Christiane Mielck-Retzdorff

Alkoholverbot




 
 „Das konsumieren von alkoholischen Getränken ist in öffentlichen Verkehrsmitteln verboten“ prangte groß auf einem Schild des Bahnsteiges. Hugo schüttete beherzt den letzten Schluck aus der Weinbrandflasche in seine Kehle und warf die Flasche in das Gebüsch hinter den Gleisen. An Schwung und Treffsicherheit merkte man, dass er früher einmal Handball gespielt hatte. Die anderen Wartenden waren entsetzt. Nein, sie fürchteten sich geradezu davor, mit diesem, offensichtlich der sozialen Unterschicht entstammenden, Mann in den Zug zu steigen. So verstreuten sie sich bei der Ankunft der Bahn auf die anderen Abteile.
 
Hugo torkelte los, visierte einen Sitzplatz an, ließ sich niederfallen und schloss die Augen. Ein feiner Ort um bei leichtem Schaukeln ein Nickerchen einzulegen. Ein Mann im teuren Anzug, der die Szene beobachtet hatte, zückte sein Handy und alarmierte das Sicherheitspersonal der öffentlichen Verkehrsmittel. Dieses fühlte sich aber nicht zuständig, da der stark alkoholisierte Mann weder pöbelte noch die Gäste bedrohte.
 
Dafür begann eine ältere Dame beinahe hysterisch zu beklagen, der junge Mann neben ihr hätte einen ganzen Vorrat an Whiskyflaschen bei sich. Tatsächlich lugten aus dem am Boden abgestellten Korb die Beweismittel, die auf ein drohendes, exzessives Besäufnis hindeuteten. Der junge Mann hörte nichts von den Verdächtigungen, da aus seinen Kopfhörern laute Musik schallte. Der Herr im teuren Anzug rief erneut die Sicherheitskräfte, die ihn aber belehrten, dass das Mitführen von Alkohol erlaubt sei.
 
Nun empörte sich ein Geschäftsmann mit Aktenkoffer, dass man seines Lebens nicht mehr sicher sein könnte, wenn die Politiker Gesetze erlassen, die so löcherig sind, dass sie bei der geringsten Belastung in sich zusammenfielen. Wie zur Bestätigung nahm er einen großen Schluck aus seiner Flasche mit Multivitaminsaft.
 
Prompt mischte sich ein anderer Fahrgast ein und forderte mehr Sicherheit für den Normalbürger. Das wurde mit großem Beifall aufgenommen und trieb in der folgenden Diskussion prächtige Blüten. Die Lobpreisung von Recht und Ordnung erklang gerade in den höchsten Tönen, als zwei Männer mittleren Alters, sich gegenseitig stützend und offensichtlich bester Laune auf dem Rückweg von einer Feier das Abteil betraten. Gemeinschaftlich drängten die Fahrgäste sie zurück auf den Bahnsteig. Man war mächtig stolz aufeinander.
 
Gerade als die Mehrheit im Abteil beschlossen hatte, nun auch den schlafenden Trunkenbold und den Jugendlichen mit dem Gefahrengut Whisky bei dem nächsten Halt zu entsorgen, stürmte eine Gruppe besoffener Fußballfans den Raum, deren Verein eine Niederlage erlitten zu haben schien. Die Wut strömte den Männern und Frauen aus allen Poren. Sie pöbelten, verschafften sich Sitzplätze, klauten den Whisky und schubsten den Schlafenden auf den Gang.
 
Die anderen Gäste schwiegen betreten. Auch der Mann im feinen Anzug ließ sein Handy stecken. Als der Geschäftsmann, leicht zitternd, einen Schluck aus seiner Multivitaminflasche nehmen wollte, wurde sie ihm brutal entrissen. Ein riesiger Typ mit tätowierten Armen nahm einen Schluck und rief begeistert: Ey, da ist ja Wodka drin.   

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