Manfred Bieschke-Behm

Mama Langohr oder eine Hasenmutter hat viel zu erzählen


 

„Mir ist es unangenehm über mich zu sprechen“, erklärt Mama Langohr. „Aber wenn ich nun mal gefragt werde, werde ich auch antworten: Ich will mich nicht beklagen. Ich habe fünf Kinder, einen fleißigen Mann und eine Schweigemutter, die bei uns im Haus lebt. Manchmal wächst mir die Arbeit bis weit über beide Ohren. In solchen Momenten finde ich es gut, dass meine Schwiegermutter bei uns wohnt. Sie hilft mir bei der Arbeit, soweit es ihr möglich und sie dazu bereit ist. Manchmal wünschte ich allerdings, dass Emma, meine Schwiegermutter, nicht in unserem Hause wohnen würde. Das sind die Momente, wo Oma ein Glas Eierlikör zu viel trinkt und sich anschließend, wie ein Teenager benimmt und nicht wie einen Häsin mit fünfundsiebzig Jahren. Ich erinnere mich an einen Tag an dem Oma Langohr sich – wie so oft - in ihre Malecke zurückgezogen hatte und merkwürdige Geräusche von sich gab. Natürlich war ich neugierig und ging zu ihr. Was ich sah, wollte ich nicht glauben: Vor mir saß meine Schwiegermutter bunt beschmiert mit allen Farben ihres Tuschkastens und auf der Leinwand war nur eine einziger großer auseinanderlaufender gelber Klecks. Oma hatte versucht der Leinwand Eierlikör einzuflößen, und aus sich ein Gemälde zu machen. Ja, das ist auch meine Schwiegermutter!

Aber jetzt genug von Emma. Jetzt ein paar Worte zu meinem Mann Ernst-August. Er ist ein ganzer Fleißiger. Täglich sorgt er dafür, dass wir immer genügend zu essen haben und im Winter für eine warme Stube. Mein Mann behauptet, dass fünf Kinder genug sind. Vielleicht ist das ein Grund, weshalb er gelegentlich nachts wegbleibt.

Wie schon erwähnt habe ich fünf Kinder. Sie könnten unterschiedlicher nicht sein. Das ist zunächst Rosina. Rosina, die sich in den Kopf gesetzt hat Opernsängerin zu werden. Bis heute hat es in der Familie niemand geschafft, ihr diesen Irrsinn auszureden. Auf die Frage: „Kannst du dir eine Häsin auf der Bühne der Scala vorstellen die die Carmen singt?“, kam die Antwort: „Selbstverständlich kann ich mir das vorstellen. Warum auch nicht? Es haben doch schon ganz andere Tiere auf einer Bühne gestanden.“ Schlimm ist es für die gesamte Familie, wenn Rosina ihre Stimme und damit unsere Nerven strapaziert. Es gibt gar nicht genug Heu, dass wir uns in die Ohren stopfen, um das Unmögliche aushalten zu können.

Ottokar, mit 17 ein Jahr jünger als Rosina, ist gerade bis über beide Ohren verliebt. Seiner Auserwählten möchte er ein selbst gedichtetes Gedicht vortragen und hat für seine bisher gescheiterten Ergüsse schon Berge von Papier verschwendet. Auf jedem Blatt Papier stehen selten mehr als zwei Sätze, die allesamt kaum in der Lage sein dürften, das Herz seiner Angebeteten zu erweichen. Aber mein Sohn Ottokar gibt nicht auf. Gestern saß die ganze Familie am Tisch und löffelte Möhrensuppe. Das Teller- und Löffelgeklapper wurde jäh unterbrochen durch die Frage von Felix, der Besserwisser und Großkotz der Familie: „Sag mal Ottokar, hast du deine Freundin schon mal geküsst? Ich meine so richtig geküsst mit allem Drum und Dran?“ Bis auf Oma Langohr, die schwer hört, ließen alle Familienmitglieder ihre Löffel fallen. Die Ohren von Ottokar färbten sich von einer Sekunde zur anderen so rot wie die Möhrensuppe. Keiner wagte, etwas zu sagen. Alle starrten auf ihre mit Möhrensuppe gefüllten Teller. Nur Felix schaute belustigt um sich. Wieder einmal war es ihm gelungen, die gesamte Familie stumm zu schalten. Nur Oma Langohr verhielt sich anders. Sie ließ sich beim Suppe löffeln nicht stören. Schmatzend schob sie einen Löffel nach dem anderen in den Mund und freute sich ihres Lebens. Mein Mann war, der die Situation rettete, in dem er sagte: „Ich in seinem Alter hatte auch noch keine Erfahrung mit Häsinnen. Eure Mutter zum Beispiel wollte ich ...“. Weiter ließ ich meinen Mann nicht reden. Ich ahnte, was kommen würde. Er würde zum x-Mal erzählen wo und wann wir uns kennengelernt haben und wie unerfahren wir uns bei der ersten Begegnung verhalten haben. Alles alte Geschichten die mein Mann immer wieder gerne hervorkramt obwohl sie keiner mehr hören will. Mit der Frage „Kann ich noch etwas von der Möhrensuppe haben“ unterbrach meine Schwiegermutter das allgemeine Schweigen und entließ Ottokar aus seiner Peinlichkeit. Emil hatte die ganze Zeit zunächst zu Ottokar hinüber geschaut dann wieder zu seinem Bruder Felix, dann wieder zu Ottokar. Emil verstand die Welt nicht. Später hatte mich Emil gefragt; „Was heißt, richtig küssen Mama?’ Kann man auch falsch küssen? Und weshalb hatte mein Bruder rote Ohren bekommen?“ „Pass mal auf mein Kleiner“, antworte ich, „es gibt kein richtiges und kein falsches Küssen. Jeder Kuss ist ein richtiger Kuss. Und rote Ohren kann man bekommen, wenn zum Beispiel eine Suppe zu heiß gegessen wird.“ Emil gab sich mit den Antworten zufrieden und hoppelte nach draußen. Dort hält er sich am liebsten auf. Er hoppelt über die Wiesen, spricht mit den Blumen, versucht Schmetterlinge zu fangen, probiert es den Vögeln nachzumachen, nämlich zu fliege, fällt dabei auf die Nase, steht wieder auf und hoppelt frohen Mutes weiter, soweit seine Pfoten ihn tragen .Emil ist unser Tagträumer. Ganz das Gegenteil von Julius. Er ist unser Aufschreiber. Er konnte bevor er Ostereier anmalen konnte bereits schreiben. Er ist es, der alles aufschreibt, was in unserer Familie passiert. Auch das, was ihr gerade von mir gehört habt, hat Julius aufgeschrieben. Zum Schluss möchte ich noch sagen, das jeder in meiner Familie einzigartig ist. Ich möchte niemanden missen. Wir sind halt eine ganz normale Familie. Über dem Herd hängt ein gestickter Spruch der lautet: Hasen sind auch nur Menschen. Und das stimmt!“

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