Peter Kröger

Das Tal

 

 

 

Die Zeit war gekommen. Es ging ans Sterben und ich ritt ins Tal, um alles zu regeln.

Sammy war nicht zu Hause. Er war nie da, wenn man ihn brauchte. Die Leute sagten: Im Saloon.

Da war er. Als ich eintrat, sah ich ihn gleich. Er saß am Spieltisch, vertieft in sein Glück, wie sie es nannten, die Wangen eingefallen, vor sich einen Whiskey.

„Hey Sammy“, sagte ich, „Lust auf einen Job?“

„Ja?“, murmelte er.

Er hatte keine Lust auf einen Job, das sah ich sofort. Wahrscheinlich kämpfte er mit einer Glückssträhne, so oder so.

„Du könntest ein Loch graben, ein Loch, zwei zwanzig mal eins zwanzig, ungefähr eins achtzig tief. Meinst du, du schaffst das?“

Sammy unterbrach sein Spiel und drehte sich zu mir.

„Ich soll was?

„Graben, Baby.“

„Ich verstehe nicht.“

„Ganz einfach.“

„Und dann?“

„Und dann füllen wir es.“

„Das Loch?“

„Das Loch.“

„Womit?“

„Mit dir.“

Ich muss dazu sagen, dass es mich immer schon genervt hatte, wie begriffsstutzig Sammy war. Verstand er wirklich nicht, worum es ging? Andererseits: Was sollte er sagen? Was konnte er sagen? Langsam leerte sich der Spieltisch. Morgen war auch noch ein Tag.

„Mach ich nicht.“, sagte Sammy in einem seltenen Anfall von Trotzigkeit. Seine Stimme zitterte.

„Hey Baby,“, sagte ich erstaunt, „was redest du?“

„Mach ich nicht, Bud.“, wiederholte er.

„Du willst also, dass ich grabe.“

„Ich will gar nichts.“

„Du willst nie etwas.“

„Bud, bitte.“

„Bud, bitte was?“

„Lass uns reden.“

„Mit dir reden, Sammy? Warum?“

Wir kamen zum Punkt.

„Hör zu, Bud. Du bekommst dein Geld. In einer Woche hast du es. Fünfhundert Dollar. Versprochen. Ok?“

Es war so sinnlos.

Ich meine, jede Kugel war umsonst.

Sammy war scheiße. Ein armes Würstchen, wie sie haufenweise herumliefen, hier und im ganzen verfickten Westen zwischen Kansas und Albuquerque.

Wie er so dasaß, rührte er mich; er hätte ziehen können, er tat es nicht. Er war kein Mann. Und ich? Hatte ich etwa den ganzen Weg ins Tal gemacht, um ihn nicht zu erschießen? Irgendetwas musste geschehen.

„Ich scheiß auf das Geld!“, entfuhr es mir plötzlich. Aber die erhoffte Wirkung blieb aus.

„Eine Woche, Bud.“

„Sammy, eine Klapperschlange hat mehr Hirn als du.“

„Bud.“

„Kotzt mich das an.“

„Bud.“

Genug, dachte ich. Das Dach war undicht. Ein Zaun war auszubessern. Pamela war schwanger. Feuerholz fehlte. Und in der Bibel hatte ich seit Wochen nicht gelesen. Mein Pferd wollte heim.

Ich hatte verloren. Nur Verlierer wissen, wie ich mich fühlte. Das Elend der Welt kam über mich wie Landregen in der Prärie. Ich drehte Sammy den Rücken zu und ging aus dem Saloon. Wenig später saß ich im Sattel und ritt zurück in die Berge.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.06.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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