Andreas Rüdig

Gerontokratie

Gesetz zum Schutz vor Gerontokratie

§ 1: Senior im Sinne dieses Gesetzes ist jede natürliche Person, die das 65. Lebensjahr vollendet hat.

§ 2: Ist bei einem Senior ein Gebrechten, das die körperliche oder geistige Beweglichkeit einschränkt, vorhanden, ist von der zuständigen Stelle ein Hausarrest zu verhängne. Balkone und befriedete Gärten, die unmittelbar vom Haus aus erreichbar sind, können bei Bedarf zum Haus gerechnet werden. Im Zweifelsfall entscheidet ein Amtsarzt über das Hausarrest.

§ 3: Öffentliche Ämter können nach Vollendung des 65. Lebensjahres nicht mehr ausgeübt werden. Wer bei Vollendung des 65. Lebensjahres ein solches Amt ausübt, geht dieses Amtes  am selben Tag automatisch verlustig, ohne daß es eines Verwaltungsaktes bedarf.

§ 4: Senioren müssen sich regelmäßig auf ihre körperliche und geistige Gesundheit untersuchen lassen. Die Kosten für Untersuchung und eventuelle Folgebehandlung trägt die gesetzliche Krankenversicherung. Kann keine regelmäßige Vorsorgeuntersuchung nachgewiesen werden, sind Erkrankungen selbst verschuldet; die Behandlungskosten müssen dann auf jeden Fall vom Senioren übernommen werden.

§ 5: Auf amtsärztliche Anordnung sind Leistungen der Pflegeversicherung, Krankenversicherung, des Zivildienstes, des Freiwilligen Sozialen Jahres und privater Gesundheitsdienstleister in Anspruch zu nehmen. Ist dies auf absehbare Zeit nicht möglich, ist ein Heimeinweisung anzuordnen und durchzuführen. Bei überdurchschnittlicher geistiger Minderleistung ist ein Verfahren mit dem Ziel der Entmündigung durchzuführen.

§ 6: Das Gesetz tritt mit dem heutigen Tag in Kraft.

 

Ziemlich hart, dieses Gesetz, nicht wahr? Es muß aber sein. Und ich werde Ihnen auch erzählen, warum.

Ich liebe alte Menschen. Sie sind so weise, milde, lebenserfahren. Viele ältere Damen sehen auch noch reizvoll aus. Okay, sie sind nicht mehr fruchtbar; Kinder wollte ich aber noch nie. Daher stört mich dieses Einschränkung nicht. Insbesondere gepflegt erscheinende Seniorinnen haben es mir angetan. Nicht etwa, weil sie wohlhabend sind und ich auf ihr Erbe aus wäre. Es geht mir um etwas anderes. Sie sind kultiviert und gebildet. Sie können mir was von ihrem Wissen weitergeben. Je nach körperlicher Verfassung können sie mir auch die Liebe und ihre Techniken vermitteln. Wenn ich dann selbst alt bin, kann ich mein eigenes Wissen an die jüngere Generation weitergeben.

 

Als mir Luise sagte, daß sie mich liebe, war ich doch erschreckt. Diese alte Schreckschraube! Verschrumpelter Busen, faltige Haut, fehlende Schamhaare und ein fehlender Kußmund waren noch die harmlosesten körperlichen Einschränkungen. Alles in allem war Luise eine unattraktive Seniorin.

 

Warum ich mich dennoch mit ihr zusammentat? Um des lieben Geldes willen! Und nur darum! Luise konnte ihre körperlichen Mängel durch eine immer gefüllte Geldbörse ausgleichen. Als ich studierte und später in die Politik ging, war dies natürlich sehr hilfreich. In Zeiten der wirtschaftlichen Not unterstützte mich Luise sehr. Doch oh wehe! Irgendwann kam mir Luise auf die Schliche. Sie griff zur Tageszeitung und stellte fest, daß ich beruflich Fuß faßte und erfolgreich Karriere machte. Also schwor sie mir Rache. Ich war inzwischen mit einer Dame in meinem Alter glücklich verheiratet und hatte auch schon zwei Töchter. Trotzdem rief Luise jeden Tag bei mir an. "Ich möchte dich sehen. Wann kannst du kommen," war noch ihre harmloseste Frage. Irgendwann war ich beruflich und familiär so ausgelastet, daß ich keine Zeit mehr für Luise hatte. Also schrieb Luise meiner Frau. "Liebe Sabrina," heißt es in dem Brief. "Wie du sicherlich weißt, bin ich schon seit rund 15 Jahren mit deinem Mann zusammen. Wir sind ein glückliches Liebespaar. Wohl wissend, daß ich nicht mehr lange zu leben habe, bitte ich Dich, zurückzustehen und mir für die mir verbleibende Zeit den Vortritt zu lassen."

 

Zuerst war Sabrina eifersüchtig und machte mir eine Szene. Erst als ich sie mit Luise bekanntmachte, erkannte sie deren Potential. "Wir nehmen Luise als Kleinkindaufpasserin. Wenn sie dich liebt, macht sie das doch bestimmt gerne," meinte meine Frau. Mitnichten! Als meine Frau mit diesem Anliegen an Luise herantrat, kam es zu einem Eklar. "Ich will mit deinem Mann ins Bett, in nach Strich und Faden verführen. Ich habe sogar eine Hormontherapie begonnen. Jetzt kann ich sogar mit 70 noch das erhoffte Kind bekommen!" Als Luise begann, hysterisch zu lachen, ergriff meine Frau entsetzt die Flucht.

 

Luise setzte ihren Rachefeldzug unbeirrt fort. Sie sandte uns ein Video, auf dem sie masturbiert und mit Sexspielzeug hantiert. Am Telefon sang sie frivole Lieder. Als wir nichtsahnend die Haustür öffneten, entblößte sie ihre verwelkte Weiblichkeit. Sie war einfach immer irgendwie präsent.

 

Heute sind wir sie glücklich los. Luise lernte nämlich meinen Opa kennen. Da sie sich in ihn verguckte, nervt sie ihn. Obwohl - Großvater sein es zu genießen. Es geht im besser denn je ... Soweit ich es mitbekommen habe, wird er mit 80 noch mal Vater ...

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.02.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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