Jürgen Berndt-Lüders

Max ist nicht multitaskingfähig

Max kam von der Arbeit. Er hängte seine Jacke an die Flurgarderobe und den Autoschlüssel ans Schlüsselbrett. Grit stand wie jeden Abend um diese Zeit in der Küche und wartete auf ihn.
 
„Wo sind die Kartoffeln?“
 
Max schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. „Mein Gott, die habe ich vergessen.“
 
„Ich wollte die jetzt aber kochen. Du isst doch so gern Bratkartoffeln.“
 
„Ja, tut mir leid, hundert Meter vor dem Aldi bin ich geblitzt worden. Kurz vorher habe ich noch dran gedacht, aber, schwupps, in dem Moment waren die Kartoffeln vergessen.“
 
„Du bist eben nicht multitaskingfähig. Du kannst nicht mehrere Dinge auf einmal erledigen. Gut, dann mache ich eben Kartoffelbrei mit Rührei.“
 
„Aber da brauchst du doch auch Kartoffeln.“
 
„Eine gute Hausfrau hat immer Fertigsachen im Schrank. Reis, Kartoffelbrei, Nudeln...“
 
Max seufzte ergeben und ließ sich auf den Küchenstuhl fallen. Grit setzte Wasser auf und stellte die Pfanne auf den Herd.
 
„Übrigens, dieses blöde Frauengequatsche von wegen, Männer wären nicht multitaskingfähig, das ist der reinste Unsinn. Letzt habe ich im Fernsehen...“
 
„...das habe ich auch gesehen“, bremste Grit. „Wir gucken doch immer zusammen fern. Trotzdem: unsereiner muss so viel gleichzeitig erledigen. Da bist du am Putzen, und plötzlich schreit das Kind und die Milch kocht über.
 
Warum wird denn die Pfanne nicht heiß?“ Grit hielt die Hand verwundert gegen die Pfanne.
 
„Weil du nur eine Platte angestellt hast. Die für das Wasser. Du bist nämlich auch nicht multitaskingfähig.“
 
Gritt drehte rasch den Knopf für die Schnellkochplatte. Max grinste.
 
„Da hat dich meine Meinung über Frauen abgelenkt und du hast vergessen, was  du tun wolltest. So ging es mir mit den Kartoffeln.“
 
Grit schüttelte innerlich den Kopf. Sackgasse. Sie war fertig mit dem Thema. Während sie das Essen auf den Tisch stellte, fing Max wieder damit an.
 
„Weißt du was? Ich kann gleichzeitig laufen, die Hände in den Taschen vergraben, Steinchen wegkicken, ein Lied pfeifen und an fremde Weiber denken. Das sind fünf verschiedene Dinge gleichzeitig.“
 
Gut, wenn er eine Redeschlacht will; bitte sehr, dachte Grit. „Und weshalb hast du dann nicht mal zwei Sachen auf die Reihe gebracht? Geblitzt werden und an die Kartoffeln denken?“
 
„Weil ich mich zur selben Zeit erschrocken, auf den Tacho geguckt, mich an die Geschwindigkeitsbegrenzung erinnert, die Differenz zwischen Gefahren und Erlaubt ausgerechnet, mir den Bußgeldkatalog  vorgestellt und die Strafe überschlagen habe. Das sind sogar sechs Dinge gleichzeitig.“
 
Nicht schlecht argumentiert, dachte Grit. „Und wie viel musst du nun zahlen?“
 
„Das habe ich vergessen“, stellte Max fest. Grit lachte. Sie räumte den Tisch ab und stellte das schmutzige Geschirr in den Spüler. „Guck mal, ich stelle zwei Essteller, zwei Gläser, zwei Messer und zwei Gabeln in den Spüler. Das sind acht Teile gleichzeitig.“
 
„Das ist doch ganz was Anderes“, rief Max. „Du brauchst doch keine acht verschiedenen Gedanken dafür. Wahrscheinlich macht dein Körper das ganz allein. Das ist Routine für dich, so wie das Atmen. Wenn du atmest, denkst du ja auch nicht jedes Mal, einatmen, ausatmen, einatmen, ausatmen, ein...“
 
„Um zehn gehe ich schlafen“, rief Grit trocken. „Für den Fall, dass du weiter erzählen möchtest, wie du gerade atmest.“
 
Grit sinnierte. Um zehn, ja, um zehn gingen sie immer schlafen. Heute war Mittwoch, und mittwochs wurde die Woche geteilt, wie Max immer sagte. Das lief immer gleich ab, danach konnte man die Uhr stellen. Hier sollten Max, oder sie selber, oder beide gleichzeitig mal mehrere Varianten gleichzeitig versuchen. Das wäre auch nicht schlecht.
 
Sie beschloss ein breit angelegtes Multitasking.
 
„Wie wär’s denn, wenn wir es uns heute mal gemütlich machen, eine CD auflegen, das Licht dämpfen, Kerzen anzünden und ein Glas Wein trinken?“
 
„Das sind ja wieder nur fünf Dinge gleichzeitig. Wenn ich gleichzeitig Championsleague gucke, wären es sechs. Heute ist doch Mittwoch.“ 
 
Mist, dachte Grit, immer dieser ätzende Fußball.
 
„In meiner Version wären es aber acht“, sagte sie. „Ich war ja noch nicht fertig.“
 
Max stöhnte. „Aha. Kerzen ausblasen, den Tisch abräumen und die Gläser zu den anderen in den Spüler stellen.“
 
Nein,  du Dummerchen. Küssen, streicheln und du-weißt-schon-was, dachte sie.
 
Max überlegte. „Mensch, klar, wie konnte ich das nur vergessen? Du willst Stimmung machen, weil heute Mittwoch ist. Meinetwegen, aber können wir nicht ausnahmsweise erst um halb zwölf schlafen gehen, falls das Spiel in die Verlängerung geht?"
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.11.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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