Volker Walter Robert Buchloh

Der Wunschzettel

Der Wunschzettel

 

von

Volker Buchloh

2015

 

 

Anna kaut auf dem Ende ihres Malstifts herum. Anna wird bald sechs Jahre alt und hatte die Aufgabe von ihrer Mutter bekommen, doch nun aufzuschreiben, was sie sich zu diesem Weihnachtsfest wünschte. Nun, ja. Sie hatte dies schon immer gewollt, sich aber nie getraut. Der Vorschlag ihrer Mutter war der entscheidende Auslöser gewesen, es nun doch zu versuchen.

Die Aufgabe macht ihr zunehmend Spaß, und geht ihr schnell von der Hand. Sie notiert nicht nur einen Faltenrock, einen MP4-Player, verschiedene CDs, Armbanduhr und einen Lenkerschmuck für ihr Fahrrad. Damit das Christkind auch weiß was Anna meint, malt sie den Wunsch auch noch daneben. Aber nun hat sie ein Problem. Deshalb beißt sie in ihren Malstift. Sie hat noch einen Wunsch, aber sie traut sich nicht, diesen hinzuschreiben. Sie wünscht sich so sehr ein Pferd. Kein großes, ein Pony nur. Und wenn, dann könnte es auch ein kleines sein. Aber auch dieses würde zu teuer sein, um es bekommen zu können. Mama hatte ihr nämlich gesagt, das Christkind hätte in diesem Jahr wenig Geld, um alle Wünsche der Kinder erfüllen zu können. Dann fasst sie sich ein Herz und notierte den Wunsch doch. Dazu malt sie ein wunderschönes Pony mit langer Mähne und schickem Schweif. Um ihren Wunsch erfüllt zu bekommen, hat sie eine Idee. Fleißig notiert sie all die Arbeiten, die sie bis Weihnachten machen will. Als Bezahlung sozusagen. Vielleicht könne man das Christkind auf diese Weise überzeugen, ihren Herzenswunsch zu erfüllen.

Die Tage bis Weihnachten kriechen dahin und die Spannung ist schwer auszuhalten. Aber tapfer hält Anna ihr Wort. Sie gibt fast keine Widerworte mehr, bringt den Müll freudig zur Abfalltonne, macht alle Besorgungen, die man ihr aufträgt. Die Eltern wundern sich. Vor allem, weil ihr Kinderzimmer nun viel aufgeräumter ist als sonst. Aber immer, wenn sie diese Arbeiten macht, sieht sie ihr Pony an einem Zaum stehen. Es wiehert, wenn Anna kommt und ihr eine Möhre bringt. Das gibt Kraft für einen weiteren Tag.

Der Heilige Abend kommt und mit ihr die Bescherung. Beim Singen der Weihnachtslieder macht Anna die Augen zu. Sie sieht nur das Pony, und auf dem Rücken drückt sie heimlich beide Daumen. Aber die Bescherung bringt nur die Sachen, die am Anfang ihres Wunschzettels gestanden haben. Und einen riesigen Teddybären. Es ist ihr schwer ums Herz. Aber irgendwie versteht sie doch, dass man nicht alles bekommen kann, was man sich so wünscht. Als sie das Stofftier, sie hat es Sultan genannt, mit ins Bett nehmen darf, ist sie zufrieden, aber nicht wirklich glücklich. Zunächst kreisen ihre Gedanken um den haarigen Vierbeiner, aber dann schläft sie doch ein.

 

Eine sanftes Ruckeln am Arm weckt Anna. Sie will schon vor Schreck laut schreien, aber das Mädchen im weißen Gewand hält ihren Finger vor dem Mund.

„Psssst! Wecke deinen Sultan und deine Eltern nicht auf.“ Dann macht sie eine Handbewegung ihr zu folgen.

Leise schleichen sie aus dem Haus.

„Ich heiße Gabriela. Ich bin für die Sonderwünsche an das Christkind zuständig. Du hast dir zu Weihnachten ein Pferd gewünscht?“

Anna nickt eifrig, denn vor Aufregung kann sie nicht sprechen.

„Das Christkind kann leider keine Pferde verschenken, aber du willst doch auf einem Pferd reiten? Nicht wahr?“

Wieder kann Anna nur nicken.

„Dieser Wunsch soll dir erfüllt werden.“ Der Engel für die Sonderwünsche schnippte mit den Fingern, und plötzlich stehen zwei Pferde vor ihnen. Ein Rappe und ein Schimmel. „Steige auf.“ Dabei deutet Gabriela auf den Schimmel.

Zögerlich ergreift Anna die Steigbügel. Der Schimmel wiehert verhalten, so als ermuntere er Anna, auf seinen Rücken zu klettern. Langsam setzen sich die beiden Pferde in Bewegung. Auf Anweisung von Gabriela hält sich Anna in der Mähne fest. Anna glaubt, dass es nun die Straße entlang gehen würde, aber nach einigen Tritten erheben sich die beiden Rösser in die Luft. Ihr Elternhaus wird immer kleiner. Die Beleuchtungen in den Häusern werden immer winziger. Der Wind weht Anna um die Nase. Ab und zu verdeckt die Mähne den Blick nach vorne, dann schaut sie zur Seite. Ein riesiger Funkturm verschwindet unter ihnen. Der Himmelsritt geht entlang der beleuchteten Straßenzüge. Diese schlängeln sich wie Bänder in der Dunkelheit. Anna sieht Busse, die Menschen schlucken und bald wieder ausspucken. Menschen laufen über Straßen und Bürgersteige. Eigentlich soll dieser Ritt immer so dauern. Doch als sie zusammen zu Hause ankommen, ist Anna glücklich. Gabriele hat wenig Zeit und noch eine lange Liste der Sonderwünsche. Im Bett streut sie Anna Schlafsand in die Augen. Als das Mädchen am Morgen aufwacht, weiß sie nicht, ob sie geträumt hat, oder ob es Wirklichkeit war. Sie beschließt, mit keinem darüber zu sprechen.

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