Tilman Otto Wagner

M20 BIOMATRIX


 
Gebrochene Sonnenstrahlen sickern durch den staubig-neuzeitlichen Morgen der Großstadt hindurch. Die Straßenbahn ruckelt langsam voran. Blasse Kindheitserinnerungen krabbeln in mein Bewusstsein hoch:


. . . atunci, când îmi aduc aminte de acele zile, care în urmă cu 15 ani au dezlănţuit un popor încercat de soartă din apatia colectivă a unui sistem totalitar, primele, imediatele mele reacţii sunt de natură ambiguuă. Se contopesc furia, dezamăgirea şi sentimentul de claustrofobie emoţională cu frica, tristeţea, dar mai ales imposibilitatea de a găsi răspunsuri convingătoare la întrebările, care măpreocupă de atunci, referitoare la cauzele, consecinţele şi  culpabilitatea sistemului totalitar din România, care în anul 1989 a provocat moartea prematură a câtorva mii de cetăţeni din motive absurde  şi  intransparente . . . .  


An einem Vorstadtbezirk vorbei, prallen fremdartige Sprachen an der ermatteten Innenluft des Öffis ab. Ich blicke zu dem aschgrauen Hochhaus herüber. Magistratsabteilung: Wien Simmering. Eine radikale Symmetrie starrt mich durch die schmutzigen Fenster des Zementblocks an. Ich steige nachdenklich aus. Besorgte Gesichter kommen mir entgegen. Eine dunkelhaarige, ältere Frau steigt hastig auf die Bim auf. Unter einem leichten Windstoss flattert ein beschriftetes A4-Papier in ihrer rechten Hand. Ich betrete das Gebäude. Dass weiße Lächeln eines uniformierten Beamten indischer Abkunft empfängt mich. Ich frage ihn nach dem Raum M4. Er weist auf die rechtmäßigen Treppen hin, welche ich mit eiligen Schritten hinauflaufe. Gerunzelte Stirnen streifen meinen suchenden Blick. Vor der Tür Nr. 3 bleibe ich stehen. Eine breite Aufschrift „Anmeldung“ starrt mich an. Ich drücke den auf roten Knopf des Automaten und ziehe eine Nummer. Warten!

Unruhig spaziere ich auf dem glänzenden Boden des schmalen Ganges, welcher sich linkerhand entlangzieht. Junge Paare wiegen ihre zappeligen Neugeborenen in ihren Armen. Ich schnappe einige slawische und türkische Wortfetzen auf. Durch die Sprechanlage werden Namen aufgerufen. Zwei korpulente Beamtinnen quatschen vor der Tür Nr. 8 über dieses und jenes. Vorbeilaufende Kinder schauen mich aus dunklen Augen an. Das Surren eines Kopiergerätes raunt aus einem der unzähligen Räume herüber.

Meine braune Ledertasche gibt den überfüllten Inhalt von Papieren frei. Ich durchwühle den schwarzen Ordner, welchen ich herausziehe. Gelangweilt fische ich die notariell beglaubigte Übersetzung meines Geburtsscheines aus dem gepressten Konvolut von Dokumenten heraus. Eine metaphysische Reflexion durchzuckt meine Konzentration. Blitzartig schiebe ich das Dossier in die Aktentasche zurück.

Aus den Lautsprechern ruft eine nasale Stimme meinen Namen auf. Ich blicke zu dem grauen Apparatus, welcher unter der metallblauen Decke befestigt ist, hoch. Zögernd richte ich mich auf. Dann klopfe ich an die Tür Nr. 6 und trete ein. Zwei Beamtinnen sitzen vor ihren Computern. Eine Frau um die vierzig nickt mir unauffällig zu und fordert mich auf Platz zu nehmen. Ich zücke meine Aktenmappe aus der Tasche und lege sie geöffnet auf den Ikea-Tisch vor mich hin. Die Funktionärin bombardiert mich unter ihrer Brille hervor mit Fragen:
        
„Woher kommen Sie? Was für eine Niederbewilligungserlaubnis möchten Sie beantragen? Wann läuft Ihr jetziges Visum ab? Über welche finanziellen Mittel verfügen Sie, um Ihren Aufenthalt in Österreich abzusichern?“

Raunende Magensäure steigt in meinem Inneren hoch. Das psychosomatische System rebelliert. Ich blicke die blonde Dame an,  . . . und händige Ihr die Unterlagen in einem entschlossenen Gestus aus. Stille. Die andere Frau blickt unter ihrer hellbraunen Brille zu mir herüber. Ich schenke ihr ein trockenes Lächeln. Nachdem Beamtin Nr. 1 die unzähligen Dokumente sortiert und durchgesichtet hat, streckt sie mir den zugeklappten Ordner entgegen.

„Diese Erklärung müssen Sie anders formulieren. Bitte nachzureichen!“

Auf dem Weg nach unten überlege ich mir, ob sie die Biomatrix schon eingeführt haben. Ich verlasse das Gebäude. Das M20-Hochhaus verschwindet allmählich im Dunst der Morgensonne hinter meinem Rücken. Mit langsamen Schritten entferne ich mich vom Schauplatz der Moderne.   
 
 

Wien, 2006         


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