Peter Biastoch

AIDA (Opernbesuch am 22.02.2009)


 
  Am gestrigen Abend erlebten wir wieder einmal einen kulturellen Höhepunkt. Wir waren im Chemnitzer Opernhaus, zur letzten Vorstellung von Aida. Ich möchte mich nun, solange die Eindrücke noch frisch sind, zurücklehnen und diesen Abend Revue passieren lassen, meine Gedanken ordnen und niederschreiben.
  Der Tag verging grau in grau, mit gelegentlichen Schneeregen. Schließlich war es soweit. Wir waren ausgehfertig angezogen, die Karten waren griffbereit und so stiegen wir in das Auto unserer Tochter. Neunzehn Uhr warteten wir bereits im oberen Foyer darauf, dass uns jemand von der Theaterleitung eine kleine Einführung in die Oper geben würde. Es ist eine schöne Tradition dieses Hauses, seine Besucher, in dieser Weise auf das bevorstehende Kunsterlebnis einzustimmen. Wir erfuhren Einzelheiten über den Komponisten und darüber, wie es überhaupt dazu gekommen war, dass er dieses Werk erschuf.
  Selbstverständlich wurde auch ein kurzer Abriss der Handlung gegeben, sodass jemand, der sich noch nicht mit diesem Stück befasst hatte, dieser zu folgen vermochte. Wie immer, waren viele Opernbesucher früh genug gekommen, um sich diese Einführung anzuhören. Ein weiterer Beweis dafür, dass es eine gute Einrichtung ist. Carla Neppl, die auch für die, während der Arien eingeblendeten deutschen Übertitelung, verantwortlich zeichnete, war noch keine Minute mit ihren Ausführungen zu Ende, als der Gong ertönte, der uns zu unseren Plätzen rief.
  Es umfing uns wieder einmal die gespannte Atmosphäre, die wir schon gewohnt sind, wenn wir unsere Plätze eingenommen haben. Diesmal war es ebenfalls wieder die siebte Reihe und wir saßen links von der Bühnenmitte.
  Das diffuse Stimmen der Instrumente verstummte. Das Licht im Publikumsraum wurde herunter gedimmt.  Gespanntes Schweigen. Dann erhob sich, erst leise und zaghaft, dann eindeutig der Applaus. Domonkos Héja hatte sein Reich, das Dirigentenpult, betreten und verneigte sich vor dem Publikum. Als er schließlich seinen Taktstock erhob, wurde es wieder still.
  Das Orchester begann seine Arbeit und der Blick wurde zu dem sich öffnenden Vorhang gelenkt, der zügig das Bühnenbild freigab. Die gesamte Bühne war leer, umschlossen von hohen Mauern und schmalen, aufstrebenden Toren. Die Wände erweckten einen wuchtigen, massiven Eindruck. Typisch für altägyptische Monumente, die sich aus metergroßen Felsquadern auftürmen. Man erkannte an den Dekorationswänden die Fugen dieser Quader.
  Doch der Blick wurde nach oben gesogen. Dort befand sich eine massiv und stabil wirkende Deckenkonstruktion. Starke, scheinbar freitragende, balkenförmige Elemente bildeten einen quadratischen Rahmen, der von vier Balken, gleichen Querschnitts, zu allen Seiten hin gehalten wurde. Rechts und links gestützt von ebensolchen Säulen, wurde dieser Rahmen in der Schwebe gehalten.
  Darüber erkannte man gerade noch den Boden eines Objektes, das allseitig mit Hieroglyphen behauen schien. Während der gesamten Aufführung spielte dieser schwebende Quadratwürfel eine tragende Rolle und vermittelte Stimmungen. Doch still! Mario Zhang, als Radames, singt seine Arie. Die kraftvolle Tenorstimme füllt den Zuschauerraum und entrückt alle in die ägyptische Welt der Pharaonen, Sklaven und Krieger.
  Dass die versprochenen Übertittel während dieser ersten Arie nicht erschienen, hat wohl niemanden wirklich gestört. Umso besser konnte man sich auf die Stimme, Gestik und Mimik des Helden konzentrieren.
  Inzwischen waren bereits einige Arien gesungen und nach zwei, drei davon gab es einen musikalischen Schlusspunkt. Doch aus irgendeinem Grund hatte dies noch niemand genutzt, um mittels Szenenapplaus, seine Begeisterung von den hervorragenden Stimmen zum Ausdruck zu bringen. Neben mir saßen zwei Männer, bei denen ich bereits von der ersten derartigen Gelegenheit an, bemerkte, dass sie zum applaudieren ansetzten. Nun, nach einem weiteren, wunderschön vorgetragenen Duett, zwischen Radames und Aida (Svetlana Katchour), reichte es ihnen wohl. Sie begannen beide, wohl auf stille Absprache, wild zu klatschen! Das erreichte auch augenblicklich seinen Zweck. Nicht nur ich, der ich ebenfalls schon seit geraumer Zeit darauf gewartet hatte, den Akteuren zu zeigen, wie sehr mir ihr Gesang gefiel, auch die meisten anderen Zuschauer fielen in diesen Beifall ein.
  Von nun an war das Eis gebrochen und der Dirigent musste die in der Partitur vorgesehenen Pausen von Zeit zu Zeit etwas verlängern, weil der Szenenapplaus jetzt so einsetzte, wie ich dies vom Chemnitzer Publikum gewohnt bin.
  Doch, um noch einmal zu diesem Würfel an der Decke zurück zu kommen. Ich schätze ihn auf zweieinhalb Meter im Kubik. Er erinnert mich, im Rückblick, an die Raumschiffe der Borg, aus den Filmen der Startreck – Serie. Lautlos hob und senkte er sich und bewegte sich nahezu während der gesamten Aufführung, je nach Situation, in der Vertikalen. Diese beständige Gegenwart und Dominanz gab ihm eine Ausstrahlung von Macht und Beherrschung. Anfangs sank er fast unmerklich durch diese Deckenquadrat aus Balken herab, bis auf die Bühnenbretter. Wie schon erwähnt war er bedeckt mit Hieroglyphen. Als jemand, den Schriftzeichen faszinieren, fiel mir dabei sofort auf, dass diese, auf der, dem Publikum zugewandten Seite, spiegelsymmetrisch angeordnet waren. Sehr schnell wurde auch der Grund dafür deutlich. Denn diese Seite war als doppelseitige Schiebetür ausgelegt.   Als sie sich, wie von Geisterhand öffnete, erschien dahinter, innerhalb des Kubus, Ramphis (Kouta Räsänen) der Oberpriester.
  Besonders deutlich wurde die Rolle des schwebenden Würfels, bei der Szene, in der es darum ging, dass die Ägypter gegen den äthiopischen König auszogen. Dabei überzog zuerst ein marmoriertes Rot den Kubus und tauchte auch die dahinter liegende Wand in rötliche Schwangerschaftsstreifen. Auf dem Höhepunkt dieses Geschehens wechselte die Beleuchtung schlagartig in ein leuchtendes, blendendes Blutrot – Krieg, Mord, Gewalt, Tod und Sterben darstellend.
  Als die ägyptischen Truppen siegreich nach Hause zurückkehrten, gab es einen erneuten Höhepunkt für die Machtstellung dieses Symbols. Auf der Bühne hatte sich, am Rande der Handlung, eine Tribüne gebildet. Darauf erwarteten nun der Pharao, mitsamt den Priestern die Heimkehrer. Der Würfel hängt dabei, drohend und die Szene beherrschend, leicht erhöht über den Köpfen aller, hinter dieser Tribüne. Ein Sinnbild der Macht, die hinter allem und über allen steht!
  Bevor ich zum letzten bedeutungsträchtigen Einsatz dieses Objektes komme, möchte ich noch einen Gedanken über die Kostüme äußern. Ich empfand sie, zu diesem Rahmen, den ägyptischen Hof, ausgesprochen passend. In ihrer Farbigkeit, dem Aufleuchten im Licht der Scheinwerfer, hoben sie die sie tragenden Darsteller in ihrer Rolle empor, zu Lichtgestalten. Ganz besonders die Priester, mit ihren ausnahmslos weißen Roben, machten ihrem Stand, zumindest auf optischer Ebene, alle Ehre. Theatralisch überbetont waren ihre Kopfbedeckungen. Doch als dann der Pharao auftrat, mit seinen machtüberbetonenden, breiten Schulter, neigte ich mich zu meiner Frau und flüsterte ihr zu: „Mords Hut dieser König!“ Nun ja, wer trägt schon alle Tage einen Obelisken auf seinem Kopf spazieren?
  Bei den handelnden Personen stechen natürlich die drei Hauptfiguren hervor. Radames, der in die äthiopische Sklavin Aida abgrundtief verliebt ist. Aida, die eine ebensolche Liebe zu ihm auslebt. Und Amneris, die Tochter des Pharao, des Königs von Ägypten, die ebenfalls Radames liebt. Der klassische Dreieckskonflikt!
  Radames bleibt mir als Mensch grundlegend unsympathisch. Allerdings liegt das vorrangig an seiner Einstellung und seinen Handlungen, die er von seinem Umfeld aufdiktiert bekommt. Wie ist es anders zu erklären, dass er als Anführer der Heere Ägyptens gegen das Volk seiner Geliebten Aida kämpft und es unbedingt besiegen will. Nur, um mit dieser Siegesmeldung seinem Pharao gegenübertreten zu können und um die Hand Aidas anzuhalten? Doch Verdi hatte nicht vor, das alles so geradlinig enden zu lassen.
  Aida selbst ist der Innbegriff von einer liebenden Frau. Sie tut alles, um an das gemeinsame Ziel, ihren Radames zu heiraten, zu gelangen. Dabei spürt man die Zerrissenheit ihrer Person, wenn es darum geht, dass ihr Geliebter gegen ihr eigenes, ebenso geliebtes Volk vorgeht…
  Amneris schließlich veränderte sich, nachdem sie sich ihrer Liebe deutlich bewusst wurde. Zuerst spürt sie, dass das Objekt ihrer Begierde, zu einer anderen Person Zuneigung hat. Diesem Gefühl geht sie nach. Es verwandelt sich in Eifersucht und schließlich, als ihr klar wird, mit welcher Gegenspielerin sie es zu tun hat, in Wut und Hass. Sie versucht alles, um die beiden Liebenden auseinander zu bringen. Was ihr aber nicht gelingt.
  Schließlich kommt es dazu, dass Radames, von ihm selbst unbeabsichtigt, zum Verräter wird. Die Schlinge zieht sich zu und der Oberpriester Ramphis zeigt, wozu Religion schon zu allen Zeiten missbraucht wurde. In einer Befragung geht es darum, ob Radames seine Schuld eingesteht. Doch er schweigt. Eine bewegende Szene – die Stimme des Oberpriesters fragt im tiefen, durch Mark und Bein gehenden Bass: „Radames bist du des Verrates schuldig? – Rechtfertige dich.“ Doch keine Antwort folgt. Daraufhin ertönt der Chor der Priester: „Verräter!“  Dieser Wechsel von Fragen des Oberpriesters, dem Schweigen Radames und der Reaktion der Priester ist für mich eine unauslöschliche Erinnerung.
  Dann die Schlussszene. Das Urteil ist gesprochen. Radames wird lebendig begraben und der Altarstein, wiederum der ominöse Würfel, verschließt sein Gefängnis. Da erkennt er, dass er nicht allein in seiner Todesstunde ist. Seine geliebte Aida ist bereits in dieser Gruft und wird freiwillig mit ihm in den Tod gehen. Ein letztes, bewegendes Duett. Ein letzter Auftritt des Kubus, der sich langsam, sehr langsam, aber dadurch auch genauso unbarmherzig, auf die beiden Liebenden, im Tode Vereinten, herab senkt…
  Zugegeben, Opernschauspieler bekommen Geld für das, was sie auf der Bühne zeigen. Doch der wahre Lohn eines jeden wirklichen Schauspielers ist doch, wenn den Zuschauern, zu denen ich an diesem Abend gehören durfte, die Hände schmerzen, weil sie ihre ganze Begeisterung in den Schlussapplaus gelegt haben. Und genau das hatten an diesem Abend wohl alle, die diese Aufführung erleben durften von Herzen gern getan!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.11.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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