Manfred Bieschke-Behm

Eine Hasengeschichte - Tochter Rosina Langohr

Nachdem sich Mama Langohr (eine Hasenmutter hat viel zu erzählen) vorgestellt hat, berichtet jetzt die Tochter Rosina aus ihrem bewegten Leser

In der Rossini-Oper "Der Barbier von Sevilla" gibt es die Figur Rosina, die bildschön ist und die weiß, wie man sich behauptet. Genauso empfinde ich mich. Eigentlich heiße ich Roswitha. Der Name ist auch ganz schön aber Rosina gefällt mir besser und deshalb lasse ich mich Rosina nennen. Obwohl meine Familie davon überzeugt ist, dass ich niemals auf einer Opernbühne stehen werde, lass ich mir meinen Traum nicht zerstören.

Ja, ich bin eitel. Warum auch nicht? Bei jeder sich bietenden Gelegenheit betrachte ich mich. Selbst Regenpfützen dienen mir als Spiegel, wenngleich diese oft ein verzehrtes Bild von mir zeigen. Meine Brüder behaupten, dass ich mich gelegentlich arrogant und überheblich benehme. Mein Bruder Ottokar behautet, ich würde stolz wie ein Pfau mit geschwellter Brust durch die Gegend laufen und meine Nase zu weit nach oben tragen. Dazu sage ich nur: „Wer kann, der kann.“

Vor ein paar Wochen stand ich mit Klara, einer Freundin aus dem Nachbarbau vor unserm Haus zusammen und unterhielten uns. Wir sprachen über dies und über das, von und über junge Hasen und natürlich über meine Brüder, die mir manchmal mächtig auf den Keks gehen. Ich erzählte Klara, dass ich zwar immer so tue, als würde es mir nichts ausmachen, wenn meine Brüder mich anmachen, aber, dass das so nicht stimmt. „Die sind doch nicht ganz dicht“, tröstete mich Klara, die sah, dass mir das Blut in den Kopf schoss. „Nur weil du eine Schwäche, für alles was rot ist, hast, haben deine Brüder doch nicht das Recht dich anzumachen.“

„Rot ist nun einmal meine Lieblingsfarbe. Rot steht für Leidenschaft und Liebe“, verteidigte ich mich. „ Rot ist die Farbe des Feuers und des Blutes. Rot symbolisiert Lebensfreude, Energie und Kraft. Ja, das alles verbinde ich mit Rot“, erklärte ich Klara, die im Takt meiner Stimme zustimmend mit ihrem Kopf nickte. „Und das alles trage ich in mir!“, fügte ich noch dazu und erreichte, dass Klara noch intensiver mit dem Kopf nickte. Ich merkte, dass ich mich in Rage geredet hatte und fing an mich wie ein Brummkreisel im Kreise zu drehen. Beinahe hätte ich die Balance verloren und wäre gefallen. Clara fing mich rechtzeitig auf und sagte: „Beruhige dich wieder. Bleibe so, wie du bist, und lass dich von deinen Brüdern nicht provozieren.“ Das, was mir meine Freundin sagte, tat mir gut, wenngleich ich mir nicht ganz sicher war, ob Clara die Wahrheit sagte.

Gelegentlich hopple ich nach "Hasenstadt" zum Shoppen. Natürlich ziehe ich für diesen Anlass nur Klamotten an. Meine Brüder rufen mir dann immer hinterher: "Seht nur Rosina besucht als Feuermelder verkleidet die Stadt!" Dabei lachen sie sich krumm und schief und versuchen meine zugegebene weniger elegante Gangart zu imitieren. Ich versuche den Angriff zu ignorieren und ziehe mit erhobenem Haupt an ihnen vorbei. ‚Die sind nur neidisch’, denke ich und bewege bewusst mein aufgestyltes Schwänzchen hin und her.

Neulich, die Familie saß fast vollständig gemütlich am Kaffeetisch und aß Möhrentorte, da meldete ich mich mit ausdruckstarkem Gesicht zu Wort: „Ich gehe zwar davon aus, dass das mit der Opernsängerin was wird – aber man weiß ja nie – gibt es einen Plan B: Ich werde Kanzlerin von ganz Hasenland.“ Das war eine Ansage! Allen am Tisch blieb der Kuchen im Halse stecken. Mit weit aufgerissenen Augen schauten sie mich an und schienen zu warten mehr von mir zu hören. „Ja, ihr habt richtig gehört. Ich will Kanzlerin werden! Ich habe auch schon ganz klare Vorstellungen für meine Amtsführung. Zunächst wird es eine Landesfahne ganz in Purpurrot geben deren Mitte eine Möhre ziert. Dann müssen alle Minister und Ministerinnen, genau wie ich, rote Kleidung tragen. Alle Häuser bekommen feuerrote Dächer und die Sonne darf nur noch rot und nicht mehr gelb scheinen. Überall im Land werden Spiegel aufgehängt, damit ich mich vieltausendmal betrachten und bewundern kann wenn ich durch Städte und Dörfer laufe. Bin ich erst Kanzlerin, werde ich euch meine Brüder zwingen, rote Schuhe zu tragen, obwohl ich weiß, dass ihr rote Schuhe nicht ausstehen könnt.“ Das war offensichtlich zu viel des Guten. Meine Brüder ließen empört die Kuchengabeln fallen und klagten im Chor. „Wir und rote Schuhe? Trügen wir rote Schuhe, würde man uns für verkleidete rotfüßige Hühner halten. Das geht gar nicht.“ Ich weiß, dass Hühner die Feinde der Familie sind. Warum das so ist, wollt ihr wissen? Ich werde es euch erklären: Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass es die Hühner sind, die bunte Ostereier legen und wir Hasen sie nur verteilen. Jedes Kind weiß, das dass Quatsch ist! Aber egal. Tatsache ist, dass ich es geschafft hatte, das gemütliche Beisammensein abrupt zu beenden. Wäre Oma Emma dabei gewesen, hätte sie sich möglicherweise als Verteidigungsministerin oder offizielle Verwalterin für Eierlikör und sonstige Genussmittel zur Verfügung gestellt und das Chaos am Tisch wäre vollkommen. Nachdem sich die Gemüter ein wenig beruhigt hatten, verließen alle fluchtartig den Raum. Nun saß ich allein am Tisch und starrte auf die nur zur Hälfte aufgegessene Möhrentorte. Ich überlegte kurz was ich mache. Studiere ich eine neue Opernarie ein, bereite ich mich auf mein Kanzlerinnsein vor oder esse ich ein weiteres Stück Möhrentorte? Ich entschied mich für das Letztere.

Wenn ich ehrlich bin, verstehe ich meine Geschwister nicht. Sie sollten froh sein, eine so schöne, eine so intelligente, eine an so vielem interessierte Schwester zu haben. Wenn die so weiter machen, wird sie eines Tages der Neid auffressen. Und dann?

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