Andreas Rüdig

Der Gaukler

Gaukler ist eine in früheren Jahrhunderten üblich gewesene, allgemeine Bezeichnung für einen Unterhaltungskünstler. Heute wird der Begriff fast nur noch in historischen Kontexten verwendet.

Im weitesten Sinne war ein Gaukler ein Artist, der Kunststücke beherrschte und mit diesen die Menschen meistens auf offenen Plätzen wie der Straße unterhielt. Bei ihren Darbietungen handelte es sich zum Beispiel um Zauberkunststücke, aber auch um besondere Fertigkeiten sportlicher Art (zum Beispiel auf den Händen laufen, Einradfahren, jonglieren). Auch Komiker und Clowns – nur selten jedoch fahrende Musiker und Sänger – wurden als Gaukler bezeichnet. Für weibliche Unterhaltungskünstler (Musikantinnen, Tänzerinnen, Artistinnen) wurde der mittelalterliche Begriff Jongleresse benutzt. Reine Tänzerinnen wurden in mittelalterlichen Texten auch salatrix genannt.

Zu den Gauklern gehörten auch Quacksalber, Possenreißer, Bärenführer, Zirkusangehörige und Wanderprediger. Sie traten auf Kirchfesten und Jahrmärkten auf und präsentierten ihre Kunststücke. Von ihren Taschenspielertricks leitet sich der heute noch gebräuchliche Begriff „vorgaukeln“ (falsche Tatsachen vorspielen) ab.

Im Gegensatz zum heutigen Begriff Unterhaltungskünstler, Artist oder Komiker ist der Begriff Gaukler teilweise negativ besetzt, da mit ihm unehrliches Fahrendes Volks verbunden wird, das nur darauf aus ist, den unbedarften Bürgern das Geld aus der Tasche zu ziehen oder es als Beutelschneider zu rauben. Gaukler standen deshalb früher außerhalb der gesellschaftlichen Standesordnung und hatte keine rechtliche, kirchliche oder soziale Geltung. Gesetzestexte wie der Sachsenspiegel und der Schwabenspiegel, aber auch Stadtrechte schützten weder das Leben der Fahrenden noch ihre Unversehrtheit oder ihr Eigentum.

Heutzutage wird mit dem Begriff unbefangener umgegangen. Es kommt vor, daß einige Artisten sich sogar selbst als Gaukler bezeichnen. Auch der Begriff Jongleur hat die Konnotation „unehrlich“ weitgehend abgelegt, obwohl auch heute noch eine gewisse Zurückhaltung gegenüber Jongleuren und ähnlichen Berufsgruppen gewahrt wird. Im Gegensatz zu Jongleuren, die nichts zeigen, was sie nicht können, trifft der Begriff `vorgaukelnŽ in seiner negativen Bedeutung `täuschenŽ eher auf Zauberer und Taschenspieler zu. Dennoch bezieht sich der Begriff Gaukler eher auf den Jongleur und Artisten als auf Zauberer und Taschenspieler.
(Quelle: Wikipedia)

Gestatten, daß ich mich vorstelle: Wendelin lautet mein Name. Gaukler bin ich von Beruf. Zuerst mache ich einen Handstand auf einer Hand. Dann laufe ich auf den Händen eine Runde durch die Manege. Kaum, daß ich auf den Beinen stehe, jongliere ich mich Bällen, Kegeln und Säbeln. Dann spucke ich Feuer. Auf Wunsch werfe ich auch Messer.

Im zweiten Teil meiner Vorstellung biete ich ein paar sportlich-akrobatische Darbietungen. Mittels Trampolin gelange ich auf ein Hochseil. Dort fahre ich Einrad. Das Einrad ist so auf dem Hochseil befestigt, daß es nicht herunterfallen kann. Zwei Helfer bewegen das Hochseil mittels Kurbeln. Da die Nummer humoristisch angelegt ist, sieht der Zuschauer dies alles. Nach einer kurzen Pause trete ich als dummer August auf. Ich bin in dieser Nummer also Clown. Ich bin geschminkt und spiele eine Quetschkommode. Je nach Lust und Laune reiße ich auch ein paar Possen.


Hört sich gut an, was Wendelin da anbietet. Die Sportakrobatik kann ich nicht gebrauchen. Dafür ist mein Variete nicht eingerichtet. Ich habe nur eine mittelgroße Bühne; da kann ich keine großen Nummern bringen. Ich habe ein paar Musiker, eine Cancan-Nummer, Stimmenimitatoren, Bauchredner, einen Hütchenspieler, einen Kartenspieler und Büttenredner. Es wird Zeit, daß ich mein Programm erweitere, sonst bleibt mir das Publikum weg.


He, Chef, laß Dir aus der Hand lesen.

Was ist?

Ich möchte Dir die Zukunft voraussagen. Dafür brauche ich Deine rechte Hand.

Hier ist sie.

Chef, Du mußt vorsichtig sein. Da will Dich jemand auf den Arm nehmen.


(Duisburger Generalanzeiger, 30. Februar 2015)

Als fingerfertiger Beutelschneider entpuppte sich Wendelin gestern im Duisburger Variete. Als er seine Clownerien präsentierte, wanderte er auch zwischen den Tischen und Stühlen umher. Seitdem fehlen einigen Gästen ihre Uhren und Schmuck; anfangs fehlende Geldbörsen und Brieftaschen wurden später geldentleert in einer Aschentonne gefunden und konnten somit den Eigentümern zurückgegeben werden.

Auch wenn es keine Fingerabdrücke auf den Geldbörsen und Brieftaschen gab, so kommt nur Wendelin als Täter in Frage. Er war der einzige, der den Gästen (körperlich) nahekam.


Ein paar eigene Gedanken seien an dieser Stelle schon erlaubt. Wie soll ich sagen? Sowohl im Fernsehen wie auch auf Bühnen scheint mir das klassische Unterhaltungsprogramm verlorengegangen zu sein. Damit meine ich nicht etwa Musikprogramme, in der moderne Titel oder Rückblicke präsentiert werden. Es gibt kaum noch Varietes, die ein entsprechendes, ambitioniertes Unterhaltungsprogramm bieten. Auch beim Fernsehen fällt mir keine Sendung ein, in der ein „Gaukler“ auftreten kann.

An dieser Stelle sehe ich durchaus Nachholbedarf. Ganz egal, ob ich jemanden Gaukler, Unterhaltungskünstler oder sonstwie nenne, ganz egal, ob es abends oder am Wochenende ist, allein, mit der Familie oder Freunden ist, für gute, gepflegte Unterhaltung und Entspannung ist ein entsprechender Künstler immer gern gesehen.

Beim Fernsehen habe ich den Eindruck, daß „Comedy“ (möglichst als Einkauf aus Amerika) im Vordergrund steht. Die Quote entscheidet, was gesendet wird und was nicht. Eingespielte Lacher sollen anzeigen, was lustig ist und wann der Zuschauer lachen darf.

Der begabte Nachwuchskünstler, der nicht in dieses Raster paßt, kommt gar nicht erst zum Zuge. Jongleure? Bauchredner? Einradfahrer? Zauberer? Alleinunterhalter? Andere Unterhaltungsformen? Die Zeiten, in denen ich ein solches Programm zu sehen bekommen habe, sind lange her. Doch halt! Vielleicht liegt es ja an mir. Möglicherweise gehöre ich ja zu einer aussterbenden Art von Zuschauern. Spaß darf die Unterhaltung machen, handwerklich gut soll sie sein und phantasievoll, nicht immer denselben Einerlei bieten. Unterhaltung mit nicht immer hochgeistig-intellektuell daherkommen; ich habe gelernt: Auch die gelungene, witzige Pointe darf der guten Vorbereitung und Können seitens des Ausführenden.

Habe ich möglicherweise eine falsche Vorstellung von Unterhaltung? Gehe ich heute auf Kirmessen, Jahr- und Weihmachtsmärkte, sehe ich sehr viele Freßbuden. Schnellzeichner? Hau-den-Lukas? Handgemachte Musik? Ich sehe sie kaum noch.

„Meine Güte, jetzt springt der Rüdig ja ganz schön,“ höre ich Sie jetzt sagen. „Zuerst ist er beim Fernsehen, dann beim Theater / Variete und jetzt auf Kirmessen. Wie paßt das alles zusammen?“ Für mich paßt das alles gut zusammen.

Für mich geht es darum, das vorhandene Unterhaltungsspektrum zu erweitern, dabei auch auf traditionelle Präsentationsformen zurückgreifen zu können, es handwerklich gekonnt und qualitativ hochwertig zu präsentieren und sich auf die eigenen Wurzeln und Stärken zu besinnen. Unterhaltung hat auch etwas mit Kultur zu tun. Ein Unterhaltungskünstler ist genauso ein ernstzunehmender und gleichberechtigter Künstler wie Schauspieler oder Filmemacher. Hier geht es um die Gleichberechtigung der verschiedenen Kunstformen. Es gibt eben auch eine Kultur jenseits der stattlich geförderten Hochkultur, die Theater und Oper / Konzert künstlich am Leben hält und für die übrige Kultur nichts übrig hat.

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Andreas Rüdig).
Der Beitrag wurde von Andreas Rüdig auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.12.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Andreas Rüdig als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Diese Augenblicke - Lyrische Sichtweisen von Rainer Tiemann



Aneinander gereihte Augenblicke sind es, die letztlich das ausmachen, was man Leben nennt. Es gibt die schönen und die weniger schönen Augenblicke. Alle jedoch tragen dazu bei, dass sich Menschen erinnern. An manches gern, an manches weniger gern. Oft sind es die schönen Augenblicke, die uns Mut machen und nach vorn schauen lassen. In "Diese Augenblicke" setzt Rainer Tiemann seine Gedankenspiele des Lebens facettenreich durch diverse, unterschiedliche lyrische Formen um. Neben Prosa und Reimen in deutscher Sprache sind in diesem Lyrik-Band erstmals auch einige seiner fremdsprachlichen Gedichte zu finden. "Diese Augenblicke" ist Tiemanns drittes Buch, das im Engelsdorfer Verlag erscheint.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Humor" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Andreas Rüdig

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Schwäbisch Gmünd von Andreas Rüdig (Sonstige)
Entspannung pur.... von Rita Bremm-Heffels (Humor)
Eine Überraschung von Marija Geißler (Wie das Leben so spielt)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen