Hans Pürstner

Die letzte Fahrt der Hanseatic Teil 4

Frau Scholz, Bewohnerin
Der erste Sonntag

Heut geh ich zum ersten Mal in den Speisesaal zum Frühstück. Die haben mich doch einfach ohne zu fragen auf den nächstbesten freien Platz an einem Vierertisch gesetzt. Noch zwei Damen und ein Herr sind meine Tischnachbarn. Aber jetzt sehe ich erst, es ist der Herr, den ich am ersten Tag kennengelernt habe. Vielleicht war das doch keine schlechte Idee vom Personal. Es ist der Kapitän. Und seine eifersüchtige Freundin sitzt mir gegenüber. Das kann ja heiter werden. Sie schaut auch ganz schön säuerlich drein. Mein Gott, ich nehm ihn ihr schon nicht weg, ihren Kapitän. Gegen meinen Alwin kommt sowieso keiner an. Außerdem, aus dem Alter bin ich raus. Sie aber anscheinend noch nicht, die alte Schabracke. Irgendwann wird sie sich schon beruhigen. Ich gehe zum Buffet und guck mir mal das Angebot an. Frische Brötchen gibt’s am Sonntag nicht, hat man mich schon vorgewarnt. Macht nichts, das leicht süße Brot der Mandelstuten mag ich auch ganz gerne. Und ein weichgekochtes Ei gibt’s. Nur am Sonntag, wegen des Cholesterins, stand in der Information für Neubewohner. Ich setz mich wieder hin und schenke mir eine Tasse Kaffee ein. Mit Heißhunger köpfe ich mein weichgekochtes Ei. Igitt- steinhart gekocht!
Meine Tischnachbarin guckt mich spöttisch an und weist mich mit spitzer Zunge darauf hin, das wäre wegen der Hygienevorschriften. Salmonellen und so. Was für ein Quatsch, ich bin neunzig geworden, mit einem vier Minuten Ei täglich trotz aller Salmonellen. Mit den Vorschriften, da haben sie es hier aber. Immerhin schmeckt der Kaffee. Hab schon befürchtet, es gibt hier nur koffeinfreien. In letzter Zeit bin ich immer so müde, da brauch ich das Koffein einfach zum wachhalten.
Der Kapitän fängt ein Gespräch mit mir an. Der traut sich vielleicht was. Die eifersüchtige Ziege macht ein Gesicht, wenn Blicke töten könnten.
Aber wir lassen uns nicht stören. Ich schwärme wieder vom Buffet auf der Hanseatic. Dort kam alle Nasen lang ein Ober und schenkte Kaffee nach. Hier lässt sich niemand blicken.
Er ist froh, endlich einen Gesprächspartner für seine Erlebnisse aus der Seefahrt zu haben. Und ich bin dafür eine dankbare Abnehmerin, ehrlich. Wir verabreden uns für nachmittags, um gemeinsam Kaffee zu trinken. Bisher hab ich meinen Nachmittagskaffee immer auf dem Zimmer eingenommen.
Kurz vor drei mach ich mich fertig. Das Mittagsschläfchen hab ich ausfallen lassen. Gleich treff ich mich mit Werner, sogar seinen Vornamen hat er mir schon verraten. Ich bin aufgeregt wie ein Teenager beim ersten Rendezvous.
Werner schaut mir schon ungeduldig entgegen, bietet mir formvollendet einen Platz auf dem schon etwas zerschlissenen roten Sofa an, das im zweiten Stock am Fenster zur Veranda steht. Die Stationshelferin hat uns schon alles für den Kaffee bereit gestellt. Es gibt eine Art Berliner, in der Mitte ein Loch. Eigenartig, so einen Kuchen habe ich noch nie gesehen. Schmunzelnd über meinen skeptischen Gesichtsausdruck klärt Werner mich auf. Das seien „Doughnuts“, erklärt er fachmännisch, Berlinern nicht unähnlich, außer daß sie nicht gefüllt sind, wie diese. Und das „Loch“ eben. Na, ja, wieder was dazu gelernt. Er ist ja so weltmännisch. Und ich bin eben eine Provinzpflanze. Damals, auf der ersten Kreuzfahrt mit der Hanseatic, da mußte Alwin mir immer alles erklären. Wie man Hummer ißt, welchen Wein man wozu trinkt. Aber allzuviel hat er selbst nicht gewußt. Lange haben wir beide überlegt, wozu die Schale mit Wasser und einer Zitronenscheibe wohl sein mochte.
Die „Fingerbowle“, mit der man sich nach dem Knacken der Hummerschalen die Finger abspülen sollte. Gut, daß Alwin mich in letzter Sekunde noch davon abgehalten hatte, einen Schluck davon zu nehmen. Das wäre eine peinliche Geschichte gewesen.
Werner lacht, als ich ihm von meinem ersten Hummer erzähle. Er sagt, das käme ziemlich oft vor, das mit der Fingerbowle.
Er erzählt mir mehr von sich. Dass er seine Frau die letzten Jahre pflegen mußte. Krebs habe sie gehabt, Darmkrebs. Das Hantieren mit dem Plastikbeutel, dem künstlichen Darmausgang. Das habe ihm noch nichts ausgemacht. Aber seine Frau langsam verhungern zu sehen, das hätte ihm das Herz gebrochen. Dabei wäre sie eine gute Esserin gewesen. Beide seien sie Feinschmecker gewesen, oft war man essen gegangen, damals noch ein Luxus ohnegleichen. Aber er war das von der Seefahrt ohnehin gewohnt, „Leben und leben lassen“. Wenn sie früher einen Hafen angelaufen hatten, warteten schon die Taxis an der Pier, um die Seeleute aufzunehmen. Unternehmungslustig, bereit für alle Schandtaten. Werner wird ein wenig rot, als er das erzählt. Richtig süß.
Während er spricht, kommen wieder die Erinnerungen hoch an die Kreuzfahrten mit der Hanseatic. Und mit Alwin. Acht Jahre ist er jetzt schon unter der Erde. Trotzdem ertappe ich mich immer noch dabei, ihn fragen zu wollen.
Was soll ich machen, wie geht das? Er fehlt mir so sehr.
Werner bemerkt die Wehmut in meinem Gesicht. Macht einen Witz, um mich aufzuheitern. Vor lauter reden ist der Kaffee kalt geworden. Werner schenkt heißen nach aus der Thermoskanne.





Frau Wimmer, Pflegerin:
Heute habe ich Wochenenddienst. So kann ich die Neue gleich in den Speisesaal runter bringen und ihr alles erklären. Ist halt nicht alles wie im Hotel. Und schon gar nicht wie zu Hause. Wir wollen doch alle, daß sie es schön haben, die Bewohner. Aber gegen die ganzen Vorschriften kommen wir halt auch nicht an. Außerdem ist auch so manches durchaus sinnvoll, auch wenn es so eine alte Dame vielleicht nicht einsieht.
Ich hole die Frau Scholz aus ihrem Zimmer ab und fahre mit ihr mit dem Aufzug nach unten. Hier herrscht schon ein reges Treiben, aus allen Richtungen streben die alten Herrschaften in Richtung Speisesaal. Das Essen an sich ist ein wesentlicher Höhepunkt im Leben eines Altenheimbewohners, das an Höhepunkten ansonsten nicht besonders reich ist. Insbesondere die regelmäßigen Zeiten motivieren sie, nicht einfach in den Tag hinein zu leben. Hier treffen sich alle wieder, tauschen Erlebnisse aus, und nicht zuletzt, schimpfen über Gott und die Welt.
Aber lassen wir sie doch schimpfen! Wer kritisiert, zeigt, dass er das Produkt unserer Arbeit ernst nimmt. Und in jeder Kritik steckt doch auch ein Körnchen Wahrheit.
Frau Scholz folgt mir etwas unsicher in Richtung Tisch, wo die Küchenmitarbeiter bereits ein Tischset, mit ihrem Namen bedruckt, aufgelegt haben. Ich stelle sie den zwei Damen und dem Herrn, unserem Herrn Paulus, dem „Kapitän“, wie ihn alle scherzhaft nennen, vor. Offensichtlich kennen sie sich bereits, der Kapitän lächelt, während sein Gegenüber, Frau Menge etwas weniger erfreut zu sein scheint.

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