Heinz-Walter Hoetter

Die wunderbare Auferstehung des Admirals Jack Freebee

Admiral Jack Freebee befand sich in einem hell erleuchteten Raum und starrte mit weit geöffneten, seelenlosen Augen aus einem offenen Glaskasten zur Zimmerdecke hinauf. Überall hingen elektrische Kabel herum und kleine dünne Schläuche baumelten von oben herunter. Im Hintergrund surrten und klickten gedämpft und leise, fast geräuschlos, irgendwelche geheimnisvoll aussehende Apparaturen vor sich hin. Er konnte sie nicht sehen, nur hören. Ansonsten war es still in dem Zimmer, man hätte eine Stecknadel fallen hören können.

Der Mann, oder was von ihm übrig geblieben war, lauschte angestrengt in die Ruhe hinein und wunderte sich darüber, wo er lag. Irgendwie war er in eine gefühllose Gleichgültigkeit getaucht, die ihn auf beängstigende Weise lähmte.

Er wollte sich wenigstens etwas bewegen und nicht einfach still und stumm wie eine erstarrte Leiche herum liegen.

Er versuchte mit aller Kraft, sich abwechselnd mal auf die linke oder rechte Seite zu drehen. Doch es schien ihm einfach nicht möglich zu sein, weil weder Arme noch Beine sein Tun und Wollen mitmachten. Resigniert gab er schließlich jeden weiteren Versuch auf.

Er dachte darüber nach, was mit ihm geschehen war und versuchte sich zu erinnern. Aber da war nichts, außer einer beängstigenden Leere in seinem halb bewusstlosen Gehirn, das nur mit sich selbst beschäftigt und in einer grenzenlosen Einsamkeit gefangen war.

Schließlich wanderten seine müden Augen, so gut es ging, im Raum herum, ohne allerdings den Kopf dabei bewegen zu können, der sowieso auf keinen von ihm innerlich veranlassten Bewegungswillen reagierte. Wie ein kompaktes Paket hatte man seinen Schädel eingepackt und festgezurrt. Sein Zustand war einfach grauenhaft.

Der Atem stockte ihm. Er bekam auf einmal keine Luft mehr. Sein Herz pochte bis zum Hals, obwohl er das eigenartige Gefühl nicht los wurde, dass beides bei ihm nur noch als bloße Illusion vorhanden war.

Wo sind meine Arme, wo meine Beine und Füße? Wo ist mein Körper? Liegt er wirklich unter dieser weißen Decke oder bilde ich mir nur ein, dass er noch da sei?

Jack Freebee wollte mit den Händen danach tasten, aber er konnte seine Arme einfach nicht von der Stelle rühren. Sie waren offenbar gelähmt. Der Schrecken nahm kein Ende.

Ihm wurde plötzlich kalt. Er hatte den entsetzlichen Eindruck, dass diese empfundene Kälte eigentlich nur in seinem Kopf existierte, wie der eingebildete Phantomschmerz eines nicht mehr vorhandenen, abgetrennten Körperteiles.

Seine Lippen formten sich unwillkürlich zu einem heiseren Schrei: „Hilfe..., ist hier jemand? Kann mich jemand hören?“

Doch er war allein..., mutterseelenallein.

Trotzdem gab er nicht auf und rief wie von Sinnen weiter. Als er seine Lippen schon nicht mehr bewegen konnte, weil seine Kräfte nachließen, hörte er auf einmal diese seltsam krächzende Stimme, die offenbar aus einem kleinen Lautsprecher der hinter ihm stehenden Lebenserhaltungsmaschine zu kommen schien.

Fantasierte er nur?

Jemand fragte ihn ohne Umschweife nach seinem Namen.

Sind Sie Admiral Jack Freebee?“

Ja, der bin ich!“ sagte er heiser, aber erleichtert und stellte sofort ein paar Fragen: „Wer ist da? Wo bin ich? Was ist mit mir geschehen?“

Nicht so wichtig!“

Nicht wichtig? Warum?“ wollte Jack Freebee wissen.

Du bist tot“, plärrte die unbekannte Stimme.

Der Mann erschreckte.

Das kann nicht sein. Das ist unmöglich. Wie kann ich tot sein und gleichzeitig eine Stimme hören?“ stammelte er vor sich hin.

Die Stimme blieb still und sagte eine Weile nichts. Dann legte sie plötzlich wieder los.

Narr, warum sollte ich dich anlügen? Du bist tot! Zumindest mehr tot als lebendig. Nimm diese Tatsache einfach zur Kenntnis! Eigentlich lebt nur noch dein Kopf. Alles andere ist weg. Du bist ein Kopf ohne Körper.“

Die unbekannte Stimme verwandelte sich zunehmend in ein echoartiges Gelächter, das jedoch nach einer Weile abrupt endete.

Jack Freebee musste sich dazu zwingen, ruhig zu bleiben und dachte verzweifelt darüber nach, dass es ihm völlig egal sein konnte, was er da hörte. Die Stimme ist böse, sie lügt mich bestimmt an und will mich nur ärgern, waren seine erzürnten Gedanken, die er zu unterdrücken versuchte.

Trotzdem stieg eine leichte Panik in ihm hoch. Schweißperlen liefen über seine Stirn.

Ich träume das doch alles nur hier, tröstete sich Jack Freebee selbst. In solchen Nachtmahren kann alles wie echt und lebendig wirken. Immer wieder wurde er in letzter Zeit nämlich von solchen plastisch wirkenden Alpträumen heimgesucht, die ihn quälten und in Angst und Schrecken versetzten.

Doch auf einmal war er sich nicht mehr ganz so sicher, ob das, was er hier erlebte, die pure Wirklichkeit oder nur ein böser, schrecklicher Alptraum war. Wirklichkeit oder Nachtmahr: beides erschien ihm in seiner augenblicklichen Situation mehr als nur bedrohlich.

Jack Freebee resümierte. Die Wahrheit und die Realität der Wirklichkeit erschienen ihm wie eine rettende Göttin aus den Fängen diese teuflischen Horrors.

Er lag in einem frischen Bett, das in einem hell erleuchteten Zimmer stand. Sein Kopf steckte zwar in einer metallischen Konstruktion und wurde durch eine Anzahl blanker Schrauben fest arretiert, aber er lebte und war vor allem bei Bewusstsein. Nur das zählte im Augenblick.

Zudem war er umgeben von irgendwelchen Apparaturen, die ihn offensichtlich künstlich am Leben hielten. Das war nicht weiter schlimm. Deshalb kam ihm der schlichte Gedanke: entweder hatte er einen schweren Unfall gehabt oder war aus anderen, ihm nicht näher bekannten Gründen wegen seiner Verletzungen in ein Krankenhaus eingeliefert worden. Erinnern konnte er sich allerdings an rein gar nichts mehr, als hätte man sein Gedächtnis gelöscht. Was war passiert? Was war bloß mit ihm geschehen? Nein, er wusste es selbst nicht.

Und da war diese Stimme aus dem Lautsprecher. Sicher, er konnte nicht eindeutig sagen, ob sie real oder nur eine Einbildung von ihm gewesen war. Aber sie hat immerhin mit ihm geredet, was ihn zu der Annahme verführte, dass sich möglicherweise irgendein lebendiges Wesen ganz in seiner Nähe aufhalten musste, ja, ihn vielleicht sogar beobachtete, um über seinen momentanen Gesundheitszustand zu wachen.

Plötzlich wurde Jack Freebee abscheulich schläfrig, als hätte man ihm ein starkes Schlafmittel verabreicht.

Er wollte aber unter allen Umständen wach bleiben und kämpfte tapfer gegen die fortschreitende Müdigkeit an. Immer wieder riss er sich mit aller Gewalt zusammen, versuchte verzweifelt seine trägen Auge offen zu halten und redete unaufhörlich vor sich hin. Aber am Ende der aussichtslosen Prozedur war der Schlaf stärker und seine Augen fielen ihm zu, als hätte man an ihren Lidern kleine Bleigewichte gehängt.


***

Wieder veränderte sich das Bild. Entstand eine neue Vision? Er war sich nicht sicher.

Admiral Freebee schwamm in einer grüngelben Flüssigkeit. Zuerst war nur Dunkelheit um ihn herum. Nach einer Weile wurde es langsam heller.

Ich hatte einen Alptraum, war sein erster Gedanke, als er wieder klar bei Verstand war. Er schnappte nach Luft wie ein halb erstickter Fisch im seichten Wasser.

Dann sprang er aus dem Bett, aber gleichzeitig packte ihn eine grässliche Angst, dass Beine und Arme den Dienst versagten. Er stand eine Weile lang so da ohne sich von der Stelle zu rühren, betastete seinen ganzen Körper und sah vorsichtig an ihm herunter. Alles dran, stellte er zufrieden fest. Gott sei Dank! Dann lauschte er – es war still, viel zu still für seinen Geschmack.

Jack Freebee hatte auf einmal den komischen Eindruck, dass sein gesamter Körper zunehmend in einem flüssigen Medium versank. Aber das war natürlich reiner Unsinn, wie er dachte, denn er stand ja neben seinem Bett und betrachtete sich selbst.

Er ging zum Fenster hinüber und wollte es öffnen, um frische Luft ins Zimmer zu lassen. Schwaches Licht drang durch die schmalen Ritzen eines metallenen Rollos. Dahinter, so erschien es ihm für den Bruchteil einer Sekunde, meinte er jemanden gesehen zu haben, der ihm irgendwie bekannt vor kam. Ach was, dachte sich Admiral Freebee, ich muss mich wohl geirrt haben oder einer Halluzination zum Opfer gefallen sein.

Ihm wurde auf einmal schlecht. Jack Freebee hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Langsam schleppte er sich wieder zurück zum Bett, ließ sich kraftlos hineinfallen und blieb der Länge nach einfach so liegen.

Schon bald ging es ihm wieder besser, doch dafür wurde er kurz darauf von einer bleiernen Müdigkeit übermannt, gegen die er machtlos war. Er fiel abermals in einen tiefen Schlaf, der von schrecklichen Alpträumen erfüllt wurde. Was er auch anstellte, er konnte ihnen nicht entrinnen.

Hinter einem trüben, wabernden Nebelschleier tat sich abermals eine neue Welt auf, die er zuvor noch nie gesehen hatte. Waren es verschüttete Erinnerungen seines Unterbewusstseins, die hier zum Ausbruch kamen oder versuchte sein Gehirn nur ein schreckliches Ereignis aus der Vergangenheit zu verarbeiten? Er hatte nicht die geringst Ahnung und ließ alles willenlos über sich ergehen.


***


„Wo bin ich?“ fragte sich Jack Freebee erstaunt. Dann begriff er seine Situation, die nicht besonders gut für ihn war.

Das Schwert senkte sich in einem blitzschnellen Bogen. Die Zeit dehnte sich dabei der Unendlichkeit entgegen. Alles lief wie in Zeitlupe ab.

Admiral Freebee wollte nicht sterben. Er wollte auf gar keinen Fall, dass ihm dieses messerscharfe Schwert den Kopf vom Rumpf trennte. Als die Klinge niederging, fühlte er plötzlich, wie sein Körper kraftvoll und energisch zurückwich.

Im nächsten Augenblick fiel er durch einen lichtlosen Schacht. Irgendwann klatschte er mit seinem Körper gegen kaltes Gestein, und er fand sich breitbeinig sitzend, aber immer noch an den Händen gefesselt, auf dem Boden wieder. Er hatte sich instinktiv von einem seiner Widersacher losgerissen, war auf unbegreiflich wunderbare Weise vom hölzernen Podest heruntergelangt und damit dem absolut tödlichen Schwung des schrecklichen Breitschwertes seines Henkers ausgewichen. Offenbar war er ihm entkommen. Jedenfalls vorläufig, denn von irgendwoher hörte er eine laute Stimme, die schnell näher kam. Anscheinend verfolgte ihn sein Henker, der plötzlich nach einer Weile wieder, wie aus dem Nichts kommend, vor ihm stand.

Vor Angst erstarrt und schwer nach Atem ringend beobachtete Jack Freebee hilflos, wie die blitzende Klinge des Maskenmannes abermals auf ihn niederging und sausend die Luft durchschnitt.

Nein!“ brüllte der Admiral. „Nein, nicht schon wieder!“ Er versuchte mit gefesselten Händen den tödlichen Schlag aufzuhalten.

Doch es war zu spät. Die blanke Klinge des fürchterlichen Schwertes hackte durch seinen wehrlosen Körper und trennte ihm mit einem einzigen gewaltigen Hieb den Kopf vom Leib. Funkensprühend traf die Klinge auf den dahinter liegenden, blanken Felsen und prallte von dem harten Stein klirrend ab.

Ein schrecklich anzusehender Blutschwall ergoss sich wie eine rote Fontäne aus dem davon wirbelnden Kopf, dessen Mund zu einem stummen Schrei weit geöffnet war. Zuckend und zappelnd kippte Jack Freebees kopfloser Körper nach vorne auf den harten Boden, direkt vor die Füße des Henkers, der sich kurz darauf umdrehte und den Ort des Horrors breit grinsend verließ. Er hatte sein mörderisches Geschäft zu Ende gebracht. Das war alles, was er wollte.

Der Alptraum war zu Ende. Oder ging er weiter...?


***

Der Ort veränderte sich abermals. Doch diesmal hatte der Admiral den Eindruck, als säße er in einem kleinen Kino, allerdings ohne weitere Zuschauer. Es gab nur ihn und sonst niemand.

Der Film lief ab.

Das monotone Dröhnen der gigantischen Raketenmotoren der Alexandria hatte sie schon zu lange eingelullt, als dass sie noch etwas anderes wahrnehmen konnten. Fast die ganze Crew war eingenickt und holten sich ihre Entschädigung für das, was hinter ihnen lag.

Nur Kommandant Rick Chromfort fand keine Ruhe. Nachdem er anfänglich auch gegen die Müdigkeit zu kämpfen gehabt hatte, fand er vor lauter innerer Aufregung und intensiven Nachdenkens jetzt keinen Schlaf mehr. Er rechnete abwechselnd sich und dem 1. Offizier Steven Howard die Schuld an ihrem Versagen zu.

Die angeforderte Luftunterstützung war zweifellos richtig und auch hilfreich gewesen; ohne sie wären sie niemals soweit gekommen. Doch sein erster Offizier hätte wissen müssen, dass sie vor Ort viel zu wenige waren, um Admiral Jack Freebees zerschundenen Körper zu retten. Nur sein Kopf war ihnen unversehrt in die Hände gefallen und konnte in Sicherheit gebracht werden.

Andererseits, es wäre seine eigene Pflicht gewesen, Leutnant Steven Harrison zu widersprechen und ihm notfalls das Kommando zu entziehen. Aber das hätte ihn möglicherweise vor ein Kriegsgericht gebracht. Glücklicherweise konnten sie der Übermacht der blutrünstigen Parasiten vorübergehend standhalten und wertvolle Zeit gewinnen, was an sich schon als Heldentat betrachtet werden musste, denn die Parasiten waren ihnen zur Zeit hier draußen am Rande des Universums zwar nicht waffentechnisch, so jedoch zahlenmäßig weit überlegen. Außerdem dürfte der Nachschub an neuen Waffen frühestens erst in einem Monat irdischer Zeitrechnung bei ihnen eintreffen. Bis dahin durfte die verbliebene Munition nach Möglichkeit nur zu reinen Verteidigungszwecken eingesetzt werden.

Wie er es auch drehte und wendete, es wäre mit Sicherheit so oder anders zum Schlimmsten gekommen. Wenn sie aber in ihren Stellungen geblieben wären, hätten sie wohlmöglich alle dran glauben müssen. Durch den rechtzeitigen Rückzug konnte der größte Teil der Crew gerettet werden. Dem Admiral wurden allerdings Kopf und Teile seiner Schulter vom übrigen Körper durch einen Laserstrahl aus der Waffe eines Alien-Parasiten glatt abgetrennt. Die Flucht mit der Alexandria glückte zwar, doch nun befanden sie sich auf der Oberfläche eines zerklüfteten Mondes, der ihnen bis zur Versorgung mit neuen Waffen und neuer Munition vor den insektenartigen Parasiten ausreichend Schutz bot. Hier konnte man das Raumschiff nicht oder nur sehr schwer orten. Alle Bordwaffen des Kampfraumers Alexandria waren auf Verteidigung ausgerichtet und würden jeden anfliegenden Feind sofort vernichten.

Kommandant Rick Chromfort blickte durch die getönte Scheibe der still daliegenden Krankenstation hinüber zum abgetrennten Kopf des Admirals Jack Freebee, den man erst vor wenigen Stunden vorsichtshalber in eine lebenserhaltende Nähr- und Regenerationsflüssigkeit verbracht hatte, um den Reproduktionsprozess seines neuen Körpers zu beschleunigen, der vom abgetrennten Hals her wieder zu wachsen anfing.

Die Augen des Admirals waren jetzt fest geschlossen. Nur ab und zu öffneten sie sich ein wenig und man konnte sehen, dass sie wie wild hin und her zuckten, als würden sie in panischer Angst nach einem rettenden Ausweg suchen, der nicht da war. Diese auffälligen Reaktionen waren als Beweis zu werten, dass das Bewusstsein des Admirals noch einwandfrei funktionierte und offensichtlich keinen Schaden erlitten hatte.

Der Körper- und Zellerneuerungsakkumulator arbeitete mittlerweile auf volle Leistung, aber er brauchte bestimmt noch mehr als drei Monate, bis der gesamte restliche Körper des Admirals vollständig wieder hergestellt sein würde.

Kommandant Rick Chromfort ließ das flache Metallrollo der getönten Scheibe durch den Computer automatisch wieder schließen, schaltete das Licht aus und begab sich in die Offiziersmesse seines mächtigen Kampfraumers, der Alexandria.

Bis zur völligen Wiederherstellung von Admiral Freebees Körper hatte man ihm das Oberkommando über das gewaltige Sternenschiff übertragen, das schon so viele gefährliche Einsätze hinter sich gebracht hatte. Dank seiner festen, stabil konstruierten Außenhülle und eines hervorragend arbeitenden Energieschutzschirmes, war die Alexandria bisher unbeschädigt geblieben.

***

Und wieder kündigte sich ein neuer Traum an. Abermals veränderte sich die Umgebung und der Admiral wähnte sich in einem drehenden Karussell.

Plötzlich verlangsamte es sich und blieb schließlich ganz stehen...

Jack Freebee wurde wach, als sich über ihn etwas bewegte. Verwirrt öffnete er die Augen, die unruhig hin und her zuckten. Dann fiel ihm wieder ein, wo er sich befand. – In einem hell erleuchteten Raum ohne Fenster, dessen einzige Tür jetzt auf einmal weit offen stand. Die ganze Zeit hatte er versucht, aus diesem Zimmer herauszukommen, nie war es ihm gelungen, weil er seine einzelnen Körperglieder aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen heraus nicht bewegen konnte.

Doch nun war es endlich soweit. Er spürte eine wachsende Kraft in sich, verließ das Bett und marschierte auf die Tür zu, die sich jetzt, großzügig einladend eigens für ihn, wie von selbst sperrangelweit geöffnet hatte.

Eilig ging er durch sie hindurch und stand im nächsten Moment hinter einem großen Busch mit grünen, stachelartigen Blättern; wahrscheinlich einer dieser neumodernen Züchtungen der Bewohner von Tranquilizer, die wahre Meister der künstlichen Botanik waren und viel Zeit, Muße und vor allem viel Geld dafür aufbrachten, sich an derartigen Dingen zu erfreuen.

Die beiden Sonnen am Himmel über der schönen Traumstadt standen schon recht hoch am Himmel; er musste wohl bis weit in den Morgen hinein geschlafen haben.

Mit einem kräftigen Sprung ergriff er das obere Ende der Mauer, die sich hinter dem Busch befand und zog sich daran empor. Er achtete nicht eine Sekunde lang auf die verblüfften Mienen der vorbeikommenden Leute, die ihm nachschauten, als er sich auf der anderen Seite wieder hinabließ und den Weg einschlug, der direkt zu einem großen Platz in der Mitte von Tranquilizer-City führte. Dort wartete jemand auf ihn, den er unbedingt treffen musste. Die Begegnung war ein Akt der Vorherbestimmtheit und konnte nicht mehr rückgängig gemacht werden.

Das Orakel war eine uralte Frau, die sich als Herrin aller Träume bezeichnete.

Endlich stand er vor ihr.

Warum bist du hier?“ fragte sie.

Ich habe nach dir gesucht.“

Sie lächelte leicht.

Du bist ein ehrlicher Mensch, der immer daran geglaubt hat, das Richtige und Gute zu tun.“

Ja“, sagte Admiral Jack Freebee. „Aber ich muss wieder ganz von vorne anfangen. Ich habe einen neuen Körper bekommen und mein Geist und meine Seele haben viel gelitten.“

Wie kann man für die Folgen eines vergangenen Lebens verantwortlich gemacht werden, wenn man es nie richtig verstanden hat? Du warst so gut wie tot und lebst nun wieder. Ich bin das Tor zu deiner alten und neuen Welt. Durch mich wirst du dorthin zurückkehren können, wo du deiner Natur nach hingehörst“, sagte das alte Orakel.

Jack Freebee nickte demütig.

Sie musste wohl den Schmerz auf seinem Gesicht gesehen haben. Sie schaute ihn voll Mitleid an.

Nicht alle Wunden der real existierenden Welt heilen. Aber du bist geheilt worden, der du Mensch Jack Freebee bist.“

Er lächelte ihr zu, drückte die uralte Frau aus Dankbarkeit leicht an sich und blickte ihr dabei tief in die Augen.

Fühlst du dich wie im Himmel?“ fragte sie?

Der Admiral lachte sie freundlich an.

Ja!“ rief er laut. „Ich fühle mich wie neu geboren. Ich denke daran“, sagte er zufrieden, „dass das leicht die Hölle für mich hätte werden können, wenn die Regenerierung meines Körpers schief gegangen wäre. Aber jetzt werde ich wieder nach Hause zurückkehren können. Ich werde ein neues Leben anfangen.“

Ich will dich nicht länger aufhalten“, sagte das Orakel mit einem herzlichen Lächeln. Jack Freebee hatte noch nie in seinem ganzen Leben solch ein Lächeln gesehen. Auch sie blickte ihn jetzt direkt in die Augen, als gehöre seine Seele ihr ganz allein. Er hatte den seltsamen Eindruck, als kenne sie ihn besser, als sie sich selbst kannte.

Die Umgebung um ihn herum verschwand plötzlich nach und nach in kleinen Stücken. Die City Tranquilizer löste sich im Nichts auf. Oder war es er, der sich auflöste? Er konnte es im Augenblick nicht sagen. Es war ihm auch egal. Die Dinge waren an sich unbegreiflich und geschahen einfach. Niemand konnte den Fluss der Ereignisse an den Ufern von Raum und Zeit aufhalten.

***

Draußen schien die Sonne am azurblauen Himmel. Die Welt war ein sommerliches Paradies.

Es war heller Nachmittag, als Admiral Jack Freebee aus seinem schier endlosen Todesschlaf erwachte. Das Leben hatte ihn wieder.

Ich gebe die Zeit durch“, sprach plötzlich eine metallisch anmutende Stimme, die von einem Computer hinter ihm stammte.

Es ist der 11. April 5210. Die Sonne scheint und die Tagestemperatur wird heute wohl auf über 25 Grad Celsius ansteigen. Wie wär’s mit einem kleinen Spaziergang am Fluss, Admiral Freebee? Fühlen Sie sich fit?“

Der Admiral nickte und lächelte dabei. Dann sah er endlich seine Crew wieder, die sich mittlerweile um ihn herum in dem weitläufigen Wohnzimmer seiner Villa versammelt hatte.

Mehr als drei Monate lang hatte Kommandant Rick Chromfort darauf gewartet, dass Admiral Jack Freebee zu seinen Leuten zurückkehrt. Und nun war der große Augenblick endlich gekommen, dass er zu ihnen etwas sagte und wieder ganz der Alte sein würde, um danach seinen Platz auf dem Sternenschiff des Kampfraumers Alexandria einzunehmen, der nur ihm gebührte. Er war der alte und neue Admiral und hatte jetzt das Kommando wieder übernommen.

Wenn jemand ins Leben zurückgefunden hatte, der eigentlich schon so gut wie tot gewesen war, rief das stets große Bewunderung bei allen hervor, die dieses Wunder der Neuschöpfung miterlebt hatten.

Aber das Leben musste auch im Jahre 5210 weitergehen.

Admiral Jack Freebee blickte in die Runde und spendete jedem einzelnen seiner Crewmitglieder ein paar nette Worte und ein freundliches, dankbares Lächeln. Dann klirrten die Sektgläser.

Endlich wieder im Leben zurück. Endlich wieder zu Hause, dachte der Admiral so für sich, der seine Auferstehung sichtlich genoss.

Später, als Admiral Jack Freebee eine zeitlang allein und tief in Gedanken versunken auf der Sonnenterrasse seines Hauses stand, erinnerte er sich plötzlich wieder seiner Träume, die er im Zustand der Regeneration erlebt hatte.

Die bohrende Frage kam in ihm hoch, was denn der grundsätzliche Unterschied zwischen diesen Träumen und der augenblicklich erlebten Realität seines jetzigen Seins war? Womit konnte er beweisen, dass diese angebliche Wirklichkeit, die er hier erlebte, kein Traum war (und umgekehrt)?

Irgendwie war dem Admiral komisch zumute. Er trank deshalb sein Glas Gin aus, schüttelte alle zweifelnden Gedanken rigoros ab und wollte zu seiner wartenden Crew zurückkehren.

Als er auf die gläserne Eingangstür der Sonnenterrasse zuging, war ihm auf einmal so, als würde sich in dem abgedunkelten Glas das Gesicht eines alten Mannes spiegeln, der vor einem Computer saß und offenbar an einer Geschichte schrieb. Plötzlich drehte sich der Alte herum, verließ seinen Platz, kam wie ein real gewordenes Spiegelbild auf den verblüfften Admiral zu und drückte ihm einen kleinen Stapel bedrucktes Papier in die Hand. Dann war er von einer Sekunde auf die andere wieder verschwunden.

Admiral Jack Freebee stand wie angewurzelt da und konnte einfach nicht glauben, was er in seinen Händen hielt.

Es handelte sich um eine fantastische Kurzgeschichte, auf dessen erste Seite die auffällige Überschrift zu lesen war:

 

„Die wunderbare Auferstehung des Admirals Jack Freebee.“
 

Auf der letzten Seite stand mit großen Buchstaben geschrieben: ENDE


 


 

(c)Heinz-Walter Hoetter

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Heinz-Walter Hoetter).
Der Beitrag wurde von Heinz-Walter Hoetter auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.05.2018. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

Bild von Heinz-Walter Hoetter

  Heinz-Walter Hoetter als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Urban Story: Japanische Kettengedichte, Haiku-Senryu, Haiku von Heike Gewi



Sprachtechniker Walter Mathois und Verskonstrukteurin Heike Gewi hämmern, klopfen ab, machen Licht in den Ecken des Vergessens, hängen Bilder neuer Momente in unser Bewusstsein, ohne einen Nagel zu verwenden. Auf Meditationsebene nickt Meister Bashô freundlich, Buddha lacht, der Affentempel steht und das Gnu tut verwundert. Doch der Mond schweigt. Sind Sie bereit mit Ihren Sinnen, Zeuge zu sein?

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Fantasy" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Heinz-Walter Hoetter

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Der Parasit von Heinz-Walter Hoetter (Science-Fiction)
Casandra von Silke Schück (Fantasy)
Vom Glück, eine Katze zu haben von Mylène Frischknecht (Gedanken)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen