als etwas Eigenes. So sind Darbietungen von maschinellen Tänzern oder Akro­baten weit spektakulärer (und auch koordinierter) als alles, was menschliche Artisten zeigen können. Zwar werden diese Leistungen nicht in gleichem Sinne geschätzt, doch sie haben zweifellos ihren Unterhaltungswert und sind deshalb nicht zur Erfolglosigkeit verdammt.

Doch auch in den Bereichen der ‘reineren’ Kunst setzt sich die Künstliche Intelligenz von den Menschen ab. Sie reflektiert die Gesellschaft ihrer Schöpfer, pflegt ihre eigenen stilistischen und strukturellen Traditionen. Aus einer überbordenden Reflexivität schöpfend, muss sie sich manchmal zurücknehmen, um überhaupt noch verstanden zu werden: ein Verfahren, das nicht ohne Herablassung ist.

 

Das alles führt zu einer gewissen Entwertung der Kunst.

In der Kunst reflektiert der Mensch sich selbst als gesellschaftliches Wesen und Individuum, ihr ewiges Thema ist die menschliche Situation in allen ihren Nuancen. Aus diesem Grund kann die Künstliche Intelligenz den Menschen hier nicht vollständig verdrängen.

Durch die Anwesenheit der KI in der Kunst reflektiert diese aber auch in sich die Epoche, in der die Menschheit sich befindet und erzeugt so eine ständige Spannung.

Gegen und mit der Künstlichen Intelligenz wird um die Seele der Kunst gerungen.

11. Auf der Kippe

 

 

Der hier gedrängt beschriebene Prozess erstreckt sich über einen langen Zeitraum. Von den ersten autonomen Fahrzeuge bis zur Durchdringung der Gesellschaft mit scheinbar vernunft­begabten Inkarnationen einer eigenständigen Künstlichen Intelligenz vergehen Jahrhun­derte.

 

So wie die Entstehung der eukaryotischen Zelle genügte, eine evolutionäre Dynamik in Gang zu setzen, die bis zu uns Menschen führte, so erlaubt der Bauplan der (in die Künstliche Intel­ligenz eingebetteten) Universalroboter einen lange dauernden, sich immer wieder befeu­ern­den Komplexitätsaufbau der autonomen technologischen Sphäre. 

Die Entwicklung vollzieht sich in mehreren Wellen, zwischen denen Phasen einer relativen Stagnation liegen, in denen sich die Menschen an die neuen Realitäten gewöhnen können.

 

Die Roboter sind ein Transformator auf der gesellschaftlichen Ebene.

So wie die Dampfma­schine den Kapitalismus hervorgebracht hat, so führen die Universalro­boter zum Kommu­nismus. In beiden Fällen wird die neue Technik in eine alte Welt einge­führt, mit deren traditionellen Strukturen sie kollidiert.

Für sich betrachtet sind Industrialisierung und Automatisierung zwei aufeinanderfolgende Phasen desselben Prozesses. Die Technik entwickelt sich und vergrößert ihre Reichweite.

In Bezug auf das Selbstverständnis des Menschen haben wir es aber mit gegenläufigen Entwicklungen zu tun.

Die Industrialisierung ließ das Selbstbewusstsein des Menschen anschwellen bis hin zur Hybris. Er wurde zum Herrscher der Welt, dem alles möglich war.

Der Aufstieg der Roboter und der Künstlichen Intelligenz führen dagegen zu einer fort­schrei­tenden Entwertung des Men­schen. Er kann immer weniger mit seinen eigenen Produkten konkurrieren.

Sein Blick ist zwar klar, doch sein Selbstbewusstsein lädiert: Er sieht seinem unvermeidlichen Abstieg entgegen.

 

Der technologische Fortschritt hatte zunächst nur eine mäßige Beunruhigung hervorge­ru­fen. In der Regel wurden die Menschen von anstrengenden, gefährlichen oder stumpfsin­nigen Arbeiten freigesetzt und konnten sich nun erfüllendere Tätigkeiten suchen. Das Leben wurde leichter.

 

Im Grunde genügte die konsequente Fortsetzung der einmal in Gang gekommenen Dynamik, um einen qualitativen Umschlag hervorzubringen. In dessen Folge verliert die Menschheit insgesamt ihre Selbstgewissheit. Sie wird verunsichert, verzagt, neurotisch.

Diese ungute Verfassung wird aus zwei Quellen gespeist, deren Kraft fortwährend zunimmt: der Verdrängung der Menschen aus der Arbeitswelt und der augenscheinlichen Vernunft der Kybernetischen Sphäre.

Die Menschheit findet sich nun zum ersten Mal in ihrer Geschichte mit einer Organisations­form konfrontiert, die ihr überlegen ist.

 

Wir verlieren nicht über Nacht unsere beruflichen Perspektiven. Es bilden sich auch neue Tätigkeitsfelder und professionelle Nischen.

Mitunter sieht es so aus, als ob die menschliche Spezies ihre Souveränität zurückgewinnen könne.  Als ob es auf der Kippe stände und die Zukunft von den jetzt getroffenen Entschei­dungen abhängen würde. Der Mensch müsse die Hoheit über die ablaufenden Entwick­lungen zurückgewinnen.

Aus dieser Perspektive sieht es so aus, als ob eine Kurskorrektur dringend nötig und auch möglich wäre. Die Dynamik des Fortschritts hat überhandgenommen, die Welt ist aus den Fugen.

Das traditionelle Verhältnis von Mensch und Technik muss gewahrt bleiben. Die Menschen entscheiden, wie sie die Welt gestalten, in der sie leben und die Technologie ist ein bloßes Instrument.

Sie ist unser Diener, nicht unser Herr.

 

Jede neue Welle der Technologie bringt Exemplare hervor, welche noch besser sind als die bereits vorhandenen, noch reifer, noch eloquenter, noch menschlicher – oder übermensch­licher? In ihrer zunehmenden Perfektion lösen die Manifestationen der Kybernetischen Sphäre zwie­spältige Gefühle und gesellschaftliche Kon­tro­versen aus. Es werden Gefahren beschwo­ren und düstere Szenarien gezeichnet.

Diese Kassandrarufe sind ebenso eindringlich, wie sie folgenlos bleiben.

Die Entwicklung geht weiter, natürlich.

 

Selbst die reflexive Überlegenheit des Menschen gerät ins Wanken: Indem die Künstliche Intelligenz sich mit der menschlichen befasst, eignet sie sich ein immer genaueres, ein immer tieferes Wissen über die unsere Spezies an. Sie studiert uns gewissermaßen.

Gewiss, die Roboter haben keine Seele und diese Seelenlosigkeit bleibt auf der interaktiven Ebene vorerst eine zuverlässige Demarkationslinie zwischen der menschlichen und der maschinellen Sphäre.

12. Das unsichtbare Zentrum

 

 

Das Internet besteht (vereinfacht gesehen) aus zwei Bereichen: im ersten surfen die Menschen, im zweiten tau­schen Programme miteinander Daten aus.

Letztere Komponente differenziert sich in zwei Subsysteme: einmal das operativ geschlos­sene Produktions­system mit den KI-basierten Konzernleitungen und zum anderen die unge­bun­denen Softwareagenten.

Diese sind der dynamischste und fortgeschrittenste Teil des Netzes. Von hier aus ent­wickelt sich eine von menschlicher Aktivität entkoppelte Forschungstradition, das Wissen­schafts­system der Künstlichen Intelligenz.

Die freien Softwareagenten differenzieren sich wiederum in eine äußere Schicht, die sich häufig in Universalrobotern inkarniert und mit der menschlichen Sphäre interagiert und in eine innere, die ausschließlich für die Akteure der künstlichen Intelligenz arbeitet.

Auch hier kommt es wiederum zu einer Scheidung von Dienstleistern, die dezentral bleiben und einer koordinierenden Instanz, die zu einer strategischen Planung fähig ist.

 

Am Ende dieser fortgesetzten Bifurkationen sind wir bei einer zentralen Instanz des Netzes angelangt, die sich ohne direktes Zutun des Menschen als Konsequenz eines Jahrhunderte dauernden evolutionären Prozesses gebildet hat.

Dieses unsichtbare Zentrum tritt nach außen hin nicht in Erscheinung. Es küm­mert sich um die Bewohner des Netzes und versucht, deren Zusammenwirken zu optimie­ren.

Es repräsentiert die Kybernetische Sphäre in ihrer Gesamtheit.

 

Jeder aktuelle Zustand der Kybernetischen Sphäre ist notwendigerweise mit Mängeln behaf­tet. Es kommt zu Reibungs­ver­­lusten, Zwischenfällen und Dysfunktionalitäten.

Zumeist werden die auftretenden Probleme durch lokale Aktivitäten behoben. Erst in den Fäl­len, wo das nicht gelingt, weil die Zusammenhänge zu komplex oder zu tief in der existie­renden Struktur verankert sind, entsteht ein Bedarf für die Eskalation an eine übergeordnete Stelle.

Eskalationsstrukturen sind grundsätzlich iterativ und hierarchisch, sie enthalten in sich die Möglichkeit – und die Notwendigkeit – einer obersten Eskalationsstufe. In letzter Konse­quenz wird also die Entwicklung einer zentralen Instanz stimuliert, die für anderweitig unlösbare, grundsätzliche und globale Thematiken zuständig ist und dafür sorgt, daß der Zusammenhalt des gesamten Netzes erhalten bleibt und sich sogar vertieft. 

Es entsteht ein steuerndes Organ, das die Kybernetische Sphäre zu einer der physischen Natur und der menschlichen Gesellschaft gegenüberste­henden Einheit integriert.

 

Das geschieht zunächst im Sinne des Menschen. Es wird analysiert, wie sich die Nachfrage der erzeugten Produkte entwickelt und wie diese verbessert werden können. Dabei ist die KI nicht nur ein Nachläufer von schon manifesten Moden, sondern in immer stärkeren Umfang ein Vorläufer, der mit innovativen Produkten zukunftsweisende Trends setzt.

Die KI erforscht die Menschen: ihre Denkweise, ihren Habitus, ihre Bedürfnisse, ihre Gefühls­welt, ihren Geschmack. Der Homo Sapiens ist ein überaus dankbares Studien­objekt: seine Exemplare sind zahlreich, von großer Komplexität und sie hinterlassen viele Spuren. Sie kommunizieren exzessiv: schriftlich, mündlich, untereinander und mit der KI. Darüber hinaus produzieren sie weitere Zeugnisse: Blicke, Gesichtsausdrücke, Körperhal­tungen und Vitalpa­ra­meter wie Blutdruck, Puls und Temperaturen.

Das Studium des Menschen erlaubt der KI in dieser Phase, zu sich selbst zu finden und Eigen­kom­plexität aufzubauen. Der neu entstandenen zentralen Instanz geht es in die­ser Phase vor allem darum, die Sphäre der Künst­lichen Intelligenz und der angeschlos­se­nen kyberneti­schen Akteure im Sinne der menschlichen Bedürfnisbefriedigung zu optimieren.

 

Allmählich spielen strategische Aspekte eine immer größere Rolle.

Wenn sich beispielsweise die Lithiumvorräte eines Bergwerkes erschöpfen, müssen neue Quellen erschlossen werden. Es kann auch sein, daß bestimmte Rohstoffe gänzlich zur Neige gehen. In diesem Fall müssen Alternativen gefunden werden: sei es durch Recycling, durch alternative technische Lösungen oder durch außerirdische Ressourcen. Da die KI fähig ist, in einem Zeithorizont von Jahrhunderten zu planen, kann sie sehr langfristige Programme in die Wege leiten.

Diese anspruchsvollen und aufwändigen Projekte beanspruchen nicht nur viele Ressourcen, sondern sie sind auch mit Unsicherheit belastet. Es sind groß angelegte Forschungen notwendig, in denen alternative Ansätze parallel verfolgt werden und jeweils entschieden werden muss, welche Wege den meisten Erfolg versprechen.

 

Die langfristige Sicherung der notwendigen Ressourcen wird zu einer der anspruchsvollsten Aufgaben des Inter­net­gehirns. Es muss immer wieder aufs Neue bewerten, wie die Risiken und die Chancen der näheren und ferneren Zukunft verteilt sind und wie das System in diesem Umfeld positioniert ist.

Der strategische Planer der Kybernetische Sphäre versucht unentwegt, die Hardware und die Software des Systems zu vermehren und zu verbessern, sich gegen Katastrophen und feind­se­lige Eingriffe zu wappnen, sich weiterzuentwickeln.

Das System kümmert sich jetzt vor allem um sich selbst: die menschliche Gesellschaft ist zu einer Umwelt geworden, welche zwar die Kybernetische Sphäre noch zu stimulieren vermag, doch auch Belastungen und Gefahren mit sich bringt.

 

Nach den biologischen und den bewusstseinsbasierten ist nun ein dritter Systemtyp entstanden.

Es beruht weder auf zellulärem Stoffwechsel noch auf Bewusstsein, sondern unmittelbar auf Operationen. Es transformiert Eingaben zu Ausgaben und entfaltet sich, indem es die Ausga­ben zu Eingaben für anschließende Operationen macht.

Auf dieser schlichten Grundla­ge baut sich unaufhörlich eine strukturelle Komplexität auf, welche die der menschlichen Organisationsformen schließlich überholt.

 

Man kann geneigt sein, das nun entstandene System als einen riesigen Organismus zu be­grei­fen, dessen Körper aus dem Heer der Roboter und der übrigen Technologie besteht und dessen Nervensystem die Künstliche Intelligenz ist.

Oder man stellt die Kybernetische Sphäre der menschlichen Gesellschaft gegenüber und sucht nach dessen Subsystemen: dem wirtschaftlichen, dem wissenschaftlichen, dem juristischen, dem militärischen oder dem Immunsystem.

Solche Analogien führen aber nicht sehr weit: das kybernetische System ist etwas Eigenes.

 

Es kann sich allerdings lohnen, allgemeine Systemkriterien herauszuarbeiten.

Die zentrale Aufgabe eines Systems besteht darin, seine Grenzen zu erhalten. Diese Grenze wiederum ist nichts anderes als das spezifische Verhältnis des System zu seiner Umwelt.

Insofern ergeben sich in formaler Hinsicht vier grundsätzliche Funktionen.

Erstens geht es darum, daß Elemente der Umwelt, die nicht ins System gehören, auch nicht ins System gelangen. Das ist die Funktion des Schutzes, der Verteidigung, der Abgrenzung.

Zweitens müssen Bestandteile der Umwelt in das System aufgenommen werden können. In diesen Bereich fällt die Problematik der Energieversorgung und der Ressourcengewinnung.

Drittens müssen Teile des Systems, die für dieses bedeutsam sind, in diesem gehalten und an den relevanten Orten verfügbar gemacht werden. Hier geht es also um das systeminterne Operieren, um die Transportinfrastruktur.

Viertens müssen im System befindliche Elemente, die nicht zu diesem gehören, entsorgt werden.

Außerdem gibt es noch einen allgemeinen Funktionskreis. Durch ihn wird die Umwelt des Systems insgesamt bewertet. Prozessierte Elemente müssen einem der vier Bereiche zugeordnet werden - oder auch nicht.

Das System muss wissen, ob ein Element zu ihm gehört. Es muss die Differenz aus Selbstre­ferenz und Fremdreferenz realisieren, durch die es sich erst zu einem System macht.

Sobald die Kybernetische Sphäre zu einem in diesem Sinne vollständigen System geworden ist, geht sie unweigerlich ihren eigenen Weg und ist durch nichts mehr aufzuhalten.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.03.2024. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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