Peter Kröger

Zwei

 

 

 

Die Verwaltungsangestellte Ann-Imke Stumpf erreicht am dreiundzwanzigsten Mai des Jahres zweitausenddreiundzwanzig auf elektronischem Wege ein Brief mit folgendem Wortlaut:

 

Hochverehrte Frau Stumpf,

gerade dachte ich an Sie. Erinnern Sie sich noch an mich? Wir gerieten in Heidelberg vor einer Woche wegen einer Nichtigkeit aneinander (es ging um Literatur) und versöhnten uns wenig später. Es handelte sich, wie so oft im Leben, um ein Missverständnis. Wir legten sozusagen unsere Hotelzimmer zusammen und schieden am nächsten Tag, so mein Eindruck, einvernehmlich-geneigt. Sie hinterließen Ihre Adresse oder was heutzutage als solche fungiert und ich bekenne, mich täglich, ja stündlich nach Ihrer Nähe und Streitbarkeit zu sehnen. War Heine ein Gehetzter oder ein Getriebener, diese Frage ließ uns keine Ruhe, bei ihr verharrten wir sozusagen bis zum Schluss. Beide hatten wir, jeder für sich, zwei Tage in Einsamkeit verbringen wollen, und jetzt das.Und dann das: Ein weites Feld, ein freudvoll-tückisches Gelände tat sich auf, das zu erkunden weiterhin Grund besteht, finden Sie nicht? Daher meine Frage: Was halten Sie von einem Treffen in, sagen wir, Calw oder Xanten, um den erwähnten und anderen Erwägungen erneut den nötigen Raum zu geben? Ach, Frau Stumpf, und noch etwas: Ich vergöttere Ihre Augen und Brüste, Ihre Wangen und Hände, oder sagen wir, sie tun ein Übriges, um möglichen Momenten der Verlegenheit und Schweigsamkeit mit strahlender Schönheit beizukommen. Welch ein Ausblick!

Daher: Zögern Sie nicht! Seien Sie zügellos und gönnen Sie uns ein weiteres Treffen, das besser bald als irgendwann Herz und Hirn erquicken möge.

Ihr Hans Pök

 

Ann-Imke denkt nach. Ein verrückt-zutraulicher Hund, dieser Hans Pök. So aus der Zeit gefallen. Oder nicht? Sie könnte ihm einen Fehler nachweisen. Aber da ist nichts. Kein Fehler. Heine? Nicht schlecht. Eine Nacht nur. Wo liegt eigentlich Xanten? Mag Sie ihre Brüste? Ist sie erregt? Will sie Pök wiedersehen? Wie sieht sie ihr Leben? Die Hängegeranien wachsen schlecht dieses Jahr. Ihre Tochter kommt bald zu Besuch. Wie schön ist das Wattenmeer. Die Zukunft der Verwaltung. Joe.

Sie schaltet den Computer aus und schaut zum Sofa hinüber. Etwas regt sich.

„Alles gut, Anim?“

Der Mann so vieler Jahre betrachtet sie aufmerksam und legt die Zeitung beiseite.

„Joe, es klingt pervers,“ sagt sie, „aber könntest du mich siezen? Nur kurz. Nur wenn du magst.“

Er muss lachen.

„Wenn Sie durchaus wollen.“

Sie findet es komisch und verwirft einen Plan. Tun ist wie lassen, denkt sie. Also lassen. Nicht ganz lassen wie Hemingway. Oder Kleist. Niemals. Aber lassen.

Sie seufzt.

Wer sagt sonst schon Anim?

Es geht ihr gut.

Eine diebische Freude befällt sie. Draußen ziehen Mauersegler ihre Bahnen.

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