Andreas Rüdig

Der Theaterwissenschaftler

Die Theaterwissenschaft ist eine relativ junge Wissenschaft. Sie beschäftigt sich mit dem Theater von der Antike bis zur Gegenwart. Die Theaterwissenschaft beschäftigt sich mit den Autoren genauso wie mit deren Werken wie auch mit Theateraufführungen. Die Theaterwissenschaft überschneidet sich also mit der Medienwissenschaft und der Literaturwissenschaft.
Max Herrmann ist einer der ersten Theaterwissenschaftler in Deutschland. Ab dem Jahre 1900 hielt er erste theaterwissenschaftliche Vorlesungen in Berlin. Artur Kutscher kam ab 1909 in München dazu.
Die Theaterwissenschaften lassen sich in Theatergeschichte, Theater / Dramentheorie / Dramaturgie / Ästhetik und praktische Übungen gliedern.
Die Theaterwissenschaften sind nun auch in Duisburg angekommen. Die Niederrheinische Universität zu Duisburg errichtete zum gerade startenden Sommersemester eine Professur in den Theaterwissenschaften. Der Duisburger Generalanzeiger sprach mit Wilhelm Schüttelbirne, dem ersten Inhaber des Lehrstuhls.

(Duisburger Generalanzeiter, 1. April 2015)

Die Warnung ist eindeutig: "Der Herr Professor ist schlechter Laune. Bei seinen Studien schlug er sich ganz heftig auf den Daumen. Mit einem Hammer wohlgemerkt! Nach einem solchen Malheur redet er immer ganz geschwollen," behauptete seine Sekretärin bei unserem Vorgespräch.
Hammer? Handwerkliche Arbeit? Hat ein Professor das überhaupt möglich? Gibt es dafür nicht professionelle Handwerker? Aber egal. Ich mache mich auf den Weg in den Hörsaal, wo ich den Wissenschaftler treffen möchte. Und bin erst einmal überrascht. Vor mir steht ein relativ kleiner Mann, der mittelalterlich gekleidet ist - Halskrause, Wams und Strumpfhosen sowie Ballettschuhe gehören dazu. Daß der dazugehörige Hut auf einem Beistelltisch liegt, bemerke ich erst später. Ein prächtiger Bart ziert das pausbäckige und rote Gesicht.
"Was glotzt Er so? Was macht Er hier? Hat Er noch nie jemanden arbeiten sehen," fragt mit plötzlich der Bart: Staunend betrete ich den Hörsaal. Eine kleine Bühne ist dort aufgebaut. Eine Couch, zwei Sessel und ein Stuhl gruppieren sich um den Tisch. Ein Fernseher, ein kleiner Bücherschrank und ein Kleiderständer ergänzen die Szene. "Was ist das," frage ich den kuriosen Mann. "War Er noch nie in einem Hörsaal? Bei uns Theaterwissenschaftlern werden die Vorlesungen nicht von einem Lesepult aus, sondern von einer Bühne aus gehalten. Und wer ist Er?"
Ich stelle mich vor. Wir setzen uns an den Bühnentisch. In seiner Vorlesung geht es heute um Bauernschwänke. Da habe er schon einmal das entsprechende Bühnenbild aufgebaut.
"Wie ist Ihro Durchlaucht an die Theaterwissenschaften geraten?" Meine Güte, jetzt rede ich schon wie der kauzige Professor. "Nehme Er doch meinen Namen: Heinrich Schüttelbirne ist die deutsche Form von William Shakespeare. Ich bin ein direkter Nachfahre des berühmten englischen Theaterdichters. Nun frage Er doch nicht, wieso Shakespeare deutsche Nachfahren hat. Das ist doch allgemein bekannt. William war mit der Situation in London unzufrieden. Die Theater waren damals in einem miserablen baulichen Zustand. Niemand wollte mehr seine Stücke sehen. Die Konkurrenz war groß. Also wanderte er nach Hamburg aus. Er lernte die deutsche Sprache und germanisierte seinen Namen. Als er begann, Singspiele für Shanty - Chöre zu schreiben, setzte auch wieder der Erfolg ein. So berichtet es die Familienchronik."
Alles Quatsch, nicht wahr? Da will uns jemand auf den Arm nehmen und erlaubt sich einen arbeitsaufwendigen Spaß! So lautet mein erster Gedanke. Als ich ihn laut äußere, ernte ich einen strengen und bösen Blick. "Mitnichten," behauptet die Schüttelbirne, nein, ähm, hm, Herr Schüttelbirne.
Er sei vielmehr der erste in der Familie, der sich professionell und wissenschaftlich mit dem berühmtenm Vorfahren beschäftigt habe. "Die Stücke kenne ich natürlich alle auswendig," behauptet der Wissenschaftler. "Dazu gehören auch die gängigen Interpretationen. Mich persönlich interessiert eine ganz andere Frage: Wie wurden damals Theaterstücke aufgeführt? Es gab keinen Strom und kein Mikrophon. Im Vergleich zu heute war Theater primitiv. Und trotzdem hat es bis heute überlegt."
Es muß wohl reine Neugierde gewesen sein, die Schüttelbirne dazu veranlaßte, Theaterwissenschaften zu studieren. In den folgenden Jahren nach Dissertation und Habilitation arbeitete Schüttelbirne erst einmal unternehmerisch. Er brachte historische Theaterstücke so originalgetreu wie möglich auf die Bühne. War die Produktion erfolgreich, verfilmte er sie. So wurde auch die Universität auf ihn aufmerksam. "Was meint Er wohl, warum ich hier arbeite? Ich soll die Studenten unterrichten. Sie sollen ein Gespür dafür bekommen, wie Theater praktisch funktioniert. Wer weiß, wie er mit seinen bloßen Händen, mit seinem Körper und ohne jegliche Hilfsmittel ein Stück auf die Bühne bringen kann, der wird nicht nur ein guter Schauspieler werden. Er wird das Theater auch unter wissenschaftlichen Augen sehen. Privat forsche ich zu Schüttelbirne. Ach nein, mein Vorfahr heißt ja Shakespeare. Mein Haus ist voller Literatur, meine Garage  voller Requisiten und Garderobe. Und in meinem Garten stapeln sich die Dekorationen. Manchmal kann ich meine Frau vor lauter Bühnenbilder schon gar nicht mehr sehen.
Und hier an der Universität geht das Bühnenleben weiter. Jede Vorlesung erhält ihr eigene Bühnenausstattung. Ich schreibe meine Vorlesungen in Form von Theaterstücken, mit Frage und Antwort und verschiedenen Schauspielern. Was hält Er denn davon?"
Zum Glück kam an dieser Stelle die Sekretärin. Der Herr Professor werde am Telefon verlangt, berichtete sie. "Die Frau Gemahlin fragt an, wann der Herr Dichterfürst denn zum Essen nach Hause zu kommen gedenke?" An dieser Stelle mußte der Professor das Gespräch abbrechen. "Meine Frau ißt gerne pünktlich. Sie ist das sehr eigen," stottert der Professor ganz verlegen.
Ob Moliere und Ibsen wohl auch jemals nach Deutschland gekommen sind?

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.08.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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