Heinz Säring
Behinderte Liebe
In meinem Berufsleben hatte ich auch mit sowjetischen Kollegen zu tun. Es gab schon auch mal einen, der etwas ganz Privates aus dem wirklichen Leben in der damaligen Sowjetunion erzählte, obwohl das offiziel nicht erwünscht war. Einer wurde mal ganz plötzlich nach Hause entlassen; er hatte das ganze deutsche Kollektiv zur Geburtstagsfeier in seine hiesige Wohnung eingeladen. Druschba, Druschba war ganz wichtig, aber doch nicht auf privater Ebene!!! So weit hatte die Deutsch-sowjetische Freundschaft nicht zu gehen.
Die Wirklichkeit im führenden Staat des kommunistischen Lagers sah ja durchaus nicht so rosig aus, wie es offiziell gerne dargestellt wurde. Die Russen schickten zwar mit Juri Gagarin den ersten Menschen ins Weltall aber auf der Erde waren sie noch ziemlich weit zurück. Die Wohnverhältnisse waren größtenteils noch so, dass sich mehrere Familien eine Wohnung teilen mussten. Und damit hängt die kleine Storie zusammen, die uns dieser Kollege von einem Bekannten erzählte.
Das andere war das Klavier. Das Klavier spielte in der SU vor 50 Jahren ungefähr dieselbe wichtige Rolle wie vor 100 Jahren in Deutschland, wo es in jede gutbürgerliche Wohnung gehörte. Sowjetbürger, die eine zeitlang in der DDR gearbeitet und sich einiges zusammengespart hatten, nahmen sich am Ende fast alle ein gebrauchtes Klavier mit nach Hause, das sie hier preisgünstig kaufen konnten, denn hier wurden ja diese Instrumente mehr und mehr aus den Wohnungen verbannt.Und die sowjetischen Menschen waren ganz allgemein kulturell noch mehr interessiert als bei uns. Sie kannten sich viel besser aus in der Literatur, fast jedes Kind konnte Schach spielen und es wurde viel musiziert. Aber das Klavier hatte in unserer Geschichte außer als Musikinstrument noch eine weitere wichtige Funktion zu erfüllen. Und damit zum eigentlichen Geschehen!
Die Bekannten meines Kollegen hatten zwei kleine Zimmer zur Verfügung; das eine war das Schlafzimmer für die ganze Familie, und die bestand aus einem Ehepaar und zwei Kindern. Das Schlafzimmer hatte Abmessungen von ca. zweieinhalb mal drei Metern. An der einen Wand stand das Bett für die Eltern, an der gegenüberliegenden Wand das Bett für die Kinder, und nun kommt das Wichtigste: als optische Trennung zwischen Kinder- und Elternbett stand parallel zu den Betten in der Mitte das Klavier, so dass zwischen Klavier und Bett auf jeder Seite noch ein schmaler Durchgang blieb.
Damit war also eine Sichtbarriere vorhanden zu dem Zweck, dass die Kinder nicht zusehen konnten, was sich im Bett der Eltern natürlich ab und zu abspielte.
Aaaaber, nun geht das ja auch nicht ohne Geräusche ab!! Und dagegen konnte das Klavier überhaupt nichts ausrichten! Ja, wenn es wenigstens ein elektrisches Klavier gewesen wäre, dann hätte man vielleicht mal in dringenden Fällen eine Rhapsodie oder sowas abspielen lassen können, aber es war nur ein gewöhnliches Klavier. Es wäre ja nun technisch auch schwierig gewesen, wenn die Ehepartner während ihres intimen Beisammenseins - vielleicht noch vierhändig - Brahms oder Beethoven interpretiert hätten, obwohl sich bei gutem Willen und ausreichender Übung so manches erreichen lässt - aber das war schon deshalb auszuschließen, weil die Kinder ja schlafen sollten. Auch wegen der Nachbarn kam das natürlich nicht infrage. Es war alles keine Lösung!
Aber glücklicherweise gab es wenigstens zeitweise eine kleine Hilfe in der betrüblichen Situation:
Und das war die Straßenbahn! Die fuhr in unregelmäßigen Abständen draußen vorbei, und da sie nicht die Neueste war, erzeugte sie wenigstens für eine kurze Zeitspanne einen Lärm, der die Geräusche im Bett deutlich übertönte und diese Zeit wurde natürlich fleißig genutzt. Aber leider dauerte es ja nicht lange und auf der Straße trat wieder Ruhe ein und man musste sich im Bett auch wieder still verhalten und eine lästige Pause einlegen. Warten, warten, warten!
Und deshalb stand immer wieder die bange Frage im Raum: "Wann endlich kommt nächste Straßenbahn??" Es war schon ein beachtlicher Erfolg, wenn man sich mal sagen konnte: "Heute sind wir mit nur drei Straßenbahnen zum Ziel gelangt!"
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.01.2007.
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