Horst Lux

Einladung zum Gastmahl



»Kommen Sie doch in meine hübsche Wohnung, treten Sie ein. Man kann sich hier richtig wohl fühlen,« sagte die Spinne zur kleinen Fliege, die es sich an der Scheibe eines Fensters bequem gemacht hatte. 
»Bei mir ist es sehr gemütlich. Ich habe mir auch noch eine kleine Wendeltreppe eingebaut, die führt zu meinem Speisezimmer. Dort warten eine Menge Überraschungen auf meine Gäste.«
Die kleine Fliege hörte aufmerksam zu, was die Spinne ihr erzählte.
»Wie wäre es ? Keine Lust auf eine Stippvisite?«
Die kleine Fliege schüttelte ihren Kopf. 
»Oh nein«, sagte sie dann, »wer diese Wendeltreppe hinaufgeht, kommt niemals wieder zurück, habe ich gehört.«
»Aber nicht doch, liebe Fliege«, sagte die Spinne, »ich weiß nicht, wer Ihnen so einen Blödsinn erzählt hat.«
Sie schlug ärgerlich mit dem rechten Vorderbein in die Luft. 
»Sie müssen doch müde sein. Den ganzen Tag so umherfliegen, ohne sich richtig ausruhen zu können. Ich stelle mir das schrecklich vor.«
Die Fliege zuckte ein wenig mit den transparenten Flügeln. Natürlich war sie müde. Und natürlich würde sie sich auch gern ausruhen.
Die Spinne spürte die Unsicherheit der kleinen Fliege. 
»Sie dürfen sich gern ein wenig auf meinem Bettchen ausruhen. Ich werde die Vorhänge zuziehen, damit Sie auch Ruhe haben. Die Wände meines Schlafzimmers sind aus purer Seide. Sie werden sehen, es wird Ihnen bestimmt gefallen.«
Die Fliege empfand plötzlich ihre Müdigkeit in allen Flügelspitzen, die einschmeichelnden Worte der Spinne waren nicht ohne Wirkung geblieben.
Dann schüttelte sie sich kurz, putzte sich ihre Beinchen und sagte dann abwehrend: »Ich glaube nicht, dass dies gut für mich wäre. Ich habe gehört, dass jeder, der auf Ihrem Bett geschlafen hat, nie mehr aufgewacht ist!«
»Ach, liebe Freundin«, sagte die Spinne freundlich und sanft, »was kann ich tun, um Ihr Misstrauen zu zerstreuen? Schauen Sie, ich empfinde eine warme Zuneigung zu Ihnen. Wie schön sind doch Ihre zarten Flügel, Ihre brillanten Augen schimmern in allen Farben des Regenbogens. Haben Sie sich schon mal in einem Spiegel betrachtet?«
»Nein,« sagte die kleine Fliege, »höchstens einmal in dem Wasserspiegel des kleines Bachs. Aber der ist so unruhig.«
»Ja, ja! Ich kenne das sehr gut. Aber ich habe einen hübschen Spiegel in meinem Schlafzimmer. Darin können Sie Ihren wunderschönen rassigen Körper betrachten. Alle Einzelheiten sind dort erkennbar. Sie werden selber sehen, wie schön Sie sind.«
»Nein, nein!« Die Fliege wehrte bescheiden ab, »Sie schmeicheln mir sehr, und ich glaube auch nicht, dass Sie es wirklich so meinen, wie Sie es sagen.«
»Ach Sie sind so ein süsses Geschöpf. Sie sind so klug und noch witzig dazu. Ich bewundere Sie wirklich sehr. Aber Sie müssen selber entscheiden, was Sie tun.«
Die Spinne nickte ihrem Gegenüber noch freundlich zu und meinte dann:« Einen guten Flug wünsche ich Ihnen noch. Und immer daran denken: Hier bei mir ist immer ein Platz der Ruhe!«
Die kleine Fliege winkte noch einmal ganz artig, sagte noch ein paar Abschiedsworte und flog dann davon, nicht ohne noch einmal die Wohnung der Spinne voller Entzücken zu betrachten. 
Die Spinne schaute noch rechts und links herum, nach oben und unten, spann noch ein besonders dünnes Netzchen in einer Ecke ihrer Wohnung und lächelte verschmitzt vor sich hin. Dann sang sie ein kleines Liedchen, dass sie immer vor den Mahlzeiten sang, aber es war nur für sie hörbar, so dass kein Anderer es wahrnehmen konnte:
»Komm zu mir, mein kleines Fliegelein.
Grün und lila sind deine Äugelein,
Wie Perlen und Silber sind deine Flügelein.
Komm zu mir, dann bist du bald mein!«

Die Spinne kannte die Fliegen und sie wusste, dass sie solchen Schmeicheleien nicht widerstehen konnten. Dazu waren diese zu eitel, um nicht darauf hereinzufallen.
Und siehe da - schon schwirrte die kleine dumme Fliege wieder vor dem Haus der Spinne umher, stieg und sank vor dem Eingang herum und betrachtete immer wieder das kunstvolle Gespinst, dass die Spinne als Vorhang gesponnen hatte.
Ihre Flügel summten mit einem hellen Ton, es klang wie eine herrliche Musik für die Spinne. Und die dachte dabei nur an die glänzenden Augen der Fliege und an die grünsilbrigen Farben dieses Geschöpfs!

Und dann geschah es: Die kleine Fliege blieb mit einer Spitze ihres filigranen Flügels am Seidenvorhang der Spinne hängen, sie zappelte und strampelte und verhedderte sich dabei immer mehr in dieses feine Gespinst. Und dann kam auch plötzlich die Spinne aus ihrer Wohnung heraus, packte die kleine Fliege, umwickelte sie mit ein paar Seidenfäden und trug sie dann eilig die Wendeltreppe hinauf.
»Ich wusste doch, dass Sie mich noch besuchen würden, liebe Fliege,« sagte die listige Spinne dann, »der Tisch in meinem Speisezimmer ist schon gedeckt«. 
Die kleine Fliege aber wurde niemals wieder gesehen.

Gibt es eine Moral von dieser Geschichte?
Ganz sicher ...

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 31.08.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Es wurde sehr viel geschrieben über jene Jahre der unseligen Diktatur eines wahnwitzigen Politikers, der glaubte, den Menschen das Heil zu bringen. Das meiste davon beschreibt diese Zeit aus zweiter Hand! Ich war dabei, ungeschminkt und nicht vorher »gecasted«. Es ist ein Lebensabschnitt eines grünen Jahzehnts aus zeitlicher Entfernung gesehen, ein kritischer Rückblick, naturgemäß nicht immer objektiv. Dabei gab es Begegnungen mit Menschen, die mein Leben beeinflussten, positiv wie auch negativ. All das zusammen ist ein Konglomerat von Gefühlen, die mein frühes Jugendleben ausmachten. Ich will versuchen, diese Erlebnisse in verschiedenen Episoden wiederzugeben.

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