Dieter Kamensek

Angelika

Es zog sich bereits über Jahre.

Immer und immer wieder. Es war fast beängstigend – nein, eigentlich, leider, nicht einmal das. Es war wie der Geschmack von  abgestandenen, lauwarmen Wasser.

 

Am Anfang war es die Liebe, dieses wunderschöne, einmalige Gefühl. Vertrautheit, Wärme, Leidenschaft, das Gefühl verstanden und respektiert zu werden. Das Wissen um die Einzigartigkeit einer selbst. Begehren und begehrt zu werden!

 

Nach den Jahren, - unsere Beziehung war abgenutzt, zerschlissen wie ein jahrelang dauergefahrener Autoreifen. Ein Gefühl der Müdigkeit stellte sich ein, ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit, der inneren Aufgabe. Seit Jahren lebten wir nebeneinander, wie Kollegen. Wir hatten dieselbe Adresse, wir hatten dieselben Kinder und wir hatten dieselben Bekannten. Doch wir hatten schon lange nicht mehr das Gefühl der Zweisamkeit!

Er war nicht schuldig und ich war auch nicht schuldiger als er! Wenn man einen Schuldigen unbedingt brauchen würde, so könnte man die Zeit und die vielen tausend Kleinigkeiten nehmen. Ach, die Pflichtübungen im Bett, die dauernden kleineren und größeren Quereleien. Dabei war uns beiden klar, das diese kleinen Streitigkeiten nicht ein Zeichen war, das man sich noch etwas bedeutet, sondern eher ein Versuch der Langweile entgegenzuwirken!

 

Wir hatten vieles erreicht. Ein schönes Haus mit allem Drum und Dran, die Autos, unsere Urlaube, das Geld auf der Bank. Doch alles war so ….

 

An manchen Tagen hatte ich das Gefühl zu ersticken, einfach zu versinken und unterzugehen. Wenn ich die Serien „Sex in the City“, „Desperate Housewife’s”  und all die anderen, eigentlich dummen,  Fantasiegeschichten im Fernsehen sah konnte ich mich ein wenig entspannen und träumen. Eine Schulfreundin sagte einst zu mir: „Du bist richtig alt wenn die Männer an deiner Seite jünger werden und – oder wenn du den Fernseher zu glauben beginnst!“ Na ja, mag wohl sein!

 

In unserer Nachbarschaft zog eine allein stehende Frau ein! Sie hatte eine supertolle Ausstrahlung und ein fröhliches, unkompliziertes, liebenswertes Wesen. Wir verstanden uns sofort sehr gut. Ihr Name war Angelika.

 

Im Laufe der Zeit wurde Angelika eigentlich mein einziger Lichtblick, und ich freute mich wenn wir uns anriefen, bei mir oder bei ihr einen Kaffee tranken und auch einfach über alles quatschten. Wir gingen zusammen zum shoppen und wir gingen zusammen spazieren. Ich fühlte mich so jung, so unbeschwert, fast verjüngt. Wir alberten, scherzten, lachten und wir  philosophierten. Sie musste zwar öfters mal weg, aber das war okay!

 

Ich fand eine neue Zuflucht für meine Gedanken. Sie war da wenn ich sie brauchte, sie verstand mich und meine Gedanken und sie zeigte mir eine Seite an mir welche ich dachte das diese schon längst für immer entschwunden sei. Sie wurde, in der kurzen Zeit die wir uns kannten, ein Teil von mir und so auch ein Teil der Familie.

 

Mit der Zeit verstand ich mich wieder  besser mit meinen Mann und  mit meinen Kindern. Wir fanden wieder Spaß  als Frau und Mann - aneinander und wir hatten wieder neue, gemeinsame Herausforderungen. Sie begleitete uns auf Ausflüge und anderen Unternehmungen, bereicherte unser Leben in vielerlei Hinsicht und war oft bis spät in der Nacht unser aller gemeinsamer Gast. Mein Mann und ich, wie auch unsere Kinder waren von Angelika einfach begeistert. Ohne dass sie irgendetwas Konkretes getan hatte, sagte oder meinte, brachte sie wieder neues Leben in die Beziehung von meinem Mann und mir.

 

Eines Tages aber fragte ich sie warum sie noch immer Single sei, denn ihre Art, ihre Ausstrahlung und ihr Aussehen machte sie doch zu einer mehr als begehrenswerten Frau.  

 

Da sagte Sie:

„Ich hatte einen Mann und eine Beziehung! Ich war jung, ehrgeizig, voller Hoffnungen und Träume, er auch. Wir hatten uns gerne, aber ich liebte ihn nicht wirklich, wenn er mich auch über alles andere liebte! Ich wollte leben, ich wollte haben, ich wollte reisen und ich wollte Beachtung, ich wollte genießen und besitzen. Ich gab ihm nie die Chance dass er sich selbst verwirklichte, gab ihm auch nie die Chance auf eine Familie, die er so gerne gehabt hätte. Mit ihm wollte ich bestimmt keine Kinder- doch das sagte ich ihn nicht! Er erfüllte mir, aufgrund seiner Liebe und Zuneigung, alles. Eines Tages aber erhielt ich die Nachricht dass er mit dem Auto von der Strasse abgekommen war und dabei zu Tode gekommen war. Ich war so egoistisch dass ich ihm deswegen auch noch böse war. Später erfuhr ich, dass er, sei es direkt oder indirekt, wegen mir in den Tod gegangen ist. Er hatte Schulden die er niemals mehr begleichen konnte. Darum hatte er ein schlechtes Gewissen mir gegenüber, und er sah und wusste, dass er mir in Zukunft nichts mehr von dem bieten konnte was ich wollte!

Ich hatte aber trotzdem keine schlechten Gefühle, kein schlechtes Gewissen. Ich war wieder auf der Suche  – wie eine Schlange auf Beutezug – nach jemand anderen der sich mich leisten würde können. Ich traf mich weiterhin mit meinen guten Freundinnen welche die gleiche Interessen, dieselben Erwartungen hatten und überhaupt so dachten  wie ich.

Eines Tages ging ich zur Untersuchung, weil mir ständig mein Unterbauch wehtat. Da erfuhr ich dass ich Krebs hatte, im Endstadium. Es würde mich nichts mehr retten können. Danach – auf einmal- kamen mir die Unterhaltungen, die Themen und die Prioritäten mit und von meinen Freundinnen so leer und dumm vor, die Suche nach geeigneter „Beute“ ekelte mich, vieles – nein - alles erschien in einen anderen Licht.

Ich zog weg aus meiner Umgebung, weg von meiner Vergangenheit! Den Rest kennst du!“

 

Ich schwieg. Sie erzählte von der Person die sie einmal war, die ich aber nicht kannte. Sie hatte meine Ehe, meine Familie und unsere Zukunft gerettet. Da nahm ich sie in meine Arme, mir rann eine Träne über die Wange und ich flüsterte leise: „Danke!“

 

Sie sagte noch: „Halt an deinen Glück fest, glaube an Euch, haltet fest zusammen! Ich werde nie mehr eine Familie haben, durch dich aber kenne ich ein kleines Stück von diesen Glück, und glaub mir – das ist wirkliches Glück!“

 

Eine Woche später lag sie im Krankenhaus, wir besuchten sie. Ich sagte zu ihr: „Danke, Angelika, du hast mit dem, was du unserer Familie gegeben hast, vieles andere, nicht so Gute, in deinem Leben wettgemacht. Wir lieben dich, egal wohin dein Weg dich führen mag. Du bist und warst unser und ganz besonders mein Engel, denn das heißt Angelika!“

Wir nahmen uns bei den Händen und hielten uns. Als sie ihren letzten Atemzug tat, war ich bei ihr.

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.12.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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