Diethelm Reiner Kaminski

Kassenqueen



Heike hasst ihren Job. Aus vollem Herzen. Widerwillig steht sie früh morgens auf, wie gekreuzigt kriecht sie abends ins Bett. Mit schmerzenden Handgelenken und gepeinigtem Rücken. Kassiererin in einem Supermarkt. Das hat sie sich nicht erträumt, aber letztlich muss sie froh sein, überhaupt einen Job ergattert zu haben, bei ihrem Schulabschluss. Elektronische Kasse. Der pure Stumpfsinn. Plink – plink – plink. Automatisch schieben ihre Hände die Waren über den Scanner. Stunde um Stunde. Schon mehrmals hat sie den Filialleiter gebeten, das Geklingel des Scanners leiser zu stellen, aber der hat sie abgewimmelt: „Das geht auf keinen Fall. Da ist die Gefahr viel zu groß, dass nicht alle Waren eingescannt werden. Bestimmte Geräusche gehören nun mal zum Beruf. Da gewöhnen Sie sich dran. Was sollen denn wohl erst Straßenarbeiter oder Baggerfahrer sagen.“
Aus Protest hebt Heike immer mal wieder einen Artikel am Scanner vorbei, wenn eine ärmlich aussehende Omi oder ein Student ihren kärglichen Einkauf aufs Laufband legen, um deren Budget zu entlasten. Nur hat sie nicht mit der Ehrlichkeit der Leute gerechnet. Die Omi kontrolliert den Einkaufsbon, vergleicht ihn mit ihren Einkäufen und kräht: „Sie haben ja die Zahnpasta gar nicht gebont . Nicht dass Sie noch denken, ich habe sie geklaut.“ Heike muss die Zahncreme jetzt eingeben, es kommt zu einem Rückstau, und schon ruft ein Kunde: „Geht es nicht ein bisschen schneller da vorne? Wir haben unsere Zeit auch nicht gestohlen.“
Zum Glück ist Herr Quarzinger, der Filialleiter, nicht in der Nähe, sonst könnte Heike sich wieder was anhören.
Der Student hat es zwar nicht mit der Ehrlichkeit, aber er bildet sich gleich ein, Heike wolle ihm auf diese Weise zu verstehen geben, dass sie sich für ihn interessiere. Er kann ja nicht wissen, dass ihr Kopf absolut nicht frei ist für Flirts und Liebeleien. Der ist vollauf damit beschäftigt, alles halbwegs auf die Reihe zu kriegen. Die Meckereien der Kunden freundlich zu entschärfen, Anzüglichkeiten von Männern mit einem sanften Lächeln zu glätten, Auskünfte zu Sonderangeboten und Informationen zur Qualität, Herkunft und Haltbarkeit der Produkte zu erteilen. Und immer dieses plink – plink – plink. Sie würde sich nicht wundern, wenn sie sich irgendwann in der Klapse wiederfindet.
Die Mehrzahl der an Heike vorüberziehenden Kunden ist gesichtslos. Die meisten sind stumm. Sie sagen nicht guten Tag und tschüs, nicht danke und bitte, sondern packen die Waren ein, zahlen, stecken das Rückgeld ein und grapschen
allenfalls noch nach dem Kassenbon. Nur wenige haben eine Stimme, meist aber eine meckerige oder fordernde, die ausdrücken soll: Ich bin König Kunde, du nur meine Sklavin. Und Herr Quarzinger unterstützt sie noch darin: „Keine Widerworte. Was immer ein Kunde sagt, Sie haben freundlich und sachlich zu bleiben. Nur dann kommen die Kunden wieder. Die kluge Verkäuferin schweigt, lächelt und denkt sich ihren Teil. Wenn Sie einmal Hilfe brauchen, bin ich immer für Sie da.“ Jeder weiß, wie diese Hilfe aussieht. Wenn sich ein Kunde zu Unrecht beschwert, entschuldigt sich Quarzinger hundertmal und katzbuckelt und rügt das Personal vor aller Augen: „So geht das ja nun nicht, Frau Holbusch, haben Sie nicht aufgepasst bei der Schulung?“, und an den Kunden gewandt „Sie müssen es ihr bitte nachsehen, Frau Holbusch ist nämlich neu und muss sich erst einarbeiten“, woraufhin der Kunde knurrt: „Aber nicht auf Kosten meiner Zeit.“
Und dann gibt es noch die mit allen Wassern gewaschenen Ladendiebe.
Z. B. dieser modisch gekleidete ältere Herr, dem man solche Gaunereien gar nicht zutrauen würde. Während er die Kassiererin mit einer empörten Beschwerde ablenkt, lässt er seelenruhig teuere Delikatessen in seinem präparierten Mantel verschwinden.
„Wischen Sie gefälligst erst das Laufband ab, oder wollen Sie etwa meine Pralinen baden?“
Während Heike sich nach einem Lappen unter dem Kassentresen bückt, drückt sie dreimal kurz einen Klingelknopf. Das ist der mit Herrn Quarzinger vereinbarte Alarmruf. Der kommt herbeigeeilt und fragt: „Kann ich irgendwie behilflich sein?“
Heike errötet und stottert: „Ich habe genau gesehen, dass eben noch ein Glas Trüffeln und eine Packung Lachsschinken auf dem Laufband lagen. Ich habe mich nur kurz nach dem Wischtuch gebückt, und weg waren sie.“
Man sieht es Herrn Quarzinger an, wie peinlich es ihm ist, in die Rolle des Warenhausdetektivs zu schlüpfen. Deshalb entschuldigt er sich auch erst einmal bei dem älteren Herrn. „Es wäre mir äußerst unangenehm, die Polizei zu rufen, damit sie den Sachverhalt aufklärt. Am schnellsten ist die Anschuldigung entkräftet, wenn Sie mit in mein Büro kommen und Ihre Taschen leeren.“
Dem Kunden bleibt nicht anderes übrig, als Herrn Quarzinger zu folgen.
„Weiter so“, sagt der Filialleiter anschließend zu Heike, „wenn alle so aufmerksam wären wie Sie. Der Warenschwund hat in letzter Zeit geradezu beängstigend zugenommen. Ich habe den Eindruck, dass Sie sich wohlfühlen bei uns und Ihnen die Arbeit Spaß macht. Noch einmal: Ich bin immer für Sie da, wenn mal irgendwo der Schuh drückt.“
Heike blickt auf die Uhr. Noch vier Stunden bis zum Feierabend. Sie schaut sich um, um sich zu vergewissern, dass niemand guckt. Sie streckt ihren geplagten Rücken und massiert kurz ihre Handgelenke, bevor der nächste Kunde seine Waren aufs Laufband legt.
Plink – plink – plink tönt es in ihren gemarterten Ohren, aber irgendwie schon merklich leiser.
 


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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.02.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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