Klaus-Peter Behrens

Das Tor zwischen den Welten, Teil 25

Keule keuchte indes wie eine altersschwache Dampflok. Der schnelle Aufstieg hatte ihm ziemlich zu schaffen gemacht, zumal die große Beule, die seinen Kopf zierte, immer noch heftig schmerzte. Über der Schulter trug er Baumbatzs zerbrochene Keule, die er als Kriegstrophäe betrachtete. Er würde nicht eher Ruhe geben, bevor er es diesem Troll und seinen Kameraden gezeigt hatte. Dass die Schiffe weg waren, berührte ihn in diesem Augenblick weniger. Sein kleines Hirn hatte dieses Problem erst einmal in eine Schublade gepackt, die er später immer noch öffnen konnte. Jetzt galt es, sich erstmal zu rächen. Verächtlich schaute er nach unten, wo sich die restlichen Piraten den Berg hinauf quälten. Zwar heulten sie schauerlich, Keule bezweifelte aber, dass sie dies aus Begeisterung, als viel mehr aus Verzweiflung über den mörderischen Aufstieg taten. Wütend starrte er in die Dunkelheit. Irgendwo da oben bei der Felsnadel hatte er die Flüchtigen das letzte Mal gesehen. Keule machte sich auf den Weg, ohne auf die anderen zu warten. Im Zweifel waren sie ohnehin zu nichts nütze und er mußte seine Energie dann auch noch darauf verwenden, die Kollegen durch freundliche Ohrfeigen zur Mitarbeit zu motivieren. Nein, das konnte er auch alleine durchziehen. Unmittelbar vor ihm ragte jetzt die Felsnadel empor. Nichts war zu sehen. Er fluchte vor sich hin.

"Suchst du was?"

Erschrocken fuhr Keule herum. Erst sah er nichts, dann lief es ihm kalt den Rücken hinunter. Direkt aus der Felsnadel heraus sah ihn ein kleiner schwarzer Kopf mit Hörnern an. Die gelben Augen blitzten amüsiert. Keule hatte für solche Fälle nur eine Antwort parat. Mit einem dumpfen Geräusch schlugen die Reste der glorreichen Kriegstrophäe auf dem Felsen auf, um endgültig den Dienst zu quittieren. Ängstlich betrachtete Keule die malträtierte Stelle im Fels, doch der Kopf des Teufelchens war zu seiner Erleichterung verschwunden. Keule atmetet auf. "Ich sehe schon Gespenster", murmelte er beunruhigt. In diesem Moment teilte ihm sein ohnehin schon stark überlastetes Gehirn mit, dass sich soeben irgendetwas Spitzes schmerzhaft in seine hintere Anatomie gebohrt hatte. Schreiend fuhr er herum. Ein kleines Teufelchen mit einem Spieß in der Hand, an dem unübersehbar Teile von Keules Hose hingen, stand vor ihm und sah ihn vorwurfsvoll an. "Das war nicht nett, was du da eben mit meinem Kumpel gemacht hast", sagte es ärgerlich. Doch Keule war nicht unbedingt für seine nette Art bekannt. Wütend entriß er dem überraschten Teufelchen den Spieß. Anscheinend war doch etwas dran an den Legenden, die man sich über dieses Eiland erzählte. Aber Keule kam nicht dazu, diese beunruhigende Erkenntnis zu vertiefen.

"Gib ihm sofort seinen Spieß wieder!", erklang es energisch im Chor. Erschrocken stellte Keule fest, dass sich die Anzahl der Teufelchen drastisch erhöht hatte. Stumm vor Entsetzen schüttelte er den Kopf. Die Teufelchen interpretierten das als Ablehnung, und ihre Hörner wurden rot vor Ärger. Der Spieß in Keules Hand auch. Etwas verspätet signalisierte ihm sein Gehirn den Befehl "loslassen". Brüllend warf er den glühenden Spieß auf den Boden und legte einen beeindruckenden Feiztanz hin. Die Teufelchen klatschten begeistert und feuerten den unglücklichen Troll an. So hatten sie sich schon lange nicht mehr amüsiert.

"Und der will uns von der Insel schmeißen", sagte ein Teufelchen lachend zu seinem Nachbarn.

"Will hier ein Hotel aufmachen", sagte ein anderes und beobachtete grinsend, wie der arme Troll seine riesige Hand in den Mund zu schieben versuchte, um den Schmerz zu lindern.

"Kannibale ist er auch noch", sagte ein Teufelchen angeekelt.

"Aber Spaß kann man mit ihm haben", bemerkte das Teufelchen, dem der glühende Spieß gehörte und hob diesen mühelos auf. Offenkundig war es gegen Hitze immun. Grinsend betrachtete es den tobenden Troll. Der fand die ganze Sache weniger lustig. Gerade stellte er fest, dass etwas Glühendes in seiner Kehrseite steckte. Wie eine Rakete ging er in die Luft. Die Teufelchen pfiffen anerkennend. Zu ihrer Enttäuschung mußte Keule seinen vielversprechenden Mondflug aber vorzeitig wieder abbrechen, um zu landen und sich mit der gesunden Hand, den glühenden Spieß aus seinem brennenden Hinterteil zu ziehen. Es dauerte eine Weile, bis ihm bewußt wurde, was er da in der Hand hielt. Kreischend ließ er los, um erneut eine kesse Sohle aufs Parkett zu legen.

"Klasse Tanzeinlage", sagte ein Teufelchen anerkennend.

"Irgendwie kann man ihm nicht böse sein."

Inzwischen war die Show auch den anderen Piraten zu Ohren gekommen. Entsetzt sahen sie, wie der gefürchtete Troll neben einer Felsnadel einen heißen Stepptanz aufs Parkett legte und dazu markerschütternd brüllte.

"Was macht er da oben bloß?", fragte Slide skeptisch.

"Vielleicht probt er für einen neuen Motivationskurs?", vermutete ein anderer Pirat schaudernd. Einen Augenblick später wurde ihre Neugier befriedigt. Keule kam mit riesigen Sätzen den Bergpfad hinunter gerannt und brüllte in einem fort: "Dämonen, Dämonen." Ohne in seinem Tempo inne zu halten, raste er geradewegs auf die Gruppe der keuchenden Piraten zu. Diejenigen, die zu langsam waren, um auszuweichen, rannte er einfach über den Haufen. Als die Piraten anschließend im fahlen Licht des Mondes auch noch einige höchst suspekte Gestalten mit Spießen auf sich zukommen sahen, war jedes Interesse an der Verfolgung der Gefährten schlagartig auf Null reduziert. In höchster Panik rannten nun alle in rekordverdächtiger Zeit den Pfad hinunter, den sie zuvor so mühsam erklommen hatten. Nur weg, schien die Devise zu lauten. Oben, unterhalb der Felsennadel, betrachteten die Teufelchen ein wenig traurig ihren Abgang.

"Schade, dass sie schon gehen müssen", sagte ein Teufelchen bedauernd.

"Ja, hoffentlich versuchen sie noch einmal, uns von der Insel zu werfen, man hat so wenig Abwechslung hier."

 

 

- 8 -

 

Die Gefährten befanden sich derweilen an dem ungewöhnlichsten Ort auf dieser Welt, nämlich mitten im Fels. Tom hatte den Teufelchen von den vermeintlich bösen Absichten der Piraten erzählt und sie gebeten, ihnen als Gegenleistung für ihre Warnung, bei der Flucht zu ihrem Boot zu helfen. Diese hatten sogleich ihre Zustimmung erklärt und aus dem Nichts ein Loch in der massiven Felswand geschaffen. Offenkundig war der Fels für die Teufelchen genauso widerstandsfähig, wie für die Freunde die Luft, die sie atmeten. Dean hatte gar nicht erst versucht, Zeit darauf zu verschwenden, hierfür eine wissenschaftliche Erklärung zu finden.

Vier Teufelchen begleiteten die Freunde. Eins ging vorweg, eins folgte und jeweils eins befand sich links und rechts von ihnen. Auf diese Weise schufen sie einen Hohlraum im Fels, in dem sich die Gefährten aufhalten konnten. Das einzige Licht spendeten die grün leuchtenden Hörner. Tom hatte den unangenehmen Eindruck, in einem gläsernen U-Boot durch tiefschwarzes Wasser zu gleiten. Er wagte nicht sich vorzustellen, was passieren würde, wenn ihre Begleiter es sich plötzlich anders überlegen und einfach im Fels verschwinden würden.

Auch Myrana war ängstlich und hatte im Dunkeln nach der erstbesten Hand gegriffen und ausgerechnet Wirdnixs erwischt, der ohnehin schon hochgradig nervös war und geglaubt hatte, ein Dämon der Unterwelt würde nach ihm greifen. Erschrocken hatte Myrana losgelassen, als Wirdnix zu kreischen angefangen hatte. Aus Scham über ihre Angst, hatte sie den armen Wirdnix nicht darüber aufgeklärt, dass es ihre Hand gewesen war, die nach ihm gegriffen hatte. Wirdnix befürchtete nun, als Beute von einem unterirdischen Höhlenmonster auserkoren worden zu sein und jammerte in einem fort, während der Rest der Gefährten kopfschüttelnd an seinem Verstand zweifelte.

Myrana lief jetzt neben Tom und Dean durch die nur spärlich erleuchtete Dunkelheit und war froh, die beiden neben sich zu haben, auch wenn ihr das im Zweifel nichts nützen würde. Anders als die Gefährten konnte sie inzwischen erheblich mehr erkennen und das was sie sah, konnte sie kaum fassen. Vor ihnen schien sich der Felsen geradewegs aufzulösen, um sich hinter ihnen wieder zu schließen. Jede Orientierung hier drinnen war unmöglich. Alles, was sie registrierte, war, dass der Weg ständig bergab führte. Die Teufelchen hatten ihnen versprochen, sie direkt an dem Strand, an dem ihr Boot lag, abzusetzen. Aber was wäre, wenn sie sich verschätzten und unter dem Meer herauskommen würden?

Gart plagten derartige Gedanken weniger. Unter Tage fühlte er sich wohl. Interessiert betrachtete er die Gesteinsformationen, die sie passierten und registrierte mit Genugtuung, dass die Bodenschätze hier geradezu ärmlich im Vergleich zu Medara waren. Ähnlich erging es Meister Reno vi´Eren, der das Abenteuer aus einer anderen Perspektive betrachtete. Für ihn war dies die Bestätigung einer Legende, über deren Wahrheitsgehalt sich die Gelehrten schon seit Jahrhunderten stritten. Doch seine Bemühungen, die Teufelchen weiter auszufragen, etwa nach der Formel, die es ihnen ermöglichte, sich durch das massive Gestein zu bewegen, stießen auf taube Ohren. So wanderte der seltsame Zug noch eine ganze Weile weiter, bis sie schließlich anhielten.

"Wir sind da", verkündete das Teufelchen, das die Gruppe anführte. Mit der Hand machte es eine kreisende Bewegung und in der massiven Felswand vor ihnen, entstand ein Loch. Frische Meeresluft strömte herein und das Geräusch der Brandung drang an ihre Ohren. Vor ihnen erstreckte sich der Strand der kleinen Bucht, in der sie gelandet waren und sogar das Beiboot lag noch dort, wo sie es verlassen hatten.

"Wie habt ihr das bloß geschafft?", fragte Dean anerkennend. Auch Gart nickte wohlwollend.

"Beeindruckende Leistung, hätte ein Zwerg nicht besser machen können", lobte er das Teufelchen. Dessen Hörner leuchteten noch ein wenig grüner.

"Das war nicht schwer", sagte es bescheiden. "Wir können durch den Fels sehen, da war es nicht schwer, euer Boot zu finden. Außerdem gehen wir oft hier unten spazieren." Wirdnix hatte weniger Sinn für lobende Worte, dafür war er mit den Nerven viel zu sehr am Ende. Wahrscheinlich würde er noch Jahre später bei der Erinnerung an die kalte Hand, die nach ihm gegriffen hatte, schreiend aus dem Schlaf hochschrecken.

"Ich will jetzt endlich hier raus", klagte er daher lautstark und schob sich an den anderen vorbei nach draußen. Der Rest verabschiedete sich herzlich und folgte dem ängstlichen Gnom. Auch sie waren heilfroh, wieder freien Himmel über sich zu haben. Kaum war Myrana dem Dunkel glücklich entfleucht, war sie auch schon wieder die alte. "Los, schlaft nicht ein. Laßt uns das Boot ins Wasser bringen und dann nichts wie weg von hier", trieb sie die Gefährten an. Als sich Meister Reno vi´Eren noch einmal umdrehte, um ein letztes Mal den kleinen Teufelchen zu winken, waren diese zu seinem Bedauern schon verschwunden. Die Klippenwand sah wieder genauso massiv aus, wie bei ihrer Ankunft.

"Schade", seufzte er, "ich hätte gerne mehr über sie erfahren."

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.09.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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