Daniela Hasse

Schwarzbrot à la Rizin

Lena war ein verruchtes Weib. Warum hatte ihr einziger Sohn Alexander diese ungebildete, ordinäre Frau geschwängert? Die Vorstellung der nackten Körper in feuriger Liebkosung erfüllte Vera mit Ekel. Feine Schauder glitten durch ihren Körper.

"Dich und Dein Mistbalg schicke ich schmackhaft in die Hölle", dachte sie grimmig. Vera schlürfte mit Genuss ihren Champagner.
Die Wunderbaumsamen rieb sie im Mörser so gebieterisch klein, dass ihre Fingerknöchel weiß wurden. Rizin war ein todbringendes Geschenk des Himmels. Sie durfte nicht vergessen, gleich die schneeweiße Arbeitsplatte gründlich zu scheuern. Ihrer faulen Haushälterin hatte sie heute freigegeben.
Vera mochte ihren Blick nicht.

In letzter Zeit verbrachte sie die Sonntage am liebsten ohne fremde Menschen. Dann war die Ruhe mit Max wunderbar. Unsterblich jung, eingefroren von der Zeit saß er im Sessel am Fenster. Stundenlang lauschte er mit leisem Lächeln ihrer monotonen Stimme. Er war immer da, nur seine zärtlichen Berührungen blieben aus.

Ein metallisches Klingeln weckte sie aus melancholischen Erinnerungen. Das Brot war fertig. Bedächtig ging sie zum Ofen. Max' Atem streifte leicht ihre Schürze als sie mit tonlosem Lachen die Klappe öffnete. "Ach, mein Liebster, wenn Du das noch erleben könntest..."

Lena aß für ihr Leben gern frisches Schwarzbrot. Manche Zufälle schickte der Himmel. Vera würde das Brot aus Versehen anbrennen lassen, die Kruste mit Rizin gründlich einreiben - ein, zwei Bissen später war das Paradies nah. Tränen der Erleichterung liefen über ihre Wangen und krönten den Champagner.
Durch die Luftperlen im Glas blickte sie in Max' Augen.

"Mein Engel, Du kannst mich damit umbringen oder einen Baum pflanzen", schäkerte Max zu jener Zeit. Sie war gallebitter enttäuscht - wie immer.
Ihre Hoffnungen auf Geschenke oder gar Treue erfüllte er nie. Gott weiß warum. Selbst aus Indien brachte Max gar nichts mit, außer einem Beutel mit Baumsamen. Das schmierige Bündel legte er vor ihren Augen auf den frisch polierten Tisch - was für eine Gemeinheit!

Als im letzten Herbst der Krebs ihn fand, bescherte sie ihm mit Schwarzbrot ein schnelles Ende. Niemand stellte Fragen. Gott schützt seine Engel.

Sie bekreuzigte sich dreimal als es unerwartet an der Haustür klopfte. Veras Blick wanderte zum fertigen Brot auf der Schale.
Auf dem Weg durch den langen Flur spürte sie Max' Atem auf ihrer Schulter. Im Spiegel an der Tür erblickte sie sein jugendliches Gesicht. Er lächelte.
In Gedanken bei Max öffnete sie die Tür.

Lenas Gesicht war verweint. Die junge Frau stützte sich am Türrahmen, den runden Bauch mit der anderen Hand fest umschlossen stöhnte sie "Mutter, Du musst mir helfen."
"Was ist denn mit Dir, mein Kind?" fragte Vera mit sanfter Stimme.
"Ich habe schon den ganzen Tag vorzeitige Wehen und Angst um mein Baby. Fährst Du mich bitte ins Krankenhaus?"

Vera atmete tief durch. Sie überlegte schnell. Nun, dann kriegt die Schlampe das Brot im Krankenhaus. Es gibt noch kein Gegenmittel.

Mit ruhiger Hand zog sie ihre Pelzjacke an, suchte aus der Seitentasche den Autoschlüssel und griff ihrer Schwiegertochter entschlossen unter den Arm.
Lena legte den Kopf drückend an ihre Schulter. Große Tränen nässten den Blaufuchs. Ihr Schritt zur Garage wurde flotter. Veras Körper versteinerte.
Am Montag würde sie den Mantel reinigen lassen. Hoffentlich achtete Lena mit ihrem Geheul auf die weißen Ledersitze. Max hatte seinen Wagen vergöttert.

Im Wagen flennte Lena immer noch. Vera presste die Lippen zusammen. Im Handschuhfach waren noch Max' Stofftaschentücher.

Sie beugte sich vor, als ein brennender Schmerz am Hinterkopf ihren Plan boykottierte. Lichtblitze flatterten vor ihren Augen. Benommen richtete Vera
sich auf. Lena schlug ihr grob den Lappen mit Chloroform ins Gesicht. Die Nase brach. Blut floss auf die weißen Ledersitze, marmorierte den peinlichst gesaugten cremefarbenen Teppich. Im Rückspiegel sah Vera Max' Gesicht ein letztes Mal. Er lächelte.

Lena wischte sich ihre Tränen ab. Die Zeit der beharrlichen Intrigen war Vergangenheit. Mit geschickten Griffen startete sie den antiken Karren, legte der Alten einen Abschiedsbrief auf den Schoß und verriegelte das Garagentor. Ihre Schwiegermutter war eine verschrobene Witwe. Niemand würde Fragen stellen.

Sie ging noch einmal in die Wohnung. Lena wollte alles perfekt arrangieren. Aber ringsum dieser himmlische Duft nach frischem Brot!
Ihr Blick wanderte auf den Küchentisch. Der alte Drachen musste es gerade noch zubereitet haben.

Lena setzte sich. Bedächtig malte sie mit ihren Fingern das Spitzenmuster der Tischdecke nach. Sie atmete tief durch. Tränen der Erleichterung liefen über ihre Wangen und tropften auf das Brottablett. Sie dachte an Alexander. Mit der Einstellung der jungen Sekretärin häuften sich seine Überstunden...

Plötzlich bekam sie Hunger. Veras Brot war zweifellos als letztes Geschenk gedacht, oder? Tonlos lachend schnitt sie eine breite Scheibe ab.
Den Rest würde sie heute Abend Alexander geben. Kauend mit der Brotscheibe in der Hand schlurfte sie durch den langen Hausflur. Jeder Krümel, der auf den lindgrünen Teppich fiel war eine Befriedigung. Triumphierend verließ Lena die Wohnung des verhassten Weibes.

Im Spiegel an der Tür nahm Max zärtlich seine weinende Frau in die Arme.
 
 -Ende-

Liebe Leserinnen und Leser,

wieviel Gutes steckt im vermeintlich Bösen und wieviel Böses steckt im vermeintlich Guten?
Entscheiden Sie selbst...

Liebe Grüße
Daniela Hasse
Daniela Hasse, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.07.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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