Wolfgang Hermsen

Die Abenteuer des kleinen Max

Max war ein kleiner Fischotter, der bei seinen Eltern am Bach wohnte. Er war sehr verspielt wie alle kleinen Tiere und seine Lieblingsbeschäftigung war das Wettschwimmen, denn er war ein sehr schneller Schwimmer. In der Nähe des Bachs war ein tiefer Wald mit uralten Bäumen und sehr vielen Verstecken. Dort gab es auch viele Tiere wie den Dachs Grimm, das Wiesel Flitz, die Mäusefamilien Pieps und Raschel, den Specht Klopfer, die Hasenfamilie Mümmelmann und wie sie alle hießen. Jeder kannte den anderen und wusste um seine Eigenarten. Ein Stück unterhalb des Bachs wohnte der Biber Nagezahn, der einen großen Damm gebaut hatte. Dorthin ging Max am liebsten, denn Nagezahn konnte sehr viele Geschichten erzählen. Max hatte einmal versucht, mit Nagezahn um die Wette zu schwimmen, doch der hatte abgelehnt und zu ihm gesagt:“ So schnell wie du kann ich nicht schwimmen, da musst du deine Kusine Julia fragen, die ist so schnell wie du.“ Das ließ sich Max nicht zwei Mal sagen und begann, nach Julia zu suchen, aber er fand sie nicht. Traurig kam er zurück und Nagezahn tröstete ihn mit einer seiner Geschichten. Das gefiel Max so gut, dass er fast jeden Tag Nagezahn besuchte.

Eines hatten Max’ Eltern ihm immer wieder gesagt:“ Hüte dich vor den Menschen, denn sie wollen nur deinen Pelz haben oder sie verjagen dich aus ihren Gebieten, weil du ihnen die Fische wegfrisst.“ Er nahm sich vor, diese Warnung nie zu vergessen und wiederholte sie jeden Tag. Das gefiel seinen Eltern und sie zeigten ihm jeden Trick, den sie kannten, um Fische zu fangen, denn sie hatten Hunger und lebten nun mal von Fischen.

Eines Tages hörten die Tiere sehr seltsame Geräusche. Es war ein Stampfen, Brechen und Dröhnen. Keiner wusste was geschah. Plötzlich lichtete sich der Wald und ein brummendes, stinkendes, rasselndes und dichten Qualm ausstoßendes Ungeheuer erschien. Es schob umgestürzte Bäume, Sand und Steine vor sich her und hinterließ eine Spur der Zerstörung. Alle Tiere verließen den Wald, denn sie hatten fürchterliche Angst vor diesem Ungeheuer. Der ganze Sand und die Steine wurde in den Bach geschoben, an dem Max lebte. Er war gerade bei Nagezahn, als das Ungeheuer erschien. Sofort wollte auch er flüchten, aber Nagezahn hielt ihn zurück und sagte ihm:“ Bleibe bei mir, dann passiert dir nichts, denn wir verstecken uns in meiner Höhle im Damm.“ Max war damit einverstanden, denn Nagezahn hatte ihm versprochen, Geschichten zu erzählen. Das Ungeheuer verschwand im Wald auf der anderen Bachseite und langsam beruhigten sich alle wieder. Als nichts mehr zu hören war, begleitete Nagezahn Max zu seinen Eltern. Doch wo waren sie geblieben? Nagezahn traute seinen Augen nicht, als er sah, was das Ungeheuer angerichtet hatte. Als Max das auch gesehen hatte, begann er zu weinen. Seine Heimat war völlig zerstört und seine Eltern vor Entsetzen geflohen. Traurig schwammen sie zum Damm zurück und verbrachten die Nacht in der Biberhöhle. Am nächsten Morgen begannen sie mit der Suche nach einer neuen Heimat für Max. Nagezahn ging voraus, um zu sehen, ob nicht irgendwelche Gefahren lauerten. So verbrachten sie den Tag und als es dunkel wurde, suchten sie sich eine Unterkunft für die Nacht. Sie kamen an einen kleinen Hügel und hörten seltsame Geräusche. Als sie über den Hügel liefen, sahen sie ein breites, graues Band, dass aussah wie ein breiter Fluss, doch Nagezahn sagte, dass so kein Fluss aussähe und man außerdem kein Wasser riechen könnte. Sie wollten das Band überqueren, denn auf der anderen Seite befand sich in einiger Entfernung ein kleiner Fluss. Das war aber gar nicht so einfach, denn immer wieder kamen zwei helle Lichter angesaust und machten sehr viel Krach dabei. Dieser Lärm machte den beiden Angst. Plötzlich hörten sie ein Quietschen und Krachen und sahen keine Lichter mehr. Es war sehr still geworden. Schnell überquerten sie das Band und verschwanden im hohen Gras, wo sie sich wieder vom Lärm und den Lichtern erholen konnten. Sie fanden am kleinen Fluss eine Höhle, in der sie übernachten konnten. Frühmorgens erwachten sie und sahen sich am Fluss um. Max hatte Hunger bekommen und versuchte sich im Fischfang. Er fand einfach keine Fische im Wasser und bemerkte, dass der Fluss sehr seltsam roch. Außerdem schwamm Schaum auf dem Wasser. Das ging doch nicht mit rechten Dingen zu, dachte Max und fragte Nagezahn: „Was ist hier passiert? Warum gibt es hier keine Fische und wo kommt der Schaum her?“ Nagezahn erwiderte:“ Max, daran sind die Menschen Schuld! Sie haben den Fluss vergiftet!“ Das musste Max erst einmal in seinen Kopf bekommen. Er fragte weiter:“ Wissen die Menschen denn nicht, dass sie uns damit sehr schaden? Können sie das Gift nicht woanders lassen? Ich habe Hunger und finde keinen Fisch, das geht doch nicht, denn in jedem Fluss müssen Fische sein, haben meine Eltern gesagt!“ „Max, glaube mir, die Menschen wissen nicht, was sie tun, denn sonst würden sie den Fluss nicht vergiftet haben“, antwortete Nagezahn. Er ging zum Fluss und rief Max, dass er ihm folgen solle. Dann durchschwammen sie den Fluss und suchten einen anderen. Schon bald kamen sie wieder an ein graues Band, dass sie überqueren mussten. Max rannte los und kam unbeschadet an der anderen Seite an. Doch dann geschah etwas Schreckliches. Da Nagezahn nicht so schnell laufen konnte, wurde er von einem schnellen Krachmacher erfasst und hoch in die Luft geschleudert. Er landete auf der Wiese, vor die Füße von Max. Der konnte gar nicht glauben, was er eben gesehen hatte. Max starrte auf Nagezahn und merkte, dass er tot war. Nun war er auch noch von seinem letzten Ratgeber und Beschützer verlassen worden. Vollkommen auf sich allein gestellt ging er langsam und unendlich betrübt zu dem Weiher, der in der Nähe war. Im Weiher gab es genügend Fische, sodass Max nicht verhungern musste. Er suchte nach anderen Fischottern oder nach Tieren, mit denen er sich anfreunden konnte. Die Suche nach neuen Freunden war sehr schwer, denn in der Nähe des Weihers gab es noch mehrere graue Bänder mit vielen Krachmachern. Leider vertrieben die Krachmacher viele Tiere und töteten einige, die es wagten, über die grauen Bänder zu laufen. Also aß Max sich satt und suchte nach neuen Wassern, die nicht in der Nähe von grauen Bändern waren.

Eines Tages stand er auf einem Hügel und sah sich um. In der Ferne sah er Berge und einen Wasserfall. Das bedeutete, dass ein Bach oder kleiner Fluss in der Nähe war. Jedoch musste er nur noch ein einziges graues Band überqueren. Er hörte und sah keinen Krachmacher und lief los. Plötzlich spürte er einen furchtbaren Schmerz. Ein Krachmacher hatte ihn am Hinterbein und am Schwanz erfasst und weggeschleudert. Er wurde ohnmächtig vor Angst und Schmerzen, deshalb merkte er auch nicht mehr, dass er weggetragen wurde. Als Max aufwachte, merkte er, dass etwas nicht stimmte. Wo war er hingekommen? Es stank fürchterlich hier. Er nieste kräftig und sah einen Menschen, den ersten in seinem Leben. Wie groß der doch war und wie der aussah. Da erinnerte er sich an Warnung seiner Eltern. Sofort wollte er wegrennen, aber konnte es nicht. Sein Hinterteil gehorchte ihm nicht und außerdem war er festgebunden. Der Mensch redete beruhigend auf ihn ein und Max begann, Vertrauen zu fassen. Er bekam zu fressen und erholte sich wieder von seiner Verletzung. Vorsichtig wurde Max von seinem Verband und seinen Fesseln befreit. Der Mensch brachte ihn in die Nähe eines großen Sees und ließ ihn dort frei. Als Max die Freiheit wieder hatte, wollte er sofort ins Wasser, aber sein Fuß tat noch etwas weh und er humpelte zum Ufer. Am Ufer blickte er sich um und suchte eine Höhle für die Nacht. Aber nur an der rechten Seeseite konnte er ein Nachtquartier finden, denn links war nur Wiese und das andere Ufer war sehr weit entfernt. Also ging er nach rechts und fand einen ausgehöhlten Baum, der als Nachtlager dienen konnte. Dort legte er sich hinein und schlief. Am nächsten Morgen machte er sich daran, Fische zu fangen, denn er hatte großen Hunger. Als er einen Fisch gefangen hatte und ihn genüsslich verspeiste, sah er eine andere Fischotterfamilie. Nachdem er satt war, wollte er sie besuchen und schwamm zu ihnen hin. Zuerst taten sie so, als bemerkten sie ihn nicht. Aber als er näher kam und sich schon fragte, ob sie ihn nicht begrüßen wollten, kreisten sie ihn ein und neckten ihn, denn sie waren sehr verspielt und freundlich. Er wurde sofort von ihnen in ihre Gruppe aufgenommen und mit Fragen nur so überhäuft:“ Wer bist du? Woher kommst du? Gibt es noch andere oder größere Seen? Bist du allein? Wer sind deine Eltern?“ Er antwortete:“ Ich bin Max und komme von einem Bach mit vielen Bäumen, die aber alle weg sind.“ Dann begann er zu weinen und wollte gar nicht mehr aufhören. Sie versuchten ihn zu trösten, was ihnen nach einiger Zeit auch gelang. Er erzählte ihnen seine Geschichte und alle fanden sie sehr traurig. Aber dann sagten sie zu ihm:“ Max, sei nicht mehr traurig! Denn das hilft dir nicht! Vergiss deine Eltern und Nagezahn nicht, aber du musst dein Leben weiterleben. Denk‘ an dich und bleibe bei uns. Wir sind eine fröhliche Familie und haben es nicht gern, wenn einer immer nur traurig ist. Also vergiss deinen Kummer und sei auch fröhlich!“ Sie neckten ihn vorsichtig und Max war nicht mehr so traurig.

Nach einigen Tagen nahmen sie Max mit zum anderen Seeufer und zeigten ihm den Bach, der den See verließ. Sie taten sehr geheimnisvoll und schwammen weiter. Da sah Max eine andere Fischotterfamilie. Er wurde ihr vorgestellt und beantwortete ihre Fragen geduldig. Dabei stellten sie fest, dass Max ihr Neffe war und wurden traurig, als sie von Max‘ Erlebnissen hörten. Aber sie waren froh, dass er es überstanden hatte. Etwas später wollte er mit seiner Kusine Julia ein Wettschwimmen veranstalten, denn sie wäre genauso schnell wie er. Er fragte nach Julia und sie zeigten ihm ihr Versteck, denn sie war schüchtern und versteckte sich, wenn Besuch kam. Max ging zu ihr und forderte sie auf, mit ihm um die Wette zu schwimmen, denn er wäre der schnellste Schwimmer. Das glaubte sie ihm nicht und vergaß ihre Schüchternheit ganz, denn sie war die Schnellste. Ihre Eltern suchten eine Strecke zum Schwimmen aus. Max und Julia schwammen auf ein Zeichen los und gaben ihr Bestes. Max war etwas eher am Ziel als Julia und neckte sie. Er hatte bewiesen, dass er der Schnellste war und freute sich seit langer Zeit von Herzen. Julia war etwas enttäuscht, weil sie nur Zweitschnellste war, aber ihre Eltern trösteten sie und erzählten ihr von Max‘ trauriger Geschichte. Danach freute sie sich mit Max und gratulierte ihm zum Gewinn des Wettschwimmens. Max verließ die Familie wieder und schwamm mit den anderen zurück in den See. Unterwegs fingen sie noch einige Fische und fraßen sie auf.

In der Familie gab es auch ein nettes Fischottermädchen mit Namen Laura. Es mochte Max sehr und er sie auch. Im Frühjahr heirateten sie und suchten einen anderen Platz am See, denn sie wollten eine eigene Familie haben. An diesem Platz lebten sie mit ihrer eigenen Familie glücklich bis an ihr Ende.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.09.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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