Günter Schrön

Mamba Bwana Schingo

Beide Hände um den auf dem Boden stehen Schaft seines Speeres gelegt, das Köpergewicht auf das Standbein gelagert und ein Bein leicht angewinkelt in der Luft, so stand Thalai fast unsichtbar im Schatten des riesigen Affenbrotbaumes und starrte reglos in die hitzeflirrende Savanne. Thalai wartete auf Malongo Simba um ihn zu töten. Er wußte, daß Malongo Simba kommen würde; das war nur eine Frage der Zeit, und Zeit, daß war für Thalai der Raum zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang.

Malongo Simba war kein normaler Löwe, er war Malongo; alt, schwach, vielleicht sogar krank. Da er von der Herde ausgestoßen, mit ihr nicht mehr jagen konnte, wagte er sich in die Nähe der Menschen, um sich dort zu holen, was er brauchte.

„Ich habe mit dir zu reden Thalai", hatte der Medizinmann in jener Nacht gesagt, die den Tagen vorausging, in denen die Rituale und Feiern abgehalten wurden, mit denen die jungen Mubutis Männer wurden.

„Du bist jetzt sechzehn Sommer alt, Thalai", begann der Medizinmann, als er sich in seiner Hütte niedergelassen hatte. „Deine Haut ist heller als unsere, dein Haar ist nicht so kraus und du bist größer als jeder Mubuti, außerdem haben deine Augen eine blaue Farbe. Du hast dich sicher schon gefragt, warum du anders bist als alle anderen Mubutis?!"

Der Medizinmann erzählte leise und monoton, wie vor fünfzehn Sommern einige Jäger der Mubuti weit über die Savanne hinaus in das Innere des Landes zogen, um dort nach neuen Jagd- und Weide- gründen zu suchen.

Auf dem Rückweg, in der Nähe eines Karawanenweges, den auch Sklavenkarawanen benutzten, fanden Jäger ein ausgesetztes Baby, welches wie durch ein Wunder überlebt hatte. „Es ist nicht gut, wenn immer nur Männer und Frauen eines Stammes miteinander in eine Hütte ziehen", erinnerte sich Thalai an die Worte des Medizinmannes in dieser Nacht. „Das gibt nur schlechtes Blut und macht schwach in den Gliedern und im Kopf. Deshalb nimmt jeder Stamm gerne ausgesetzte Kinder auf, um frisches Blut zu bekommen."

Irgendetwas bewegte weit draußen das hohe Gras in der Savanne anders, als es üblich war, wie Thalai sofort bemerkte und er wußte, daß Malongo Simba die Herausforderung zum Zweikampf angenommen hatte.

Langsam sank Thalai sprungbereit in die Knie und hielt den Speer mit seiner scharfen Eisenspitze vor, dessen hölzernen Schaft er an einer armdicken Wurzel des Affenbrotbaumes abstützte. Aber Malongo Simba ließ sich Zeit, er umkreiste schweigend und zögernd den einsamen Jäger, als suche er nach einer Angriffsposition, bei der er alle Vorteile für sich hatte.

Thalai schien es, als tropfe die Zeit durch die Hitze des Tages und verzerre sich zu unendlich langen Perlenketten, wie sie die Mubuti-Mädchen am ganzen Körper trugen. Da sprang Malongo Simba.

Sein großer gelber Körper schnellte wie ein Pfeil durch die Luft und sein Gebrüll riß die Stille über der Savanne in tausend Stücke.

Vollkommen ruhig hob Thalai die Spitze seines Speeres etwas an und stemmte sich gegen den Schaft. Er sah noch, wie die dunkle Eisenspitze unter dem linken Vorderbein in den Körper des Tieres fuhr, dann rollte er sich über die Schulter nach hinten ab, riß das scharfe Messer aus dem Gürtel und sprang auf die Beine.

Da wo Malongo Simba in Thalais Speer gesprungen war, schien plötzlich die Savanne zu kochen. Staub wallte auf und Grasbüschel flogen weit durch die Luft, während Malongo Simbas furchtbare Stimme langsam im Todeskampf verebbte.

Langsam schritt Thalai an den runden Hütten vorbei, auf den alten Medizinmann zu, der ihn vor seiner Hütte sitzend erwartete. Stumm warf Thalai Malongo Simbas abgeschnittenen Schweif in den Staub. „Du bist jetzt ein Mann, ein Krieger und ein Jäger", sagte der Medizinmann tonlos, „du solltest dir jetzt ein Weib nehmen und in Kitokis Hütte ziehen."

„Was ist mit Kitoki?" fragte Thalai voller Trauer, denn die alte Frau hatte wie eine Mutter für ihn gesorgt, da sie ihren Mann an Mamba Bwana Schingo verloren hatte, bevor sie Kinder von ihm bekommen konnte.

„Als sie heute morgen Wasser vom Fluß holen wollte", sagte der Medizinmann leise, „da hat sie Mamba Bwana Schingo gepackt und auf den Grund des Flusses gezogen." "Kitoki war mir wie eine Mutter", sagte Talai laut und bestimmt und seine Worte versanken hallend in dem Schatten der Hütten, „als Angehöriger habe ich das Recht, Mamba Bwana Schingo zum Kampf zu fordern!"

In die Dunkelheit starrend stellte er sich vor, wie er Mamba Bwana Schingo angreifen würde. Die tückischen Augen und das lange, zähnestarrendende Maul weit aufgerissen, würde er wie Pfeil auf ihn zuschießen. Aber nicht nur das Maul war gefährlich, seine kräftigen Beine mit den messerscharfen Krallen könnten Thalai in der Zeit eines Atemzuges zerreißen und sein kräftiger langer Schwanz konnte ihm wie ein Blitz den Rücken zerschmettern.

Nur der fast weiße Bauch war Mamba Bwana Schingos schwache Stelle. Und Thalais einzige Chance bestand darin, die mit Schuppen gepanzerte Echse an dieser Stelle zu treffen. Für die Mubutis war Mamba Bwana Schingo ein böser Gott, der regelmäßig Opfer forderte. Und wenn er sich einen Mubuti auf den Grund des Flusses geholt hatte, dann stand nur einem leiblichen Angehörigen das Recht zu, sich dafür zu rächen.

„Nur ein Massai kann so sprechen", hatte der Medizinmann gesagt und, „es ist uns eine Ehre, dich in unserer Mitte zu wissen."

Endlich fiel Thalai in einen unruhigen Halbschlaf.
Kaum hatte sich die Sonne über den Horizont geschoben, um die Savanne wieder einen Tag lang in ihrem unbarmherzigen Licht zu baden, da stand Thalai schon am Ufer des lehmig gelben Flusses. Der Medizinmann legte ihm einen Beutel aus Schlangenhaut auf die Brust, den er mit einem schmalen Riemen aus Kudu-Leder um Thalais Hals band.

„Ich habe in der Nacht einen starken Zauber gemacht, Thalai", sagte er dabei, „wir alle wünschen, daß du Mamba Bwana Schingo tötest, aber noch mehr wünschen wir, daß du unversehrt zurückkehrst."

„Ich werde Mamba Bwana Schingo töten und unversehrt zurückkehren", sagte Thalai überzeugt, rückte das Messer an seinem Gürtel zurecht und überprüfte noch einmal die Festigkeit der Bindung, welches die Eisenspitze am Schaft seines Speeres hielt

Noch einmal sah er auf die Versammlung des Stammes, welche ihn bis zum Ufer begleitet hatte, blickte hinaus in die endlose Weite der Savanne, wo die Rinder und Ziegen weideten und stürzte sich dann mit dem lauten Ruf: „Tod für Mamba Bwana Schingo!" in die trüben Fluten. Trotz der frühen Stunde war das Wasser des Flusses schon warm und Thalai schwamm sorgsam sichernd, den Speer vorhaltend, dem Flußgrund entgegen.

Als Thalai das zweite Mal eintauchte, sah er sich unvermittelt Mamba Bwana Schingo gegenüber und es kam ihm so vor, als hätte die riesige Echse auf ihn gewartet.

Einen Augenblick war der junge Mann von der Größe des Krokodils so beeindruckt, daß er unwill- kürlich zurückschreckte. Mamba Bwana Schingos Leib hatte einen Umfang, der doppelt so stark war wie Thalais Brustumfang und in der Länge mochte er wohl dreimal soviel messen, wie Thalai groß war.

Träge blinzelt das riesige Krokodil den jungen Mann aus seinen tückischen Augen an öffnete, sich halb abwendend, das zähnestarrende Maul als wollte es gähnen. Fast wäre Thalai darauf hereingefallen, als das Tier den Eindruck erweckte, als wolle es gelangweilt davonschwimmen.

Aus dieser Stellung schnellte die Echse blitzartig herum und schoß mit großer Geschwindigkeit auf Thalai zu. Abwehrend streckte der junge Mann seinen Speer vor, der am Panzer des Tieres abglitt, ehe er sich verhakte und in der Mitte des Schaftes zerbrach. Der wilde Schlag des Schwanzes streifte Thalai nur, aber die Wucht ließ ihn ziellos durch das Wasser taumeln. Ehe er sich versah, griff Mamba Bwana Schingo schon wieder an.

In einem nur geringen Abstand von Thalai's Schulter klappte das riesige Maul zu und es hätte ihm sicher den Arm abgetrennt, hätte sich Thalai nicht geistesgegenwärtig vom Körper der Echse weggedrückt.

Blind vor Wut griff Mamba Bwana Schingo erneut an und beging dabei den entscheidenden Fehler, mit seinem ungeschützen Bauch in die Reichweite von Thalais Messer zu kommen. Voller Furcht und stumm beobachteten die Mubutis am Ufer, wie der Fluß zu kochen schien. Entsetzensschreie wurden laut, als sich an einer Stelle das Wasser plötzlich blutig rot färbte.

Doch da durchstieß Thalai die Wasseroberfläche, strebte mit kräftigen Schwimmzügen zum Ufer und brach dort entkräftet aber nur leicht verletzt in den Armen der wartenden Männer zusammen. Für kurze Zeit bot sich der mächtige Körper Mamba Bwana Schingos den staunenden Augen mit dem Bauch nach oben treibend dar, aber dann verrieten zuckende Bewegungen, mit denen er unter der Oberfläche verschwand, daß andere Krokodile den bösen Gott der Mubutis auf den Grund des Flusses geholt hatten, um ihn dort zu zerreißen.

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