Manfred Gries

Die Nassrasur

Der ständig nachwachsende Gesichtsbelag um jene Öffnung herum, die meiner Person Gedanken in diese Welt trägt, war Anlass einer schwierigen, wenn auch wichtigen, Lebenserfahrung. Verschiedene Angebote rund um das Thema “Rasieren“ herum waren wenig zufriedenstellend. Im Verlauf der ersten 10 nachpubertären Jahre entwickelte ich mich zum Bartträger. Wie Degenhardt, der Liedermacher, ließ auch ich ´mein rotes Barthaar stehn und ließ den Tag vorübergehn´. Bis meine geistige Bildung das Stadium der vorläufigen Reife erreicht hatte. Das Studentendasein ging zu Ende und die Frage nach dem “richtigen“ Rasierer kreuzte erneut meinen Weg.

In einem elektronischen Gewaltakt, stutze ich mein Gesicht auf Passfotoformat für die Bewerbungen zurecht. Ich, der Schleimer, stand dafür 1 Stunde vor dem Spiegel, um jenen Kinderpopo zum Leben zu erwecken, der eigentlich längst nicht mehr meinen Gesichtszügen entsprach. Doch der Erfolg gab mir Recht. Niemand erkannte mich in meiner neuen Lebenssituation. Nicht einmal meine Frau konnte den Jüngling wiedererkennen. Ihre Augen schauten sich leidenschaftlich das Ergebnis meiner Verwandlung an. Nachbarn grüßten nicht mehr und Freunde schauten plötzlich noch freundschaftlicher drein. Die Metamorphose vom Studenten zum Staatsbürger schien gelungen. Allein der zeitliche Aufwand bei der Morgentoilette hinterließ Fragen in mir, die mich fortan beschäftigen sollten.

Mit welchen Rasierer in kürzester Zeit das neue Lebensgefühl garantiert werden könnte, lautete die wissenschaftliche Fragestellung, und ich nutzte meine Erkenntnisse aus der Studentenzeit. Akribisch genau studierte ich die Rötungen im Gesicht meiner Frau, deren Leidenschaft wieder natürlich geworden war. Meine Leidenschaft für die Morgentoilette wich ebenfalls den Stoppeln, die sich einfach nicht in 10 Minuten beseitigen ließen - jedenfalls nicht elektronisch. Auch half der Trick mit dem Schnurbart nicht wirklich. Er reduzierte zwar die zu bearbeitende Fläche, änderte aber nur wenig an der Zeit, die allmorgendlich benötigt wurde. Und so entschloss ich mich, der Nassrasur eine Chance zu geben.

Inzwischen waren Jahre vergangen und Gillette hatte seine Geräte verfeinert. Vier Klingen garantierten effektive Auslastung bei geringer Abnutzung des Gerätes. Ein Versuch war es wert, entschied ich, und kaufte den ersten Nassrasierer. Wohlwissend, dass mein Vater eben nur solche Methoden genutzt hatte und bei den Frauen immer sehr erfolgreich war. Ein paar Wochen ging alles gut. Die Morgentoilette erreichte das erwünschte Zeitmaß und die Rötungen in den Gesichtern der Frauen gingen zurück. Zufrieden suchte ich die passenden Klingen zu meinem Rasierer nachzukaufen. Rasierklingen werden wie CDs nur an der Kasse im Rewe verkauft. Scheinbar sind beides sehr begehrte Artikel, was bei Rasierklingen verständlich, aber bei CDs weniger verständlich ist. Wer hat schon einen Rasierer mit CD Spieler?

Ungeduldig schaute ich durch das Angebot. Da gab es Rasierer, zu denen keine Klingen angeboten wurden und Klingen, deren Rasierer gerade vergriffen waren. Leider betraf das auch mein bevorzugtes Gerät. Überhaupt gab es keine Übereinstimmung zwischen den verschiedenen Produkten. Klingen ohne Ende für nicht vorhandene Rasierer tauchten meine Zukunft in ungewisses Dunkel. Die einzige Klinge, die ich noch besitze, ist mein größter Schatz und ich behüte sie sorgsam - bis ich Rentner werde.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.06.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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