Christian Dolle

Olivers Geständnis

Endlich wurde es Abend. Oliver hatte den ganzen Tag nur herumgehangen, Musik gehört, geschlafen und eigentlich nichts weiter getan. Und was sollte er auch tun? Die Typen aus seiner Klasse mochten ihn nicht, und er konnte ihren Hobbies wie Fußballspielen, in der Innenstadt Mädchen aufreißen oder alten Leuten als Mutprobe die Tasche klauen und so weiter nichts abgewinnen. Er war eben ein Außenseiter, und der einzige Grund, warum er in der 11c nicht total untendurch war, war der, dass er Discjockey in der Disco seines Vaters war. Allerdings gab es auch genügend Leute, die ihn gerade deshalb nicht mochten. Bei den Girls galt er zwar als tolle Nummer, aber viele Jungs waren eben darauf neidisch und mieden ihn daher.Aber damit konnte er leben. Und auch damit, dass seine Mutter meinte, er sei seit der Scheidung durch die Erziehung seines Vaters total verkommen. Am meisten störte ihn, wenn dann aber auch noch sein Vater dauernd an ihm rummeckerte, weil ja D. J. keine vernünftige Beschäftigung für einen Mann war. Und vielleicht hatte der ja sogar noch Recht damit.

Trotzdem gab es Oliver nichts Schöneres als Freitags- und Samstagsabends in der Disco für die heißeste Musik zu sorgen und die verschiedensten Leute beim Tanzen, Trinken oder Knutschen zu beobachten. Das war seine Welt, und mittlerweile hielt er sich für einen ziemlich guten Beobachter. Inzwischen brauchte er einen Menschen nur noch wenige Minuten zu beobachten, bis er glaubte, ihn einigermaßen einschätzen zu können. Zumindest hatte er festgestellt, dass er mit seiner Einschätzung oftmals ziemlich richtig lag. Menschen zu beobachten konnte er beinah als seine Lieblingsbeschäftigung bezeichnen. Nach dem Auflegen in der Disco natürlich.

Aber auf heute Abend freute er sich noch aus einem anderen Grunde. Er hatte Veronique nach der Schule getroffen, und sie hatte ihm erzählt, dass Pascal sie für heute in die Disco eingeladen hatte. Es war zwar schade, dass Veronique und Pascal ein Paar waren, aber wenn er die beiden so beobachtete, glaubte er auch, dass das nicht mehr lange der Fall sein würde.

Voller Vorfreude auf seinen großen Schwarm stand Oliver kurz darauf unter der heißen Dusche und konnte an nichts anderes mehr denken. Ja, er war zum ersten Mal in seinem Leben so richtig verliebt, und wenn alles gut lief, würde er heute auch endlich den Mut haben, das zuzugeben. Schon allein der Gedanke an seinen großen Schwarm ließ ihn ganz kribbelig und heiß werden. Doch dann reduzierte er die Temperatur des Wassers auf ein Minimum, stellte es nach einer halben Minute ganz aus und trocknete sich ab. Nachdem er seine Haare ausgiebig gestylt hatte, überlegte er, was er anziehen sollte. Da er sich nicht sicher war, was heute Nacht noch alles passieren würde, musste er selbst die Unterwäsche gründlich auswählen. Ja, eine gute Planung ist durch nichts zu ersetzen. Als er diese lebenswichtigen und heute vielleicht ausschlaggebenden Entscheidungen getroffen hatte, besah er sich im Spiegel. Ja, er konnte äußerst zufrieden mit sich sein. Nein, mehr noch, er sah echt verdammt gut aus.

Um kurz nach zehn verließ er gutgelaunt das Haus, holte sein Motorrad und raste in Richtung Stadtrand zu Disco. Als er dort eintraf, wartete sein Vater am hinter Eingang und begrüßte ihn mit den liebevollen Worten: " Warum brauchst du eigentlich immer so lange? Außerdem siehst du aus wie 'n Schwuler..." Oliver lächelte ihn an, sagte aber nichts und wurde mit einem Tritt in den Hintern ins Innere der Lagerhalle befördert, die sein Vater vor zwei Jahren zur Disco umgebaut hatte. Sofort steuerte auf seinen Platz hinter dem Mischpult zu und sorgte erst einmal dafür, dass sich einige Leute auf die Tanzfläche wagten. Dann sah er sich um. Neben den Stammgästen waren einige neue Leute da, von denen aber nur wenige seine Blicke auf sich zogen, und ein paar Kids, die eigentlich gar nicht 'reingedurft hätten. Auch Grabbel-Günther, den Oliver seit Wochen nicht mehr gesehen hatte, war mal wieder da und machte sich auch schon an ein Mädchen ran, das da ahnungslos an der Bar lehnte. Sogar ein paar Leute aus seiner Klasse, die eigentlich gesagt hatten, sie wollten die Disco boykottieren, entdeckte er. Nur Veronique und ihren Pascal hatte er noch nicht gesehen. Er versuchte sich erst mal auf andere Dinge zu konzentrieren, aber das gelang ihm nicht. Dauernd musste er sich vorstellen, was heute Abend noch alles passieren könnte. So rutschte er nervös auf seinem Hocker hin und her und konnte sich kaum auf seine Arbeit konzentrieren.

Es war kurz nach eins als er die beiden endlich zur Tür herankommen sah. Na endlich. Eigentlich hatte er schon gar nicht mehr mit dem Auftauchen seines großen Schwarms gerechnet. Aber jetzt waren sie der da und steuerten auch sofort auf die Tanzfläche zu. Veronique trug einen ultrakurzen engen schwarzen Rock und eine eben solches Top, was ihre perfekte Figur optimal betonte, und auch Pascal hatte sich für ein sehr modernes, recht körperbetontes Outfit entschieden, so dass die beiden, sehr zu Olivers Leidwesen, ein wirklich schönes Paar abgaben. Und tanzen konnten sie auch noch, das musste man ihnen wirklich lassen. Allerdings glaubte er auch sehen zu können, dass es zwischen den beiden lange nicht mehr so gut lief wie noch vor einiger Zeit. Aber vielleicht war das auch nur sein Wunschdenken.

Oliver beobachtete die beiden jedenfalls neidisch, nur zu gern hätte er die Plätze getauscht. Nach einer Weile legte er Veroniques Lieblingsong auf, wie er es ihr heute nach der Schule versprochen hatte, und beobachtete die beiden weiter. Oh Mann, wie sexy, dachte er, und musste sich dabei fast wie automatisch zwischen die Beine greifen. Dieses Gesicht, diese Haare, diese Figur, dieser Arsch, perfekter konnte ein Mensch wirklich nicht aussehen!

Eine Viertelstunde später wurde Oliver endlich von Jörg, einem Angestellten, abgelöst und steuerte dann sofort auf die Bar zu, an der Veronique und Pascal jetzt saßen. Als er näher kam vor ihm heiß und heißer. Und er wusste auch nicht, was er eigentlich sagen sollte. Noch war es Zeit für einen Rückzug. Aber nein, nein, er würde jetzt nicht kneifen. So schwer konnte es schließlich nicht sein, einem Menschen zu sagen, dass man ihn liebte, und außerdem würde ihm wohl niemand den Kopf abreißen.

"Hi, Olli", begrüßte ihn Veronique als er sich zwischen die beiden stellte. Pascal klopfte ihm nur auf die Schulter und musterte ihn von oben bis unten. Ob er etwas ahnte, fragte sich Oliver, aber nein, das konnte er eigentlich nicht. Bevor eine bedrückende Stille entstand, in der niemand wusste, was er sagen sollte, lud Oliver die beiden auf ein Bier auf Kosten des Hauses ein. Als er das Glas entgegen nahm, sah er, dass seine Hand zitterte und merkte erst jetzt wie aufgeregt und erregt er überhaupt war. Dann, während sie ihr Bier tranken, legte sich plötzlich eine Hand auf Olivers Hintern. Es war Veronique. Oliver wusste zwar, dass sie irgendwie mehr für ihn empfand, aber er hätte nie gedacht, dass sie ihn hier vor Pascal anmachen würde. Dafür war er sich jetzt allerdings sicher, dass die Beziehung der beiden nicht mehr lange halten würde. Na immerhin. Vielleicht konnte er dann jetzt doch ganz offen sagen, was er empfand. Aber war sich halt nicht sicher. Irgendwie hatte er panische Angst davor, einen Korb zu bekommen oder sogar ausgelacht zu werden. Aber egal. Jetzt oder nie. Und irgendwann musste er ja mal seinen Mut zusammen nehmen und es sagen. Nervös legte er also seinen Arm um den Körper, von dem er sich seit Wochen selig wünschte, in berühren zu dürfen, und erklärte mit Zittern der Stimme:" Weißt du, ich bin total dich verknallt, Pascal..."

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.10.2000. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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