Jürgen Berndt-Lüders

Der Heilige Sankt Demokratius

Vor der letzten Wahl wusste ich ums Verrecken nicht, wen oder was ich wählen sollte.

 

Ich googelte und fand neben den Eisheiligen einen Schutzheiligen der Demokratie, St. Demokratius.

 

Ich schickte ihm eine Mail mit der Frage, ob er mir nicht sagen könne, was ich wählen solle. Ich glaubte zwar nicht, dass er antworten würde, aber er rief mich zurück.

 

„Danke, dass Ihr mich anruft, Herr Heiliger“, sagte ich. „Soll ich zurück rufen?“

 

„Lass mal, ich habe Flatrate“, meinte er. „Du kannst mich ruhig duzen. Heilige wie ich sind für die Volksherrschaft und damit volksnah. Nenn mich einfach Demi.“

 

„Gut“, sagte ich und seufzte. „Dann beantworte mir mal eine Frage, Demi: Welche Partei sollte ich wählen?“

 

Er räusperte sich. „Das solltest du selbst entscheiden. Ich muss neutral bleiben und kann dich nur über die Zuständigkeiten der Parteien informieren. Stelle fest, was dir nützt und dann lies nach, welche Partei deine Ziele unterstützt. Und die wählst du dann.“

 

Ich gähnte unverhohlen. „Demi“, spöttelte ich. „Das klingt nach Gemeinschaftskundeunterricht, oder wie das heute heißt, dritte Klasse Grundschule. Die Parteien sagen doch nicht direkt, was sie wollen. Sie verstecken ihre wahren Absichten hinter einer Fassade...“

 

Er unterbrach mich. „Gut“, sagte er. „Ich erkläre dir die wahren Absichten. Und hinterher weißt du, wen du wählen solltest.“

 

Ich war gespannt wie ein Flitzebogen und lauschte.

 

„Also, wenn du jung bist  oder dich zumindest für einmalig hältst, wenn du voller Gier nach Anerkennung, Geld und Macht steckst, wählst du am besten die Freie Demokratische Partei. Die sorgt für Deinesgleichen.“

 

„Gut“, fand ich. „Ich bin weder jung noch  halte ich mich für einmalig. Also kommt die FDP für mich nicht in Frage. Und weiter?“

 

„Bist du nicht wenigstens etwas gierig nach Geld und Macht?“, lockte er.  „Komm schon, gib’s doch zu.“

 

„Nein“, rief ich trotzig. „Mir reicht, was ich habe, und ich möchte, dass möglichst viele ihr Auskommen haben.“

 

„Hast mich überzeugt“, sagte er. „Hake es ab. Zuwenig Egoismus. Ich glaube fast, dass eine der Parteien mit dem C am Anfang in Frage kommt. Die sind nicht ganz so einseitig, glauben aber schon, dass aller Erfolg aus dem persönlichen Streben des Individuums kommt.“

 

„Auch zu Lasten derjenigen, die keinen Erfolg mit ihrem Streben haben, weil sie zu dumm, zu alt, zu krank oder sonst irgendwie gehandicapt sind?“

 

„Schon gut,  ich kenne diese Sprüche. Solche Leute werden mit durchgefüttert. Du klingst fast wie ein Sozialdemokrat.“

 

„Und was wollen die Sozis in Wahrheit?“

 

„Die wollen dasselbe, aber mit neu gemischten Karten.“

 

„Was meinst du damit?“

 

„Nun, nach dem Willen der Sozis sollen auch Arbeiterkinder Bundeskanzler oder sogar Manager bei der russischen Gazprom werden können.“

 

Ich lachte. „Ich will aber keine Karriere. Ich will, dass außer mir möglichst viele...“

 

„...jaja, ich weiß“, stöhnte er. „Das ist unnormal, ja fast pervers. Weil es nicht der menschlichen Natur entspricht.  Ich glaube fast, dass du dir was vor machst. Aber vielleicht kommen die Grünen für dich in Frage?“

 

„Und was wollen die in Wirklichkeit?“

 

„Dasselbe wie die C-Parteien und die Sozialdemokraten. Aber weil sie Intellektuelle sind, wollen sie vorausschauender und vorsichtiger ans Werk gehen. Die übersehen nur, dass die Leute jetzt und nicht irgendwann später, wenn die Sahara mit Voltaikanlagen zugepflastert ist und uns den Strom liefert, reich werden wollen.“

 

Nun flippte ich aus. Wie lange sollte ich mir noch anhören, dass im Grunde alle dasselbe wollen?

 

„Ich will aber nicht reich werden. Ich habe weder  Spaß an einer Villa noch an einem Porsche oder Ferrari. Ich will keine Yacht und kein Foto zusammen mit Frau Merkel. Ich will in Ruhe...“

 

„...komm ja nicht auf die Idee, die Linken zu wählen.“

 

„Und warum nicht?“

 

„Weil die auch dasselbe wollen. Aber nicht, dass diejenigen den Rahm abschöpfen, die sich ‚nen Kopf machen, die sich was einfallen lassen, damit es überhaupt zu Wohlstand egal für wen kommen kann, sondern, dass auch die Faulen und Lustlosen ihren Anteil haben.“

 

Er überlegte.

 

„Bist du vielleicht faul und lustlos?“

 

„Nö, wenn mir etwas Spaß macht und ich es für sinnvoll halte, reiße ich mir regelrecht den Arsch dafür auf.“

 

„Dafür gibt es noch keine Partei.“

 

„Und warum nicht?“

 

„Weil es für die keine Wähler gäbe.“

 

„Und warum nicht?“

 

„Weil die nicht zur Wahl gingen.“

 

Übrigens: ich ging nicht zur Wahl. Weil es sich nicht lohnt, sich für so was den Arsch aufzureißen.

 

© Jürgen Berndt-Lüders

 

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