Alina Jeremin

Das Kind und "der liebe Gott" (kein religiöses Werk!)

Das Kind liegt noch immer wach in seinem Bettchen. Es ist schon ziemlich dunkel, doch der liebe Mond spendet noch genügend Licht, das durchs Fenster hineinscheint. Das Kind sieht sich im Zimmer um, sieht nach dem Geschwisterchen: es schläft bereits. Die Eltern sind noch nicht zu Hause. Doch es ist noch viel zu munter um selbst einzuschlafen.

Das Kind wartet.

Es nimmt seinen Stoffhund in den Arm und streichelt ihn. Der Hund ist lieb, den mag es. Im Gegensatz zu den Teddybären, die es immer so böse anschauen. Langsam lässt es den Blick durch das Zimmer schweifen. Nein, kein Bär ist da, der sie beobachtet.

Das Kind wartet.

Desinteressiert an dem Rest des Zimmers widmet es sich wieder dem Hund. Lassie hat es ihn genannt. Lassie, wie den aus dem Fernsehen. Der Hund sieht gar nicht aus wie Lassie. Ganz kurzes Fell hat er und ist ganz schwarz. Außerdem ist er viel kleiner, hat aber längere herabhängende Ohren. Es mag seinen Lassie aber viel mehr als den im Fernsehen. Sein Lassie ist da um ihn zu beschützen. Es legt den Hund wieder auf den Polster und deckt ihn behutsam zu.

Das Kind wartet.

Es weiß, dass es schon längst schlafen sollte, aber es bleibt dennoch wach. Währenddessen sieht es sich nochmals um und da sieht es seine Freunde, die immer mit ihm warten. Die Engel kommen jede Nacht, wenn es nicht schlafen kann, und dann spielen sie mit ihm. Das Kind freut sich immer, wenn die Engel da sind. Dann ist es nicht mehr alleine. Die Engel haben keine Namen, sie brauchen keine. Der Lieblingsengel von dem Kind ist der Kleinste. Er ist immer ganz traurig und lässt sich von dem Kind trösten, wenn es nicht schlafen kann. Der kleine Engel ist traurig, weil er nur noch einen Flügel hat und nicht mehr so gut fliegen kann, wie die anderen. Deshalb ist er oft einsam. Das Kind ist traurig darüber, aber dafür ist der kleine Engel der beste Freund vom Kind. Und das Kind ist auch der beste Freund vom Engel.

Das Kind wartet.

Es spricht nicht zu den Engeln, es starrt nur gegen die Wand. Engel können Gedanken lesen, das weiß das Kind. Deswegen spricht es auch nicht, um niemanden zu wecken. Der kleinste Engel setzt sich jetzt aufs Bettchen von dem Kind und streichelt den Hund. Das Kind streichelt das Haar vom Engel. So zart fühlt es sich an, und so fein. Das Kind weiß, dass die Erwachsenen nicht an Engel glauben und dass sie sagen, dass es den Engel nur erfunden hat. Aber der Engel ist jetzt da und das Kind sieht ihn. Das Kind weiß, dass es Engel wirklich gibt. Es redet mit dem Engel über seinen Hund und über sein Geschwisterchen. Darüber, dass es selbst heute wieder böse gewesen ist und auch den Vater böse und die Mutter traurig gemacht hat. Der Engel nimmt es tröstend in den Arm.

Das Kind wartet.

Der Engel weiß, wie es dem Kind geht. Das Kind ist auch oft einsam. Die anderen Engel spielen derweilen im Zimmer des Kindes. Sie tollen und toben, aber ganz leise, um das andere Kind nicht zu wecken. Der kleine Engel und das Kind sehen ihnen zu, halten sich aber fest umarmt.

Dann hören die Engel plötzlich das Tor. Der liebe Gott kommt jetzt. Die Engel und auch das Kind haben Angst vorm lieben Gott. Schnell verschwinden die Engel und auch der kleine Engel will gehen, nimmt aber das Kind mit sich mit, obwohl es selbst so schwach ist. Zusammen fliehen sie vorm lieben Gott.

Dann steht der liebe Gott in der Zimmertür des Kindes und bemerkt nicht, dass das Kind schon längst weg ist. Er sieht nur noch den zurückgelassenen kleinen Körper, die winzigen Arme, die den Hund festumklammert halten, das ausdruckslose unscheinbare Gesicht und die leeren Äuglein, die zu ihm aufsehen.
Der liebe Gott grinst.
Er sagt: "Na, mein Engel?! Hast du auf mich gewartet?".....

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.01.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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