Florence Siwak
Almuts Traum von Gildo
"Sie hat von Rex Gildo geträumt" tönte es aus dem Nachbarbett, in
dem eine üppige Blondine in einem strammen pinkfarbenen Nicki-Anzug
ruhte wie auf einem türkischen Diwan. Eine Hüfte in die gepeinigte
Matratze gepresst, die andere provozierend zur Decke gestreckt.
Stirn
runzelnd ignorierte ich sie und versuchte, meine Freundin zu wecken,
die in den weißen Laken leise vor sich hin schnarchte und zum ersten
Mal so alt aussah, wie wie war - fast jedenfalls.
Blondie ließ nicht locker.
"Immer wieder hat sie seinen Namen gerufen! - Na ja, er war ja auch der Frauenschwarm der 60-er".
Ich
versuchte so viel Eis wie möglich in meinen Blick zu legen und sie von
oben herab zu mustern, was bei meinen knapp 160 Zentimetern eine
Glanzleistung bedeutete. Sie war vielleicht 14 Tage jünger als Almut
und ich - wenn überhaupt. Gut erhalten allerdings.
"Rufen Sie vielleicht im Traum 'Johannes Heesters', nur weil er der Schwarm Ihrer Generation war?"
Das reichte erst mal, um sie für eine Weile zum Verstummen zu bringen.
Die Schwester, die sich inzwischen lautlos zu uns gesellt hatte, tätschelte Almut die Wange und bestätigte:
"Ja, das stimmt. Wenn Sie wollen, kann ich Ihrer Freundin ein paar Kassetten ausleihen; alle von Gildo und Konsorten."
Wenn das stimmte, musste bei Almut noch was Anderes als der Blinddarm durchgebrochen sein.
Pink
Floyd, Genesis - diese Richtung war so unser Geschmack. An
schwarzhaarigen Männern hätte sie in klassischer Feiertagsstimmung
vielleicht Pavarotti in ihre Träume gelassen - wenn er denn rein
gepasst hätte, was zu bezweifeln war. Aber Hossa, Hossa?
Nachdem
ich das Angebot von Schwester Gisela mit so viel Charme wie möglich
abgelehnt hatte, schaffte ich es endlich, Almut aus ihren Träumen zu
reißen. Vielleicht geisterte ja der 'Frauenschwarm der 60-er' schon
wieder durch ihr Kleinhirn; dann war es höchste Zeit, sie zu erlösen.
Am
Nachmittag, gleich nach der OP hatte meine Uralt-Freundin mich von
einer Schwester anrufen lassen und mich dringend, ganz dringend zu sich
gebeten. Ich hatte schon mit dem Schlimmsten gerechnet und war jetzt
fast etwas ungehalten, als ich sie relativ munter in den Kissen liegen
sah.
"Gott sei Dank, dass Du es geschafft hast" flüsterte sie mit trockenen Lippen und winkte mich zu sich herunter.
Erst einmal jedoch flößte ich ihr neben meiner angeborenen Zuversicht etwas Tee ein und beugte mich über sie.
"Du
weißt doch, dass Franziska heute gegen 18 Uhr ankommt" hauchte sie.
"Sie will ein paar Tage bleiben. Sie bringt Sabrina mit. Ich habe mich
doch so auf die beiden gefreut."
Sie seufzte.
"Ich
kann ja in einer Woche nach Hause - wahrscheinlich. Aber - da ist was -
das musst DU unbedingt für mich tun, Karin. Unbedingt!"
Sie wurde noch leiser und redete hektisch auf mich ein.
Was
ich da zu hören bekam, ließ mich laut auflachen.
Pflichtschuldigst riss ich mich jedoch zusammen, als sich Almut mit
hochrotem Kopf unter der Bettdecke verkroch. Bevor sie weiter reden
konnte, musste ich sie erst einmal beruhigen, was ein hübsches Stück
Arbeit war.
Die Frau von nebenan fiel fast aus dem Bett. Es war ja auch
wirklich unsozial, was wir Beiden da trieben; sie so gar nicht
teilhaben zu lassen. Ich musterte sie schadenfroh. Dem Haaransatz nach
zu urteilen, musste sie etwa drei Wochen hier liegen - eine echte
Prüfung.
Almut zupfte ungeduldig an mir herum.
"Hör doch zu, Du musst Dich beeilen, damit Du vor Franziska in der
Wohnung bist. Sie hat ja Schlüssel. Beeil Dich also; ich würde vor
Scham in die Erde sinken.
Schließlich - sie ist ja Dein Patenkind!"
Das war ihr Trumpf - immer.
"Gut, gut, ich fahre ja gleich."
Es war gerade mal 17 Uhr. Zeit genug also, um Almut den Gefallen zu tun.
Beim Abschied grüßte ich betont freundlich in Blondies Richtung; sie blickte jedoch hoheitsvoll an mir vorbei.
Auch gut - blieb mir bei zukünftigen Besuchen viel erspart.
Zu Almuts Wohnung brauchte ich 10 Minuten; für die Parkplatzsuche ungefährt das Dreifache.
Mir blieb aber genug Zeit, um das zu tun, was eine Frau tun muss.
Was schon Rocky gesagt hatte - allerdings von Männern.
Ich ging in Almuts keusches Ein-Bett-Schlafzimmer - sie war seit
einigen Jahren verwitwet -, griff unter das Bett und zog ihn hervor -
den DILDO.
Vorsichtig packte ich ihn an einer nicht so pikanten Stelle - ich
wollte ja schließlich nicht ihre Intimsphäre verletzen und steckte ihn
in den Karton zurück, der griffbereit daneben stand.
Das war es, worum sie mich gebeten hatte; die Spuren ihrer Zügellosigkeit zu verwischen.
Ich lachte vor mich hin, als ich den Karton diskret in eine
Plastiktüte pakte - von ALDI übrigens; Almut hätte Versace vorgezogen.
Ihr Ruf war gerettet. Franziska konnte ihre geschlechtslose,
keusche Mutter behalten. Sabrina würde nicht über Omas PVC-Freund
stolpern und ich - ich hatte endlich eine Waffe in der Hand, wenn Almut
mal wieder mit erhobenem Zeigefinger (oder Dildo) über mein lockeres
Liebesleben herziehen würde.
Immerhin 3 Männer in 9 Jahren; der letzte geht nun schon ins vierte Jahr!
Der Karton flog in den Kofferraum. Ich musste ihn gut verstecken, damit meine Familie nicht auf falsche Gedanken kam.
Ich bremste. Das gefiel meinem Hintermann so gar nicht, was er auch deutlich zeigte. Er musste was an der Stirn haben.
Wie stünde ich denn da?
Nehmen wir mal an, mir passierte was und meine Familie würde
tränenreich (was ich doch wohl annehmen durfte!) meinen Nachlass
regeln, zu dem dann ja auch der Gildo - pardon der Dildo - gehörte.
Spontan wendete ich, was eine schnelle Nachlassregelung fast
erforderlich gemacht hätte und fuhr zum Bahnhof. Dort schrieb ich einen
Zettel - EIGENTUM VON ALMUT FABIAN - und packte den Karton in ein
Schließfach.
Den Schlüssel steckte ich ins Portemonnaie. Der Zettel beruhigte
mich ungemein. Man weiß ja nie - und frau erst recht nicht. Passieren
kann immer was.
Und dann hoffen meine Erben vielleicht, gebunkertes Geld oder Schmuck zu finden und packen diesen kleinen Ersatzfreund aus.
Schließlich hatte ich auch einen Ruf zu verlieren.
Und - Plastik habe ich noch nie geliebt - höchstens als Tupperware.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.11.2005.
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