Alexander Petrovic

Dielentalk

Noch ziemlich verpennt öffnete ich die Tür von der Küche zur großen Diele des alten Fachwerkkottens. Ich wollte wie jeden Morgen meinen Kopf unter den dicken, kühlen Strahl der Handpumpe halten. Meine Augen waren noch nicht ganz klar und deshalb dauerte es 1 – 2 Sekunden länger als sonst, bis ich am anderen Ende des großen Raums die Silhouette unseres Bauern erkannte. Meine grauen Windungen hatten sich auch noch nicht alle geöffnet und deshalb dauerte es weitere 1 – 2 Sekunden, bis ich realisierte, wovor er dort stand und sich am Hinterkopf kratzte.
Er beäugte grübelnd das halbe Dutzend mannshohe Pflanzen, die ich in der letzten Nacht auf einem Acker in der Nähe der alten Wittekindstadt Enger abgesäbelt und an unserer Dielenwand zum Trocknen aufgehängt hatte. Kurz vor der Stadt im Bereich des Ortsschildes wird die Landstraße von Bielefeld nach Enger tatsächlich schmaler, dort wo die Ausbaustrecke aufhört. So weiß man genau, wo man hinkommt. Ansonsten ist das kleine Städtchen eher großzügig und -flächig angelegt. Hm, allerdings ist der Name Enger erheblich älter als das straßenbauliche Stückwerk aus den 70ern.
Mir fuhr der Schreck in die Glieder. Warum musste er ausgerechnet heute kommen? Er taucht doch sonst nur hier auf, wenn er die monatliche Miete kassiert. Und seit seine Frau ihm das Autofahren verboten hatte – er war immerhin schon Mitte Achtzig und ich habe ihn ein paar mal losfahren gesehen, wobei mir im selben Moment klar war, dass ich zu ihm nie ins Auto steigen würde - , ließ er uns auch öfter zu ihm kommen, um den Mietzins gegen eine umständlich gemalte Quittung abzuliefern.
Seine grüne Schirmmütze zwischen Daumen und Zeigefinger und sich mit den anderen Fingern immer noch am Kopf kratzend drehte er sich langsam um. Es war zu spät, die Tür sachte wieder zu schließen, er hatte mich bemerkt. „Sachen se mal, is das nich Hanf?“ In meinem Kopf wirbelte einiges durcheinander. Um Zeit zu gewinnen öffnete ich schon mal meinen Mund, aber außer „...äh, gmmpf. Hmm...“ wollte mir keine rechte Antwort einfallen. Auf dem falschen Fuß erwischt.
„Aber das hamse doch in Bielefeld verboten.“ Er kam langsam Richtung Küchentür geschlurft. Mir wurde richtig unwohl und ich sah schon mit Blaulicht Hundertschaften anmarschieren, die unser Bauernhaus bis zum letzten Holzdübel auseinander nehmen würden und hörte Handschellen klicken. Mann, Aze, du bist doch sonst nicht auf den Mund gefallen, die Situation muss doch irgendwie umzubiegen sein. Vielleicht war ich zu gepuzzled, weil ich in einer Ecke meines Kopfes auch lachen musste – über seinen juristischen Horizont. Aber was interessierte ihn auch, was außerhalb von Bielefeld Gültigkeit hatte. Das hatte ja mit ihm nichts zu tun. Und auch für mich war in diesem Moment nur wichtig, was in Bielefeld galt.
„Also, äh, ja, so gesehen...“ Mein Kopf schmerzte, so angestrengt suchte ich nach einer plausibel erscheinenden Erklärung für diese langen grünen Bündel an der Dielenwand. Ob ich einfach unwissend und unschuldig tue? Aber wer außer mir sollte hier was aufhängen. Vielleicht irgendwelche Besucher... vielleicht jemand, der mir schaden wollte... oder weiß ich gar nicht, was das ist..?
„Dann hamse das wohl für die Uni hier und machen da Versuche mit?“ „Jaa, genau, das brauchen wir zu Studienzwecken.“ Klasse der Mann, man muss ihn nur ausreden lassen und das Gespräch nimmt einen für alle Seiten vorteilhaften Verlauf.
Ich war auf einen Schlag völlig entspannt und mein Redefluss setzte augenblicklich wieder ein. Ich schwadronierte über interdisziplinäre Forschungsprojekte unter Beteiligung von Biologen, Chemikern, Medizinern, Psychologen und natürlich Soziologen, legte meinen Arm um seine Schulter und führte ihn in die Küche, um ihm einen Kaffee zu spendieren – so unter Wissenschaftlern.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.01.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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