- Sonnabend, 11.37 Uhr, in einer Einkaufspassage -
Ich sitze auf dem
Rand eines Brunnens. Trotz des feuchten, kalten Wetters friere ich nicht.
Auch den anderen Leuten scheint diese Kälte nichts auszumachen. Es sind
heute sehr viele Leute unterwegs. Wenn ich es mir genau überlege, habe ich
schon lange nicht mehr so ein emsiges Treiben hier beobachtet.
Sie
wandern umher, ziehen ihre Bahnen, scheinen alle sehr beschäftigt. Sind sie
es wirklich? Oder liegt es an den Masken, die sie tragen? Gleichgültige,
anonyme Gesichtsausdrücke, starr geradeausblickend laufen Sie, wie auf einer
Schiene wandernd als könne sie nichts aufhalten.
Tausende Schritte
trommeln auf den nassen Beton, ein furchteinflößendes Konzert. Ein dumpfes
Murmeln liegt über der sich endlos bewegenden Masse, banale Gespräche.
Tauben stürzen von ihren Dächern, schlagen mit hundert Flügeln, streiten
sich um fallengelassene Brotstücke.
Durch Lautsprecher höre ich einen
Mann, der seine Ware preist. "Stromverlängerungskabel heute sehr günstig",
Batterien, Rasierapparate, Lichtschalter … es ist wirklich beruhigend zu
wissen, daß man in einem Elektrowarengeschäft auch Glühbirnen bekommt!
Straßenlärm durchdringt plötzlich den Moment - ein endloses Rauschen,
Hupen, Quietschende Reifen … dann laute Sirenen. Und der Geruch … ein Mix
aus Pommes, Dönern, Pizza und Auspuffgasen gewürzt mit süßlich duftenden
Parfüm.
Hinter mir oder irgendwo plötzlich ein Kinderlachen, dann 2 oder
3?
Die Masse kreist immer noch um mich herum, was wollen diese vielen
Menschen nur hier?
Viele von ihnen werden Dinge kaufen, die sie
eigentlich nicht benötigen. Erst die Medien suggerieren uns, daß wir sie
brauchen. Slim Fast, orangefarbene Rasierklingen, Handys mit MP3-Player,
bedrucktes Toilettenpapier … sehr weich, so weich daß sogar Bären sie
benutzen!? … Radios in Topfform oder die, die man an seiner Bratpfanne
anbringen kann, Harry Potter - Tassen.
Ich verurteile sie nicht. Ich
habe mir kürzlich erst einen GyroTwister gekauft. Ein rundes Ding, zum
trainieren der Hand, des Unterarms und des Oberarms. Naja, es ist mehr ein
Spielzeug, aber es macht irgendwie Spaß mit dem Ding zu spielen.
Und die
Meute zieht weiter.
Dann höre ich, zunächst sehr leise, eine Musik. Ein
Straßenkünstler? Er spielt auf seiner Panflöte, nicht perfekt aber sehr
schön. Ich lausche den Melodien. Alles um mich herum dringt in den
Hintergrund. Die Lieder kommen mir bekannt vor, jedoch kenne ich nicht ihren
Titel. Mein Gott, ist das schön! Er spielt mit einer Leidenschaft, die ich
hier nicht vermutet hätte. Die Noten scheinen die Masse zu umhüllen,
schaffen einen unsichtbaren Nebel, nein eher eine Aura. Was für ein Bild,
was für eine absurd faszinierende Vollkommenheit.
…
Dann wieder diese
Sirenen! Ich schaue auf meine Uhr … es ist 12.53 Uhr. Ich lächle! Doch nicht
lang, denn die Reize überfluten mich wieder mit einer Kraft, die mich
erschaudern läßt.
Und wo ist die Flöte? Ich höre sie nicht mehr. Ich
stehe auf, gehe in die Richtung, aus der ich die Musik vermutete. Ich bin
dabei sehr vorsichtig, möchte nicht mit dem Konsumzug kollidieren. Ich
weiche aus, stoppe, beschleunige und muß wieder ausweichen. Leute vom ADAC
und Greenpeace wollen mir ein Gespräch aufzwängen … Jetzt nicht! Ich suche
den Musiker! … doch er ist verschwunden, er und seine Melodien.
Ich bin
hungrig. Ich werde aber daheim essen, ohne diese Musik halte ich es hier
nicht mehr aus. Ich beschließe meinen Aufbruch.
Ich höre noch den
Elektromann aus den Lautsprechern, er preist immer noch … diesmal ein
Dampfbügeleisen von TEFAL, preisreduziert!
Grinsend und kopfschüttelnd
ziehe ich von dannen, mit der Gewißheit, daß ich nicht das letzte Mal auf
diesem Brunnenrand gesessen habe. Denn beobachte ich sie, dann beobachte ich
mich auch, weil ich Teil dieses menschlichen Stumpfsinns bin. Und vielleicht
begegne ich wieder diesen Melodien, die mir diese Realität erträglicher
machten.
Vorheriger TitelNächster TitelIst mein erster Versuch in diesem Style. Ist wirklich passiert.Steffen Kaulitz, Anmerkung zur Geschichte
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Steffen Kaulitz).
Der Beitrag wurde von Steffen Kaulitz auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.11.2002.
- Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
Steffen Kaulitz als Lieblingsautor markieren
Fallender Schatten
von Heiger Ostertag
Eine attraktive Lehrerin einer Stuttgarter Waldorfschule wird zum Mordopfer, aus dem Kollegium könnte es jeder gewesen sein! Jeder? Nun, die Dinge liegen vielleicht doch etwas schwieriger. Denn die Ermittlung der Polizei laufen ins Leere, weitere Morde ereignen sich. Erst zum Ende entwirrt eine Eurythmistin das undurchdringliche Dickicht aus Lügen und Gerüchten.
Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!
Vorheriger Titel Nächster Titel
Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:
Diesen Beitrag empfehlen: