Avelina Riru

The (n)ever ending wait

The (n)ever ending wait

Sie wartete wie jedes Jahr zu dieser Zeit still und in sich gekehrt, wartete, wie wohl alle gerade warten würden. Doch während andere darauf warteten, endlich den Jahreswechsel feiern zu können, wartete sie nur darauf, dass es endlich vorbei war. Wie jedes Jahr.
Sah sie fern, so musste sie schon kurze Zeit später den Fernseher ausschalten, weil sie es nicht aushielt, all diese Menschen mit all ihren Feiern zu sehen. Wie sie da tanzten und lachten und musizierten, als gäbe es nichts schöneres als in die Mitternacht zu feiern.
Sah sie aus dem Fenster, so beneidete sie all die Menschen da draußen, die unterwegs waren, eine schöne Nach zu erleben. Die anderen zu sehen, erinnerte sie nur um so schmerzvoller an ihre eigene Situation.
Und so schaltete sie auch diese Nacht den Fernseher aus, zog die Vorhänge zu und löschte das Licht, sodass nur noch die Kerzen und das warme Licht der Leselampe brannten. Sie verschickte Grüße an all ihre Freunde, von denen sie wusste, dass kein einziger ihr antworten würde, weil jeder gerade etwas besseres zu tun haben würde. Und doch würden sie sich morgen freuen, würden später über ihre Grüße stolpern und vielleicht ja ein paar liebe Worte für sie übrig haben.
Es war sogar besser, dass niemand ihr antworten würde. So würde ihr auch niemand einen „Guten Rutsch“ oder gar einen fröhlichen Start ins neue Jahr wünschen, denn es tat um so mehr weh, sich zu bedanken, wenn einem die Tränen in die Augen stiegen. Ja, es war besser so.

Sie kochte sich einen warmen Tee und setzte sich auf ihr Bett, im Hintergrund ließ sie Musik laufen, die sie von der Einsamkeit ablenkte. Draußen hörte sie, wie sich die Anzahl an gezündeten Silvesterraketen vermehrte, einzelnen Schüssen folgten bald schon viele weitere.
Sie blickte auf das vergangene Jahr zurück. Es wäre naiv zu behaupten, es hätte ein paar Probleme gegeben. Es gab und gibt noch immer viele. Es war nicht zu leugnen, dass sie sehr viel hatte durchmachen müssen, dass es viel Leid und Schmerz gegeben hatte. Dass viele Tränen geflossen waren.
Aber, so dachte sie wehmütig, mit der Zeit gewöhnt man sich daran. Sie kannte es nicht anders, welchen Grund hatte sie also, sich zu beklagen? Es änderte ja doch nichts.
Auch der schreckliche Streit von vorhin war – trotz all seiner Grausamkeit – etwas, dass sie jedes Jahr zu dieser Zeit erlebte.

Sie ließ sich geräuschlos auf das Bett sinken und blickte halb auf der Seite liegend in die tanzende Kerzenflamme. Wie hell ihr Licht war, wie stark ihr Leuchten und wie anmutig und elegant sie flackerte, fast als würde sie spielen. Und wie leicht sie doch erkalten konnte, ein zarter Windhauch, ein Pusten nur, und schon erlischt sie.
Gleichgültig tanzte sie weiter, jeden Moment, in dem sie brennt, ausnutzend. Gleichgültigkeit, etwas, was auch ihr nur allzu bekannt war.
Dieser furchtbare Schmerz war ihr inzwischen egal, sie war abgestumpft, kalt und leer, es ging an ihr vorüber, diese Traurigkeit, die sie empfand. Die sie wie ein Schatten treu begleitete, nun schon so lange.
Auch war ihr egal, wie wütend sie manchmal war. Sie nahm es hin, sie konnte es nicht ändern. Sie konnte dieser Wut keinen Platz machen, wieso also sie überhaupt noch zulassen?
Dass sie alles verheimlichen musste, auch das war ihr inzwischen egal. Sollte doch jeder denken, sie wäre diese fröhliche, unbeschwerte, glückliche Person, die sie vorgab zu sein. So war es viel leichter und wenn sie diese Rolle spielte, so war es fast, als wäre sie wirklich diese Person.

Aber was ihr wirklich zu schaffen machte, das war etwas ganz anderes, das war diese unendliche Hilflosigkeit.
Die Tatsache, dass sie einfach nichts tun konnte, um sich zur Wehr zu setzen. Denn es gab nichts, sich gegen diese Art Angriff, gegen diesen Kampf, den sie tagtäglich bestritt, zu wehren. Sie konnte nur hilflos alles über sich ergehen lassen. Sie war schwach, alle dachten von ihr, stark zu sein, sie gab vor, stark zu sein, doch sie war schwach. Dafür hasste sie sich.
Sie hatte keine Vorsätze, nein, was nützten sie ihr denn schon? Sie hatte nur den Wunsch, mutiger zu sein, Mut, ja, das brauchte sie. Stärke, geistig und körperlich, mehr als die, die sie schon jetzt hatte. Sie sehnte sich so sehr danach, frei zu sein.

Wie immer fiel sie während des Wartens in eine Art Dämmerzustand, und wie immer konnte sie die heißen Tränen, die über ihr Gesicht liefen, nicht aufhalten. Schwäche. Schon wieder. Das durfte sie nicht.
In ihrem Träumen war er da. Der Geist, der sie beschützte. Ja, er beschützte sie, jemand, der da war, ihr zu helfen, sie aufzufangen, sie zu retten. Sie zu halten. Beschützt werden, sie schrie in ihrem Innern danach. Gehalten werden, sich fallen lassen können, es war ein unbeschreibliches, wundervolles Gefühl.
Doch wenn sie die Augen öffnete, so war es vorbei. Dann lag da nach wie vor die leere Hülle im Dunkeln auf dem Bett, die sich nicht helfen konnte, an der alles vorüberzog.

Deshalb hatte sie Angst, aufzuwachen. Und doch tat sie es. Sie öffnete ihre Augen – und war nicht allein. Sie sah den Geist, ihren Geist, ihren Retter, und als eine letzte Träne ihre Spur über ihre Wangen malte, hob sie ihm langsam ihren Arm entgegen, dem Geist, der sie nun bei der Hand nahm und mit sich zog. Zog sie empor, weit weg von allem, was ihr Leid zufügte, zu sich in die Ewigkeit.
Sie bekam nicht mit, wie das Feuerwerk den Himmel verzauberte, denn sie war nun Teil ihres eigenen Zaubers. Zurück ließ sie eine leere Hülle, ein Körper, leblos, die Augen für immer geschlossen, friedlich auf dem Bett liegend, fast als würde er schlafen. Ein ewiger Schlaf, ein ewiger Traum.
Nie wieder würde sie aus ihrem Traum erwachen, das Leben war endlich, ihr Traum nun nicht mehr.
Ja, jetzt war sie endlich frei.

Und draußen schlugen die Kirchturmglocken Mitternacht.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.02.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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